Manfred A. Schmid
Dümmer und langweiliger geht’s nicht!
Kirill Serebrennikovs Wiener „Don Carlo“:
Eine Bankrotterklärung des Regietheaters!
In seinem umstrittenen Wiener „Parsifal“ konnte Kirill Serebrennikov mit einer packend inszenierten Parallelgeschichte, die mit Wagners Bühnenweihespiel zwar nichts zu tun hat, immerhin noch für spannende Momente sorgen. Sein „Don Carlo“, den er in einem sterilen Museum für historische Kostüme in der Jetztzeit ansiedelt, ist aber nur mehr Anlass für lähmende Langeweile, die sich in von Akt zu Akt steigernden Missfallensbekundungen äußert und in einem Buh-Orkan mündet. Eine so mehrheitlich vom Publikum abgelehnte Premiere hat es schon lange nicht mehr gegeben.
Da ist Sergio Morabito, dem Chefdramaturgen des Hauses, erneut ein Coup gelungen, auf den er bestimmt stolz sein kann. Hat er dem „blasierten“ Wiener Publikum, so nannte es Staatsoperndirektor Roscic tatsächlich in der Einführungsmatinee, doch wieder einmal gezeigt, wo der Regiebartel den Most holt. In einem Museum in Kyoto nämlich. Und keiner weiß warum.
Asmik Grigorian (Elisabetta). Foto: Wiener Staatsoper: Sofia Vargaiova
Die von der Regie verordnete Einführung von drei Personenebenen wird zunehmend unüberschaubar und bringt vor allem keinerlei Erkenntnisgewinn. Da ist zunächst das Museumspersonal in weißen Arbeitskitteln, aus dem einige Mitarbeiter in Führungspositionen in Beziehungskonflikte verstrickt sind, die mit der historisch-literarischen Dreiecksgeschichte Philipp II.-Elisabetta de Valois-Don Carlo, erweitert durch die Interventionen von Eboli und Rodrigo, in Beziehung gesetzt werden.
Philipp, Elisabetta, Don Carlo und Eboli stehen dann auch als in historischen Originalroben gekleidete Avatare auf der Bühne, und die ihnen entsprechenden Personen treten alsbald in Kleidungen auf, die diesen ähnlich, aber einfacher und dunkelgrau bis schwarz gehalten sind. Damit soll wohl ausgedrückt werden, dass da eine Art annähernde Beziehung im Spiel ist. Tatsächlich beginnen diese drei Ebenen irgendwie zu interagieren, doch man verliert als Zuschauer bald den Überblick, vor allem aber das Interesse, diese verworrenen Konstellationen weiter zu verfolgen. Wozu denn auch?
Eve-Maud Hubeaux (Eboli), Roberto Tagliavini (Philipp II.). Foto: Wiener Staatsoper / Frol Polesny
Die zuweilen hochgelobte Personenführung Serebrennikovs, der, wie gewohnt, auch für Bühne und Kostüme zuständig ist, weist eklatante Mängel auf. Schon der ganze erste Akt war im Grunde nur eine minutiös zu verfolgende Ankleideaktion. Wer will so etwas sehen?
Lächerlich wird das Ganze, wenn eine vom Freigeist Rodrigo, Marquis von Posa, entfachte Protestaktion gegen Umweltverschmutzung und Überproduktion sofort eingestellt wird, sobald der Großinquisitor, hier vermutlich so etwas wie ein Aufsichtsratsvorsitzender, einschreitet und deren Ende verlangt.
In welcher Zeit leben wir, lebt der Herr Serebrennikov, wo Demonstranten noch so folgsam auf ein Kommando reagieren? Höchstens noch in Russland und Nordkorea. Wie aber kommen Opernbesucher hierzulande dazu, von den persönlichen Traumata Serebrennikovs, die er in seinen Inszenierungen offenbar abarbeitet, belästigt zu werden? Und wenn dieser beamtete Herr Großinquisitor dem König die Leviten liest, verkommt Verdis großartige, einschüchternde Szene des Aufeinanderprallens von weltlicher und kirchlicher Gewalt zu einem lächerlichen Beispiel schlechter Bürokultur.
