Literarische Korrespondenz
Klaus Schredelseker an Alois Schöpf
Betrifft:
Zur Kolumne
„Europa sägt wieder am Ast, auf dem es sitzt“

Lieber Alois,

Du weißt, dass ich mich jeden Samstag auf Deine Kolumne in der TT freue; manchmal teile ich Deine Ansichten, manchmal nicht. Wie ich schon im schoepfblog kundgetan habe, sehe ich mich als einen Neoliberalen, aber Du siehst Dich wahrscheinlich nicht so. Da ist es normal, dass es ab und zu Wertungsdifferenzen gibt.

Als ich Deinen Kommentar vom Samstag zu lesen begonnen habe, war ich erst mal irritiert. Aus vielfältigen Erfahrungen weiß ich, dass, wer ein Statement mit den Worten einleitet im Grunde bin ich ein überzeugter Europäer, aber …, alles andere ist als jemand, der europäisch denkt. Deswegen hat mich das bei Dir gewundert.

Natürlich sind politische Systeme hierarchisch: Wir Österreicher werden von Brüssel bevormundet, wir Tiroler seit der großherzigen Schenkung von Margarete Maultasch von Wien, die Landecker von Innsbruck und die Nauderser von der Bezirkshauptmannschaft Landeck.

Aber käme es uns in den Sinn, wenn der Nationalrat etwas aus Tiroler Sicht Fragwürdiges entscheidet, dies als einen illegitimen Übergriff auf unsere legitimen Interessen zu interpretieren? Wahrscheinlich nicht: Der Satz, dass ‚die in Wien Scheiße‘ gebaut haben, reicht.

Kritik daran ist nicht notwendigerweise auch eine Kritik am politischen Konstrukt Österreich. Bei einer Kritik an Entscheidungen von Brüssel schwingt hingegen immer auch eine Kritik am Konstrukt Europäische Union mit. Ich mag das nicht.

Lieber Alois, wenn Du mich bittest, einen Vortrag zu halten, in dem ich darlegen soll, welche unsinnigen Vorschriften aus der europäischen Bürokratie uns das Leben schwer machen, so halte ich ihn – und das Publikum wird mir Beifall zollen.

Wenn Du mich hingegen bittest, einen Vortrag darüber zu halten, was endlich einmal europäisch normiert werden müsse, so halte ich ihn Dir auch und ich werde gleichermaßen großen Beifall bekommen. Ehrlich gesagt, ist mir die zweite Variante lieber, aber auch die erste würde ich meistern.

Lass uns Europa ernst nehmen, nicht verklären und nicht verteufeln, sondern schlicht ernst nehmen. Nach meiner Überzeugung haben wir keine Alternative im globalen Wettbewerb. Auf Empfehlung von Andreas Treichl habe ich das Buch von Enrico Letta Molto più di un Mercato gelesen; es ist das Buch eines überzeugten Europäers, der die Herausforderungen unserer Zeit verstanden hat.

Mit herzlichen Grüßen
Klaus Schredelseker

https://schoepfblog.at/alois-schopf-die-eu-sagt-wieder-am-ast/

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Klaus Schredelseker

Prof. Klaus Schredelseker: 1962 – 1968, Studium der Betriebswirtschaftslehre und der Rechtswissenschaften in Paris, Mannheim, Berlin und Mailand; 1968 – 1976 Assistent bei Prof. Dr. Klaus v. Wysocki in München; 1976 – 1986 Professor an der Bergischen Universität - GH Wuppertal; seit 1986 Professor an der Universität Innsbruck; 1973 – 1999 Gastprofessuren in Poznan, Strasbourg, Bergamo, Trento, Siena. Begründer und Leiter des Studiengangs Internationale Wirtschaftswissenschaften und Gründungsratsmitglied an der Freien Universität Bozen.

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