Literarische Korrespondenz:
Helmut Schiestl an Reinhold Knoll
Betrifft:
Weihnachten abschaffen?
Nein!
Stattdessen Feiertage umwidmen!

Sehr geehrter Herr Knoll!

Ich verstehe, dass der religiöse Sinn vieler katholischer Feste heutzutage immer mehr verloren geht und in den Mühlen des Kommerzes zermahlen zu werden droht. Trotzdem sollte man sie deshalb nicht einfach ersatzlos abschaffen, der arbeitende Mensch braucht schließlich Tage der Erholung. Man sollte vielmehr solche Tage besser mit neuer Sinngebung und Sinnbotschaft versehen.

Wie wäre es etwa mit einem Tag der menschlichen Zuwendung? Gewidmet all jenen, die ihr Geld im Dienste an anderen verdienen, wie etwa das Pflegepersonal in den Krankenhäusern und Altersheimen, das Betreuungspersonal in psychiatrischen und caritativen Einrichtungen. Man könnte dafür den Tag eines oder einer Heiligen nehmen, der oder die sich besonders für die Nächstenliebe – immerhin eine der christlichen Hauptbotschaften! – verwendeten, um so auch den immer mehr zur Minderheit werdenden christlichen Bevölkerungsanteil miteinzubeziehen. 

Zum Tag der Bäcker und Brotverkäuferinnen könnte man etwa das Fronleichnamsfest umwidmen, an dem man dann all jene feiert, die auch an den Sonntagen dafür sorgen, dass wir frisches Brot bekommen, selbstredend sollte uns da auch das Personal im Gastgewerbe einen Tag im Jahr wert sein, an dem wir uns mit besonderer Aufmerksamkeit und vielleicht auch mit einem höheren Trinkgeld bedanken. 

Einen weiteren Feiertag sollten wir vielleicht auch der Sicherheit, der Polizei und den Wachdiensten, widmen, vielleicht wäre dazu der Florianitag, an dem ja die Feuerwehr ihres Patrons gedenkt, ein geeigneter. Auch alle Reinigungskräfte sollten mit einem Tag der Sauberkeit beschenkt werden.

Den Tag Christi-Himmelfahrt könnte man zum Tag der Weltraumforschung oder überhaupt zum Tag der Forschung erklären, ist der Protagonist dieses Festtags ja schließlich eben an diesem Tag in völlig unbekannte Gefilde aufgestiegen. Ein Festtag , der sich etwa an den Universitäten und sonstigen Einrichtungen der Wissenschaft feiern ließe. 

Ja vielleicht ließe er sich sogar als Tag des Weges aus der selbstverschuldeten Unmündigkeit in unserem Festkalender eintragen. Ein Tag des öffentlichen Fahrpersonals würde sich auch schick machen, wo man all derer gedenkt und sie feiert, die an allen Tagen des Jahres dafür sorgen, dass wir schnell und problemlos dahin kommen, wo wir hinwollen oder auch hin müssen. Wenn schon kein Schutzpatron der Herrn und Damen Eisenbahner bekannt ist, kann man ja den Tag des Heiligen Christophorus dafür nehmen. 

Ein Tag der Kultur dürfte in unserem Kalender natürlich auch nicht fehlen, wo wir an alle diejenigen denken, die unser Leben mit Kultur verschönern und verschönert haben.

Zu Tagen des geglückten Lebens könnte das Weihnachtsfest umgewidmet werden, wo wir uns all derer besinnen und sie beschenken , die es nicht so gut getroffen haben in ihrem Leben, sodass dann all die Punschorgien, von denen Sie, Herr Knoll, in Ihrem Beitrag sprechen, mit ruhigem Gewissens genossen werden können. Zu einem Tag oder vielleicht auch Tagen der Liebe könnte das ursprünglich ja heidnische Frühlingsfest Ostern transferiert werden. Hier feiern wir die Liebe in all ihren Formen und Farben, zelebrieren einen Tag der freien Liebe und vielleicht noch einen der käuflichen dazu. Ja, auch die Sexarbeiterinnen und Sexarbeiter haben einen Tag im Jahr verdient, an dem wir an sie denken und sie vielleicht sogar beschenken.

Ein Tag der Stille wäre wohl ein weiteres Highlight in unserem Festkalender, an dem wir uns dieser hingeben, kein Wort miteinander reden, selbst Radio und Fernsehen bleiben an diesem Tage still, nur die Geräusche der Natur sollten zu hören sein. Und am Jahresende dann anstelle des Allerheiligenfestes ein Tag der verlorenen Illusionen und enttäuschten Hoffnungen, an dem wir uns der Trauer über das Nicht-Gelungene und das unwiederbringlich Verlorene hingeben. Selbstverständlich sollte dabei natürlich auch an den Tod gedacht werden. Allerheiligen und Allerseelen fand ich ja immer schon als das ehrlichste Fest im christlichen Festkalender, aber das nur nebenbei. 

Man sieht schon, allein diese kleine Aufzählung würde aus dem Bestand unserer Feiertage eine völlig neue und für viele wahrscheinlich ungewöhnliche Jahres-Sinngestaltung mit sich bringen. Also gehen wir es an, ehe uns rein wirtschaftliches Denken unser Jahr der Riten und Feste völlig entzaubert und profaniert.

Mit besten Neujahrswünschen Ihr Helmut Schiestl

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Helmut Schiestl

Geboren 1954 in Hall in Tirol. Bis 2019 beschäftigt an der Universität Innsbruck. Zuletzt am Innsbrucker Zeitungsarchiv des Instituts für Germanistik. Zahlreiche Publikationen und Veröffentlichungen in Tiroler Literaturzeitschriften und Anthologien sowie im ORF. Bücher: "Hirnkrebs", 1991 Tiroler Autorinnen- und Autoren-Kooperative. "Der Lotusblütenesser", 1992, Edition Himmelmeer. "Porträt des Schriftstellers als armer Wurstel", 2001 Edition Skarabäus.

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