Literarische Korrespondenz:
A. Schöpf an Rudolf G.
Betrifft:
Wie ein Österreichischer Dichter
sich auf die richtige Seite der Geschichte schreibt.
Am Beispiel von Franz Griebl,
der sich am Literaturmarkt
als Franzobel verkauft.

Lieber Rudolf!

Nach der Nationalratswahl hast du mir den Link (siehe unten) zu einem Artikel aus der Tageszeitung Der Standard zugesandt und ihn mit einem Emoji versehen, dem ich entnehmen konnte, dass du die Auslassungen Herrn Griebls als amüsant und damit als zutreffend empfunden hast.

Ich hab mich im Gegensatz dazu darüber geärgert und dir zurückgeschrieben: Pardon lieber Rudolf, aber der Artikel ist genau jenes arrogante, linksliberale Geschwätz, dessentwegen die Blauen immer mehr gewinnen. Wenn du Lust hast, kann ich dir das bei unserem nächsten Abendessen im Detail nachweisen.

Das möchte ich hiermit tun, wenngleich aufgrund anderer innenpolitischer Ereignisse etwas verspätet und nicht nur auf das Abendessen mit einem Freund bezogen. Die Analyse des aus meiner Sicht hetzerischen und vorurteilsbeladenen Artikels erscheint mir nämlich als Symptom des derzeitigen österreichischen Elitenkonsenses durchaus für eine breitere Öffentlichkeit von Interesse zu sein.

Die meisten unserer Österreichischen Mainstreamdichter, und ein solcher ist Herr Griebl zweifelsfrei, sind durch die vielen Subventionen und Preise, die man ihnen zur Befriedung ihrer kritischen Potenz umgehängt hat, offenbar ganz im Sinne Kants, der die Feigheit und Faulheit als die mächtigsten Feinde der Aufklärung bezeichnet, inzwischen so denkfaul und feige geworden, dass sie sich bevorzugt des Mittels der fiktionalen Satire bedienen. Selbige enthebt sie nämlich nicht nur der mühsamen Recherche und einer korrekten Argumentation, sie erlaubt ihnen auch, die übelsten Vorurteile von sich zu geben, ohne Gefahr zu laufen, diese vor Gericht verantworten zu müssen, da die verfassungsmäßig verankerte Freiheit der Kunst wirkungsvoll vor Ehrenbeleidigungsklagen schützt und die Beleidigten daher zwingt, ein hohes Risiko einzugehen, wenn sie ihre Ehre wiederhergestellt sehen wollen.

Ganz in diesem Sinne schreibt auch Herr Griebl seinen Text aus der Sicht eines Bewohners der sagenumwobenen afrikanischen Goldstadt Timbuktu, wobei mit der Mitteilung, dass die Österreicher nicht mehr bereit seien, eine siebenköpfige Migrantenfamilie mit mehr als 4.000 Euro monatlich aus Steuermitteln durchzufüttern, seine fiktive Klage beginnt und der Autor sich im Umkehrschluss damit auf die richtige Seite der Geschichte schlägt, indem er den fast durchwegs illegalen Zuzug aus afrikanischen Staaten politisch korrekt und unhinterfragt, satirisch eben, gutheißt.

Trotz nach wie vor schöner Fassade, so fährt Griebl fort, habe Österreich unter dem super geleckten Sebastian Kurz die Balkanroute geschlossen und trotz Ibiza einem Goebbels-Imitator zur parlamentarischen Mehrheit verholfen, dessen einzige Antwort auf die Probleme des Landes immer nur laute: Ausländer raus!

Nach dieser Zustandsbeschreibung des fremdenfeindlichen Österreich betet Griebl die übliche Litanei der Verfehlungen seiner Landsleute herunter, deren erste und wichtigste in diskreter Erinnerung an Kurt Waldheim die kollektive Amnesie ist, der, neuerlich erwähnt, Ibiza, der Buwog-Skandal und die Hypo Alpe Adria-Pleite zum Opfer fielen.

Trotz all dem machten die Österreicher bei der Nationalratswahl die FPÖ zur stärksten Partei, da ihnen der Islam, seine verhüllten Damen und das ganze arabische Gekreische aus Radioapparaten auf die Nerven gehen und sie als Älpler am liebsten nur ihresgleichen sehen würden.

Um damit nun wirklich in keinem der honetten Standard-Leser den Verdacht aufkommen zu lassen, der Oberösterreicher Griebl sei vielleicht gar ein Fan seines Landeshauptmanns Stelzer, wechselt der Dichter übergangslos das Objekt seines Missfallens und bezeichnet Österreich als einen mehr oder weniger gescheiterten Staat, in dem seit Jahrzehnten, vergleichbar einer afrikanischen Diktatur, die bis in die Zehenspitzen verlogene ÖVP herrsche.

