Literarische Korrespondenz:
Reinhold Knoll an Alois Schöpf
Betrifft:
1. Egyd Gstättner: Wichser:innen
2. Alois Schöpf: Kickl wird Kanzler
Ad: Egyd Gstättner: Verdammte Wichser:innen. Oder: Ich trete aus Kärnten aus! Die Mechanismen des Litertaurbetriebs
Fast hätte ich mich dazu hinreißen lassen, zu schreiben, die Geschichte von Egyd Gstättner mit wachsendem Amüsement gelesen zu haben. Ich hielt inne und merkte, dass das der falsche Kommentar gewesen wäre – ungeachtet dieser literarischen Köstlichkeit.
In genau dem Zustand befindet sich die Literaturszene, wie uns Gstättner dankenswert berichtet! Als hätten wir keine anderen Sorgen, als einander Guten Morgen zu wünschen, werden im deutschen Sprachraum immer öfter Bücher ausgezeichnet, die nur mehr detailliert-jammernd über die eigene Befindlichkeit berichten. Das hat – mit Verlaub – schon bei Peter Handke begonnen, von der Linkshändigen Frau bis zur Geschichte des Bleistifts. Es fehlt hier eindeutig noch die subtile Darstellung einer Schriftstellerin über ihre Beziehung zu einer Barbie-Puppe als komplementärer Bericht.
Nun hat Gstättner zu Recht beklagt, dass seine sicherlich kenntnisreiche Darstellung des Fußballs wenig Aufmerksamkeit erregte, weshalb er seinen Zorn über die Ignoranz ganzer Leserschichten ausschüttete. Und er ist nicht der erste, der sein Heimatrecht kündigt. Das mussten ja viele früher tun, als vollmundig der Beginn eines tausendjährigen Reiches angekündigt wurde. In unserer Zeit habe ich nur eine Expatriierung in Erinnerung, nämlich jene des Stephan Eibel, der wegen des gemeindeamtlichen Desinteresses an der Ausforschung der Gräber getöteter Juden in Eisenerz seinen Beinamen Erzberg ablegte.
So ist die Geschichte von Egyd Gstättner leider sehr schnell sehr ernst! Es gilt daran zu erinnern, dass diese im deutschen Sprachraum ausgeübte Buchkultur nahezu kaputt scheint, dass die Themen zum großen Teil nicht der Dramatik unserer Gegenwart entsprechen. Das Gegenteil war und ist in den USA der Fall, wo immerhin ein Anglist wie Stephen Greenblatt eine systematische Darstellung eines Tyrannen gemäß der Königsdramen von Shakespeare rekonstruierte und seine Skizzen als besseres Verständnis unserer Tyrannen in der Gegenwart empfiehlt.
Wo sind deutschsprachige Schriftsteller, die den aufkommenden Wahnsinn in Mitteleuropa darstellen – wie es Philip Roth im Der menschlichen Makel für die USA getan hat. Wo sind die Buchpreis-Heldinnen und -Helden, die die politisch-hybride Wiederkehr eines Totalitarismus geißeln?
Ich erinnere mich an die Schlafwandler von Hermann Broch, an Robert Musils Hilfloses Europa, an Ödön von Horvaths Jugend ohne Gott. Es waren zwar letztlich erfolglose Versuche, die Barbarei aufzuhalten, aber es waren Zeugnisse der Selbstbehauptung.
Egyd Gstättner legt, noch witzig formuliert, seine Zugehörigkeit zu Kärnten nieder – oder stellt diese ruhend. Leider kann ich ihm nicht raten, nach Wien zu wechseln. Das ist zwar nicht Kärnten, aber die Schilderung einer Problemlage wie der seinen ist den Leuten hier völlig gleichgültig! Unter dem Wiener Kosmopolitismus versteht man die routinierte Gleichgültigkeit. Das hatten ja sowohl Canetti in der Blendung, wie auch Musil in Der Mann ohne Eigenschaften aufgedeckt.
Wohin soll also Gstättner gehen? Ist Liechtenstein die Lösung? Die putinisierte Schweiz, in der es keinen Dürrenmatt mehr gibt, keinen Max Frisch…Dort sind die schlimmsten Opportunisten, denn sie hofieren schon längst wegen des Anlagevermögens die Oligarchen. Vielleicht Finnland – wenn es dort nicht diese komplizierte Sprache gäbe? Egyd Gstättner ist schwer zu raten! Hätte es nicht das bittere Schicksal von Stefan Zweig in Brasilien gegeben, könnte man zu Uruguay oder gar Peru raten. Dort war es nie so kriminell wie in Kolumbien oder Argentinien.
