Literarische Korrespondenz:
Dietger Lather an Susanne Preglau
Betrifft:
Antiquierte Sexualmoral und
antiquiertes Frauenbild

Das abschließende Urteil in Frau Preglaus Diskussionsbeitrag zitiere ich:

Die Körperscham der empfundenen Nacktheit bei der Unterschreitung einer Mindestgrenze an körperlicher Bedeckung ist nicht nur bei kleinen Mädchen, sondern auch bei erwachsenen Frauen – sowohl was das sogenannte Kopftuch als auch die schwarze Ganz-Körper-Verhüllung betrifft – eine unfassbare Herabwürdigung und Zumutung und keinesfalls eine freie Entscheidung aus Glaubensgründen.

Einige Anregungen zum Nachdenken füge ich an:

Tausende gebildete Frauen entscheiden sich als Erwachsene in religiöse Orden einzutreten. Damit verbunden ist die Bereitschaft, sogar die Pflicht, das Haupthaar zu bedecken, eigentlich den gesamten Körper. Es sind freie Entscheidungen, aus Glaubensgründen ihren Lebensweg zu ändern. Allein deswegen vermag ich dem apodiktischen Urteil von Frau Preglau nicht zu folgen.

Man kann die Verhüllung, die Unsichtbarmachung der weiblichen Sexualität in den christlichen Frauenorden verurteilen, aber erwachsenen Frauen ihre freie Entscheidung abzusprechen, empfinde ich als anmaßend.

Musliminnen legen ihre Kopftücher innerhalb der Familie ab. Dort scheinen sie ihre Sexualität nicht unterdrückt zu sehen. In den Dörfern in Afghanistan habe ich sie immer ohne Kopftuch gesehen, weil keine fremden Männer anwesend waren.

In Diskussionen mit aufgeklärten, in unseren Schulsystemen , in unserer Gesellschaft aufgewachsenen Frauen islamischen Glaubens habe ich das Kopftuchtragen diskutiert. Sie wussten, dass der Koran das Kopftuchtragen nicht fordert. Oftmals ist mir geantwortet worden, sie fühlten sich sicherer, wenn sie ein Kopftuch tragen. Sicherer vor der sexuellen Gier von Männern, die sie als Sexualobjekte betrachten und nicht als Frauen. Also verbergen sie ihre Sexualität vor fremden Männern. 

Auch dies sollte als Motiv bedacht werden. Es resultiert aus den Besitzansprüchen von Männern gegenüber Frauen, die übrigens auch in unseren kulturellen Breiten vorhanden sind. Es resultiert aus den Erfahrungen von Übergriffen und Vergewaltigungen. Kriege von damals und auch heute (Massaker vom 07. Oktober) belegen dies auf abscheuliche Weise. Die Anzahl der Femizide auch.

Natürlich resultiert das Kopftuchtragen, das Verhüllen der Sexualität vor allem aus der Sozialisation der Mädchen und Frauen in ihrem religiösen Umfeld. Aber nicht allein daraus.

Der neueste TikTok Trend zwingt zur Nachdenklichkeit. Er kommt wohl aus den USA zu uns. Immer mehr Frauen ziehen sich ein Subway Shirt, ein XXL Shirt über, damit sie abends in der U-Bahn oder den Bussen nicht belästigt werden. Am besten noch darüber ein XXL Hodie gezogen, um die Frisur zu verbergen. Es scheint auch bei uns an den einheimischen Männern zu liegen, die sexuell übergriffig werden, weswegen Frauen ihre Sexualität verbergen.

Die Märchen aus Tausend und eine Nacht sind im Mittelalter in der arabischen Welt angekommen und dort angereichert worden. Die erste Übersetzung der arabischen Märchensammlung dürfte 1808 in Frankreich veröffentlicht worden sein. Frau Preglau empfehle ich, die Gedichte der Frauen in dieser Erstausgabe zu lesen. Sie wird erstaunt sein, mit welcher Offenheit von der Sexualität zwischen Frauen und Männern, vom gegenseitigen Begehren und der sexuellen Lust erzählt wird. 

Im Mittelalter war zumindest im arabischen, muslimischen Raum die Erzählung von der Sexualität der Frauen Allgemeingut. Die Märchen sind es übrigens noch heute. Auch der Bauchtanz, der sicherlich erotisierende Momente beinhaltet, ist in der islamischen Welt beheimatet.