Der Artikel endet zuletzt mit der Feststellung, dass man Österreich vergessen könne, da seine Bewohner sich trotz andauernder Änderungswünsche nicht ändern wollten. Aber auch in Timbuktu sei es schön!


Analyse

Über den Komfort, den die Satire bietet, wurde schon gesprochen. Dass in ihrem Schutz in einer Weise gehetzt wird, dass sogar Herbert Kickl in höchster Bierzeltekstase seine Freude damit hätte, gilt es nüchtern festzuhalten. Dass diese Hetze, wie üblich, auf äußerst fragwürdigen Prämissen aufbaut, muss im Detail erläutert werden.

1. Die Migrationsfrage ist seit dem Jahre 2015 ein zentrales Problem der EU und hier vor allem jener Länder, in die besonders viele Flüchtlinge eingewandert sind wie Deutschland, Schweden, aber auch Österreich. Die Anerkennung eines Sachverhalts als eines virulenten Problems verweigert Herr Griebl großzügig, womit er sich genau jener Untugend schuldig macht, die er seinen Landsleuten vorwirft: Amnesie!

2. Wie würdest Du, lieber Rudolf, mit jemandem verfahren, der dich als Arzt als Mengele-Imitator bezeichnet. Du würdest ihn klagen. Auch ich würde ihn klagen. Man mag also Herbert Kickl noch so ablehnen, ihn als Goebbels-Imitator zu bezeichnen, ist jenseits aller Gesetze. Und es ist, mit Verlaub, nicht lustig.

3. Obgleich die Feststellung nachgerade schon langweilig ist: Ibiza war strafrechtlich folgenlos und lediglich die peinliche Bloßstellung zweier notgeiler, besoffener Politiker und eine im Übrigen von einem wegen Drogendelikten verurteilten Kriminellen eingefädelte Falle, um Personen zu schädigen, was, vom Gericht bestätigt, bereits in einer Diversion endete.

4. Weder der Buwog-Skandal noch die Hypo Alpe Adria-Pleite fielen einer Amnesie zum Opfer. Beide Skandale wurden und werden noch immer juristisch aufgearbeitet und führten schon jetzt zu langjährigen Haftstrafen, denen sich Jörg Haider wahrscheinlich durch einen fingierten tödlichen Autounfall entzog.

5. Herr Griebl sollte sich vielleicht einmal die enorm gewinnbringenden Analysen des Soziologen Andreas Reckwitz zu Gemüte führen, um zu begreifen, dass derzeit das Erstarken der Rechtsparteien in Europa auf eine kulturelle Spaltung zurückzuführen ist, deren Katalysator die Migration, aber nicht deren Ursache ist. Ursache ist vielmehr genau jene besserwisserische und moralgeschwängerte Arroganz linksliberaler städtischer Eliten, die als neuer, der sogenannten 68-er-Revolution entwachsener Mittelstand ihre Privilegien gefährdet sehen und in rechter Manier mit den Waffen eines linken Moralspektakels (Philipp Hübl) dagegen ankämpfen.

6. Wie ist es möglich, dass Herr Griebl als freischaffender Autor, ohne mit der Armut zu kämpfen, seine Familie ernähren kann? Da muss doch die zweifelsfrei angreifbare und in vielen Belangen tatsächlich verlogene ÖVP in oftmaliger Zusammenarbeit mit der ein wenig weniger verlogenen SPÖ einen überlebensfähigen Staat aufgebaut haben, der zu den reichsten der Welt gehört und in dem, wie der indische Nobelpreisträger Amartya Sen es formuliert, immer mehr Menschen tun können, was sie nach reiflicher Überlegung für ihr Leben als richtig erachten.

Leider auch einen dummen Artikel schreiben. Und ihn als witzig missverstehen.
Herzlich
Alois

Der Standard Artikel:
https://www.derstandard.at/story/3000000238538/schriftsteller-franzobel-vergesst-oesterreich

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Alois Schöpf

Alois Schöpf, Autor, Journalist, Veranstalter, geb. 1950, lebt bei Innsbruck, schreibt seit 41 Jahren in Zeitungen und Zeitschriften, zuletzt seit 34 Jahren in der Tiroler Tageszeitung, pointierte und viel gelesene Kolumnen. Er ist einer der dienstältesten Kolumnisten Österreichs. Nach seiner Tätigkeit als ORF-Fernsehredakteur für Fernsehspiel und Unterhaltung verfasste Schöpf Romane, Erzählungen, Märchenbücher und in den letzten Jahren vor allem Essays zu relevanten gesellschaftlichen Themen. Daneben schrieb er Theaterstücke und vier Opernlibretti. Schöpf war auch als Blasmusikdirigent tätig und ist Gründer der Innsbrucker Promenadenkonzerte, die er 25 Jahre lang bis 2019 leitete. Zuletzt gründete er 2020 das Online-Magazin schoepfblog, an dem 40 renommierte Autorinnen und Autoren mitarbeiten.

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