Der Zustand der deutschen Buchpreisverleihungen zeigt bereits das morbide Zerbrechen einer Kultur an, die in ihrer Elite die amerikanisierte Lebensform übt, aber die politische Russifizierung wünscht. Wie eben Trump nun Putin imitiert, wenn er Grönland, Kanada und Panama zu okkupieren wünscht, so stehen wir in dieser Konstellation sprachlos herum und preisen jenes Buch aus, das Guten Morgen wünscht…
Ad: Alois Schöpf: Kickl wird Kanzler! Die Träne quillt. Ein Lachanfall
Im Westen des Landes ist man offenbar gelassener als in Wien. Sie sehen zwar diese schiefe Ebene, das Abgleiten, Rutschen, und auch schon Fallen. Doch sind Sie der Meinung, Sebastian Kurz hätte das stabilisieren können?
Ich vermute, dass Sie hier recht haben können. Dennoch hätte es keinen dauerhaften Halt gegeben, denn Kurz hat offenbar im überschaubaren Maße das ermöglicht, was wir dann in großem Umfang bei den Kickl-Leuten erwarten dürfen: verteile die Brüder am Schaltbrett und nimm, was es zu nehmen gibt.
Nun hatten Sie sich mit Federn geschmückt, also mit Reckwitz oder Blühdorn, die Ihnen die gegenwärtigen Zeitläufte zu erklären vermögen. Es ist die Vorhersage eines politischen Ladenschlusses, während dessen letzten Stunden noch schnell Geschäfte gemacht werden.
Was wäre, wenn beide Soziologen die alte Theorie von Pareto oder Friedrich Wieser betrachten würden, wie schnell Eliten zum Klüngel in den Parteien führten (Mussolini, Lenin…), wobei das Interesse erlahmt, der Idee und sozialer Bewegung die weitere Aufmerksamkeit zu widmen.
Das alles in eine Postmoderne zu schieben, scheint mir kurzschlüssig und wenig befriedigend zu sein. Sie hätten bei den politikwissenschaftlichen Klassikern Herman Finer oder Harold Lasswell deutliche Hinweise gefunden, wie innerhalb der Gruppe, Bewegung, Partei das Prinzip der nützlichen Versteinerung bevorzugt wird – sichtbar geworden im Team von Kurz.
Bitte, tun Sie mir den Gefallen und blättern in Wirtschaft und Gesellschaft von Max Weber nach und suchen Sie das Stichwort Volkstribun. Dann nehmen Sie das Taschenbüchlein von Ernst Piper über den Ciompi-Aufstand in Florenz 1378 zur Hand, bei dem ein gewisser Medici als Gewerkschafter der Wollweber auftrat…
Daher halte ich diese weit hergeholten Anamnesen unserer Gegenwartsgesellschaft samt Technisierung für leere Gelehrsamkeit.
Dass wir heute in der Krise sind, liegt am Umstand, den Sie beklagen: Die Gewaltenteilung gehört der Geschichte an. Die grandiose Idee von Montesquieu war in den Demokratien bald der Gegenstand der Korrektur durch Demokraten. Wir hatten Justizminister, die offenbar nur die Aufgabe hatten, der Judikative einen Maulkorb anzumessen. Wenn Sie nachschauen, werden Sie entdecken, dass wir in den 1950er Jahren zwei große Gesetzesvorlagen beschlossen, die offenbar nie Anwendung erfuhren: Die zwei Anti-korruptionsgesetze.
Was sagt es aus, wenn der Verfassungsgerichtshof der Mieter in einem der Häuser Benkos ist? In Österreich hat man ein besonderes Talent, Unangenehmes auf die lange Bank zu schieben.
Viel wichtiger wäre der Hinweis, dass sowohl Kurz wie Kickl Studienabbrecher sind, also über ihre frühe Parteiarbeit und nicht über Studium und Lohnarbeit Organisatoren ihrer Karriere wurden. Beide entdeckten an sich das Talent zum Condottiere.
In einem Punkt teile ich Ihre Meinung, auch wenn diese nur zwischen den Zeilen steht. Kurz schien noch an gewisse Grundsätze seiner Herkunft und Laufbahn gebunden, besaß noch eine Wertbezogenheit in seinem politischen Handeln innerhalb einer Demokratie, hingegen Kickl nimmt seine politische Disposition aus dem riesigen Koffer des Totalitarismus: Da bleibt mir das Lachen im Hals stecken.
Liebe Grüße Ihr Reinhold Knoll
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