Literarische Korrespondenz:
Reinhold Knoll an Alois Schöpf
Betrifft:
Entwicklung der Blasmusik

Lieber Herr Schöpf!

Ich schrieb gleich in der Herrgottsfrüh einen Kommentar zu Ihrem Urteil über die Lage der Blasmusik. Sie wissen inzwischen, da ich mich outete, dass ich Blasmusik recht gern habe, sie immer wieder höre, gerade heute vor 07.00 auf dem Sender des Bayerischen Rundfunks mit den Panoramabildern.

Ob diese düsteren Schneelandschaften zu dieser Musik passen, darf bezweifelt werden, aber es hat sich eingebürgert, zur Musik Bilder anzusehen, zu lesen, zu bügeln oder im dunklen Anzug im Konzertsaal zu sitzen. Dass Musik eigenständiges Denken ist, ist völlig abhandengekommen.

Ich erinnere mich, in Studententagen einen winzigen Kreis gebildet zu haben, in dem wir uns auf die jeweils angebotene Musik konzentrierten. Es war strikt untersagt, die Interpretation der Aufführung, wie wir sie von Schallplatten hörten, zu kommentieren, sondern es war ausschließlich eine Interpretation der Musik selbst gefordert.

Da gab es sogar Handbücher – Alfred Einstein, die Musiksoziologie Max Webers, Ernest Ansermet, dessen Buch ich sehr schätze, natürlich Adorno mehrfach, und die vielen Bände der MGG (Musik in Geschichte und Gegenwart). Gemeinsam lasen wir die Hinweise aus den Büchern.

Wenn ich also zurückdenke, kann man erst ermessen, wie schwach heute der weltberühmte Kritiker Joachim Kaiser erscheint. Sollten seine Kommentare eine Richtschnur für die an Musik Interessierten gewesen sein, so war schon damals eine unfruchtbare Individualisierung in den Interpretationen Mode geworden. Es war zum Beispiel zu lesen, dass Fischer-Dieskau Schubert- Lieder so gesungen hat, dass jedes Wort verständlich war. Ganz im Gegensatz dazu erinnere ich mich an die Musikkritiken in der Wiener Arbeiter-Zeitung von David Josef Bach, der grundsätzlich für seine Leser die Struktur eines Werkes beschrieb. Welche Tonart welche Stimmungslage erzeugt. Oder wieso moderne Musik anders ist.

Das ist alles lang her, umso verdienstvoller ist Ihre Darstellung, die fix bei der Musik bleibt, alles andere ist ein Getue und völlig banal.

Der Griff der Macht nach der Musik ist übrigens stets ein Missgriff gewesen. Natürlich gelingt die administrative Gängelung, die in der parteienstaatlichen Demokratie die Macht ummantelt, aber es ist sicherlich nicht zum Wohl der musikalischen Aufführungspraxis.

Nun war noch im 19. Jahrhundert die Trennung vollzogen worden, die bis heute in der Bezeichnung von U- und E-Musik beibehalten wurde. Und diese Unterscheidung war noch verschärft worden, denn die Kommerzmusik drängte sich in die traditionellen Gepflogenheiten des Musizierens: Letztere war ursprünglich einmal vom freien Gestalten der Klänge ausgegangen, vom Konzertieren mit bestimmten Instrumenten, das sich im Amalgam zwischen New Orleans, kreolischer Musiktradition und straßenmusikalischer Praxis entwickelt hatte.

Die Verbreitung dieser Musik, die erstmals über das Radio möglich war, hat einerseits die Tradition der Hausmusik vermindert, andererseits wurde das Hören deutlich verändert. Mit der eintönigen Rhythmisierung – bis zu Heavy Metal – geht das ohnehin stark reduzierte Ausdrucksniveau des Musizierens noch weiter verloren.

Diese Herleitung unseres gegenwärtigen Musikverständnisses, immerhin als steter akustischer Hintergrund in jedem Espresso präsent, weist den Zugriff auf die musikalische Formgestaltung unter dem Titel der Volksmusik als den Versuch aus, eine politische Identität über Trompete, Flügelhorn und Klarinette zu vermitteln, die sogar in der Bekleidung unterstützt wird.

Über Vereinheitlichung wird eine Einheit imaginiert, die in gelungener Weise zur politischen Verwendung taugt. Und je alpiner die Region ist, desto stärker ist diese Vereinheitlichung beabsichtigt, macht die vermeintliche Volkskultur sichtbar und mutiert zum Wechselbalg der politischen Intentionen.

Daran knüpfen Erscheinungsbilder, die an der Musik gut zu erkennen sind. Da gibt es natürlich die elitäre Musik sogenannter Hochkultur, die in Festspielen bis zur Widerwärtigkeit gesteigert nur noch Hochnäsigkeit und Selbstüberschätzung kennt. Dann gibt es die Gebrauchsmusik, von der behauptet wird, sie würde unsere emotionale Normallage oder Grundstimmung perfekt zu Gehör bringen. In jeder Diskothek, in all den Après-Ski-Kneipen vermag sie den akustischen Bedarf der sportiven Bevölkerungsteile abzudecken.

Ja, und dann gibt es noch die Musikheime, in denen Volksmusik geübt wird. Sie begleitet bei offiziellen Anlässen die Festzüge, die Vormittage der Festtage und ist stets zur Stelle bei Heimatabenden mit Polka oder langsamen Walzern. Die flotte Marschmusik ist das Genre, das man sich von dieser Musik wünscht, also Josef Fucik, wenn höhere Ansprüche gestellt werden.

Soviel zur Ergänzung Ihrer Überlegungen.
Mit besten Grüßen Reinhold Knoll

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Reinhold Knoll

Reinhold Knoll, geb. in Wien 1941. Gymnasium und Studium der Geschichte und Kunstgeschichte in Wien. A.o. Hörer an der Akademie der Bildenden Künste. Promotion 1968 mit dem Thema „Früh- und Vorgeschichte der christlich-sozialen Partei bis 1907" (gedruckt). 1969 bis 1972 innenpolitischer Redakteur im ORF. 1973 am Institut der Soziologie an der Univ. Wien. Habilitation zur „Österreichischen Geschichte der Soziologie", gedruckt, mit Beiträgen von Helmut Kohlenberger 1988. A.o. Prof. für Soziologie ab 1989; Letzte Publikationen: The Revelation of Art-Religion, New York 2018; Letters to my grandchilden, New York 2021; und Beitrag zu Joseph von Sonnenfels, 2024.

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