Zum Schluss eine aktuelle Erfahrung:

Eine sehr gute Freundin ist mit einem muslimischen Mann verheiratet. Sie besucht ihn soeben in seiner Heimat Türkei, in der die Bevölkerung fast ausschließlich islamischen Glaubens ist. Die Regierung hatte in der Vergangenheit die Trennung von Religion und Staat implementiert. In öffentlichen Einrichtungen durften Kopftücher nicht getragen werden. Die erwachsenen Frauen fühlten sich deswegen in ihrer Religionsausübung behindert. Einige gingen nicht wählen, weil sie in den Wahllokalen ihre Kopftücher ablegen mussten. Sie kehrten um. Erst als der derzeitige Präsident dies wieder erlaubte, fühlten sie sich in ihrer Religionsausübung bestätigt.

Diesen Aspekt habe ich gestern erstmals vernommen. Religion leben habe ich unter diesem Aspekt noch niemals beurteilt. Es erinnerte mich an einen Ausspruch von Friedrich dem Großen, dem preußischen König. Es ist verbürgt, dass er seinen Beamten 1704 verbot, katholische Schulen zu schließen: Jeder soll nach seiner Façon glücklich werden.

Diese Toleranz und Gelassenheit wünsche ich mir heute auch, genauso wie eine differenzierte Beurteilung religiöser Praktiken.

Aber eines ist für mich ohne Zweifel. Eine Ganzkörperverhüllung, eine Burka, egal in welcher Farbe, gründet im Besitzanspruch von Männern gegenüber Frauen; ein sichtbares Zeichen der Unterdrückung. Manche Frauen heißen dies gut, betonen ihr Gefühl der Sicherheit vor männlichen Blicken. Frauen, die dies gutheißen, sind sicherlich in einem fundamentalistischen islamischen Umfeld sozialisiert worden. Ich persönlich betrachte dies als das Ergebnis einer jahrelangen Gehirnwäsche religiöser Fanatiker.

Herzlich Dietger Lather

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Dietger Lather

Dietger Lather: Geboren 21. Mai 1953 in Marburg. Abitur am Gymnasium Philippi-num, Marburg 1971.Eintritt in die Bundeswehr Juli 1971. Pensionierung Juli 2014. Dietger Lather war Oberst im Generalstabsdienst. Er hat die deutsche und englische Generalsstabsausbildung absolviert. Auf Verwendungen im Bundesministerium der Verteidigung und in NATO Hauptquartieren folgte die Dozentur „Grundsätze Operativer Planungen, Krisenmanagement und Informationsoperationen“ an der Führungsakademie der Bundeswehr. Als Kommandeur des Zentrums Operative Information kommandierte er einen Medienverbund, der die Einsätze der Bundeswehr und der Nato medial begleitete. Er führte die Interkulturelle Einsatzberatung in den Streitkräften ein. Auf dem Balkan und in Afghanistan war er wiederholt eingesetzt. Von 2015 - 2022 unterstützte er Flüchtlinge in Deutschland. Federführend war er 2021 an der Erstellung des „Forderungskatalog Flüchtlingshilfe der Ehrenamtlichen Flüchtlingsinitiativen in der Stadt Marburg und dem Landkreis Marburg-Biedenkopf“ beteiligt. Seit 2022 lebt er in Innsbruck. Neben seiner Schriftstellerei unterstützt er weiterhin Flüchtlinge. Verheiratet in zweiter Ehe mit ass.Prof‘in Dr. Marion Näser-Lather. Aus erster Ehe vier Kinder. Publikationen: - Informations-Operationen – Erfahrungen aus dem Einsatz, in: Carsten Bockstette, Walter Jertz, Siegfried Quandt (Hg.), Strategisches Informations- und Kommunikationsmanagement, Bonn 2006, S. 272 - 289 - Strategische Kommunikation, Studie, 2009, Bundeswehrinterne Studie. - Strategische Kommunikation, in Natascha Zowislo-Grünewald, Jürgen Schulz und Detlef Buch, Den Krieg erklären: Sicherheitspolitik als Problem der Kom-munikation, Frankfurt 2011, S. - Für Deutschland in den Krieg, Sachbuch, Marburg 2015 - Zwei Welten, Roman, Berlin 2024

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