Asmik Grigorian (Elisabetta) und Ensemble. Foto. Wiener Staatsoper / Frol Podlesny
Was bleibt? Wieder einmal die tröstende, im Grunde aber beleidigende Erkenntnis: Aber wenigstens musikalisch ist es doch ein ganz ordentlicher und bekömmlicher Opernabend geworden. Philippe Jordan müht sich redlich, trotz der immer lauter werdenden Proteste, die Aufführung im Sinne der Partitur Verdis, gespielt wird die vieraktige Mailänder Fassung, zu retten.
Dass es überhaupt zum Vierten Akt und zu keinem Abbruch kommt, ist auch ihm zu verdanken. Er besänftigt das erboste Publikum mit einer den Unmut beruhigenden Geste, ein weißes Fähnchen schwingend. Und er schöpft aus dem Vollen, ganz so mitreißend ist das, was aus dem Orchestergraben kommt, aber doch nicht. Wohl auch, weil das dümmliche Geschehen auf der Bühne eben nicht ganz auszuschalten ist.
Die gesangliche und darstellerische Gestaltung der Frauenrollen ist das bei weitem Beste dieser regielich hoffnungslos verhunzten Premiere. Asmik Grigorian ist eine ziemlich ideale Elisabetta, integer und loyal, trotz der unmenschlichen Begleitumstände einer politischen Zweckheirat und deren Folgen. Wenn sie allein auf der Bühne steht und über ihre gedemütigte Lage an der Seite eines gefühlskalten Mannes reflektiert, zieht sie alle Register ihrer Gestaltungskunst und berührt mit dem etwas dunkler werdenden Timbre ihres honigfarbenen Soprans.
Überzeugend in ihrem verletzten Stolz und der tiefen Reue nach ihrer folgenschweren Rache ist die stets bühnenpräsent mit emotionaler Ausdruckskraft farbig in Erscheinung tretende Eve-Maud Hubeaux als Eboli. Die österreichische Sopranistin Ilja Staple ist ein ebenso tüchtiger wie erfreulicher Page Tebaldo.
Von den Männern ist Étienne Dupuis als Rodrigo die beste Wahl. Sein Marquis von Posa, der im Außendienst tätige, scharfsinnige Beobachter und mutig-offenherzige Kritiker der Verhältnisse am Hof, hier der Museumsverwaltung. In einem Kapuzenpullover und stets mit einer Mütze auf dem Kopf ist er die ehrlichste und aufrichtigste Figur von allen. Ein waschechter „Grüner“, wie man sagen könnte, und auch gesanglich eine Wucht. Nur wie er sich in dieses Umfeld verirrt hat, bleibt ungeklärt.
Der Bass Roberto Tagliavini macht in der Arie, in der er melancholisch und leicht resigniert seine Verzweiflung und seine Einsamkeit beklagt, gute Figur, hat aber in der Tiefe nicht immer die erforderte Belastbarkeit. Das gilt auch für Dmitry Ulyanovs Großinquisitor, der allerdings von der Regie an einem dramatisch angemessenen Auftritt gehindert wird, zumal er nicht, wie vorgesehen, zum ersten Mal als gefürchteter Überraschungsgast beim König auftaucht, sondern schon früher, bei der Eröffnung einer spanischen Kostümschau, anwesend war. So verjuxt man Spannungsmomente.
Der amerikanisch-mexikanische Tenor Joshua Guerrero ist ein etwas eindimensional klingender, nicht sehr farbenreich ausgestatteter Tenor, der zudem häufig forcieren muss. Als Don Carlo eine Enttäuschung.
Musikalisch insgesamt dennoch eine recht gute, zufriedenstellende, nur von den Frauenstimmen herausragend gestaltete Premiere. Da fehlte es, neben einem zu Hochleistungen inspirierenden Ambiente – ein aseptisches Forschungslabor ist dafür ungeeignet – auch an der Qualität mancher Männerstimmen.
Die der Regie geltenden Buhrufe bleiben letztendlich das traurige Ergebnis eines misslungenen Premierenabends. Dass diese Inszenierung, eine Bankrotterklärung des Regietheaters, für die nächsten Jahre das Repertoire des Hauses am Ring heimsuchen wird, ist eine wütend machende Schande.
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