Literarische Korrespondenz:
Bernhard Kathan, Schriftsteller, an Landeshauptmann Anton Mattle
Betrifft:
Wenn man für kulturelle Ignoranz
auch noch bezahlen muss.
Anmerkungen zum Tourismus-Pflichtbeitrag

Sehr geehrter Herr Landeshauptmann Anton Mattle,
da Sie auch für Kunst und Kultur zuständig sind, erlaube ich mir folgende Bemerkung.

Ich habe von der Abteilung für Tourismus und -beitragsservice eine Vorschreibung für die Jahre 2024 und 2025 in der Höhe von je 38,00 Euro erhalten, obwohl ich meine berufliche Tätigkeit längst ruhend gestellt habe und mit einer Pension von derzeit monatlich 966,39 Euro zurechtkommen muss. Ich wusste nicht, dass man auch noch als Pensionist den Pflichtbeitrag zum Tourismusverband Innsbruck und seine Feriendörfer und zum Tiroler Tourismusförderungsfonds zu leisten hat.

Ginge es nur um 38,00 Euro, dann würde mich die Angelegenheit keine Sekunde tangieren. Mein Unmut verdankt sich der Missachtung all jener Leistungen, die Kulturschaffende für dieses Land und somit auch für die Tourismusindustrie erbringen. Als Zuständiger für Kunst und Kultur müsste Ihnen bekannt sein, dass der Großteil aller Kulturschaffenden in ziemlich prekären Verhältnissen lebt, auch dass sich die Tourismusindustrie in parasitärer Weise all dessen bedient, was Kulturschaffende an Arbeit leisten oder geleistet haben. Als Kulturpolitiker wären Sie gefordert, den Pflichtbeitrag für Kulturschaffende endlich abzuschaffen, und sei es aus symbolischen Gründen.

In Tirol gibt es schon seit Langem keine ernstzunehmende Kulturpolitik mehr, stattdessen wird verwaltet, bestenfalls mit schönen Sonntagsreden garniert.

Kulturpolitik hieße für mich Auseinandersetzung mit grundlegenden Fragen gesellschaftlicher Entwicklungen. Man muss nicht jeden Text oder jedes Kunstwerk gut finden, aber es sind vor allem Autoren und Autorinnen, Künstler und Künstlerinnen, die gleichsam seismographisch Entwicklungen dokumentieren und erkunden. Von Landesseite werden solche Leute freilich eher als lästig betrachtet und oft genug als Bittsteller behandelt. Und meldet sich einer oder eine kritisch zu Wort, dann hat er oder sie es mit der Kulturabteilung schwer.

Ich zum Beispiel habe mich mehrfach zum Bergisel-Museum geäußert. Es war ja abzusehen, dass bei diesem Projekt Geld buchstäblich zum Fenster hinausgeworfen wird, da es aus vielen Gründen nicht funktionieren kann. Auf meine Kritik hin wurden Anträge, die ich an die Kulturabteilung des Landes Tirol stellte, nahezu immer abgelehnt oder ein so geringer Betrag bewilligt, dass ich es zumeist unter meiner Würde fand, diesen anzunehmen.

Ihre für Kunst und Kultur zuständige Vorgängerin, die mir vor allem durch ihre Unbedarftheit wie ihre anlassbezogene Kleidung in Erinnerung geblieben ist, markierte einen Tiefpunkt. Ganz allgemein lässt sich sagen: Was für eine Verschwendung an vorhandenem Potenzial!

Dann würde ich mir gerne erklären lassen, wo ich in meinem Arbeitsleben einmal Nutznießer des Tourismus gewesen sein soll? Der mir abgepresste Pflichtbeitrag kommt einer Beleidigung gleich. Wissen Sie eigentlich, wie viel man mit einem Text verdient, nimmt man etwas nur genauer? Oft bleiben da an einem Tag nicht mehr als 30 Euro. Selbst wenn man gebeten wird, einen Text zu diesem oder jenem Thema zu schreiben, so heißt das noch lange nicht, dass er auch gedruckt wird.

Es ist reichlich absurd: Ich soll die Tourismusabgabe zahlen, konnte mir aber seit Jahrzehnten keinen Urlaub leisten. Da ich mich dafür entschieden habe, darf ich mich nicht beklagen. Aber beleidigen will ich mich doch nicht lassen. 

Das fett gedruckte Wort BESCHEID empfinde ich als Beleidigung.

Für mich hat all das auch eine komische Seite. Ich erinnere mich an ein Projekt, das ich ganz nach dem Motto Öffentliche Gelder verpflichten durchgeführt habe. Es ging um Chill out, ein soziales Projekt, um wohnungslosen Jugendlichen zwischen 12 und 21 Jahren eine Bleibe zu schaffen. Rainer Köberl war für die Architektur, ich für das Konzept zuständig. Bei einer Bedarfserhebung ergaben sich Zahlen, die mir nicht plausibel erschienen. Bei einer genaueren Untersuchung der von den betroffenen Einrichtungen angegebenen Fälle stellte sich heraus, dass durchwegs alle Einrichtungen mit deutlich überhöhten Fallzahlen operierten. Schon nach kurzen persönlichen Rückfragen war klar, dass viele der erwähnten Fälle jeder Aktualität entbehrten oder frei erfunden waren und keinesfalls etwas mit einer wirklichen Betreuung zu tun hatten. 

Anfangs war gar von 180 betroffenen Jugendlichen die Rede. Dank meines qualitativen Verfahrens kam ich auf einen Bedarf von zehn, maximal zwölf Übergangswohnplätzen. Hätte ich stattdessen von sechzehn oder achtzehn gesprochen, so wäre das damals auch in der Landesabteilung problemlos durchgegangen. Sie können sich vorstellen wie viel Geld ich dem Land Tirol durch meine Genauigkeit erspart habe. Denke ich an die Personal- wie Mietkosten, hätten wir es inzwischen mit einigen Millionen Euro zu tun.

Dieses Chill out scheint immer noch zu funktionieren. Übrigens war meine Arbeit damals ziemlich schlecht bezahlt, zumal ja nicht absehbar war, wie viel Zeit mich die Bedarfserhebung wie all die damit verbundenen Konflikte kosten würden. All das verdankte sich neben meiner sozialwissenschaftlichen Ausbildung vor allem Haltungen, die ich als Künstler entwickelt habe. Kunst – wie ich sie verstehe – hat viel mit Verantwortung und Genauigkeit zu tun, und sie lebt von Konflikten, die es auszutragen gilt.

Die Kulturabteilung und somit die Tiroler Kulturpolitik scheint mir so ziemlich das Gegenteil davon zu sein. Keine Fragen, keine Auseinandersetzung, stattdessen bürokratische Abarbeitung und wohl oft auch Abwimmelung. Im Laufe der Jahrzehnte konnte ich diesbezüglich einige sehr schräge Erfahrungen machen. Eines meiner Projekte galt dem Rind, zumal die Besiedlung alpiner Täler wie des Paznaun ohne Rind nur schwer zu denken ist. Der Antrag wurde wieder einmal wegen fehlenden Tirolbezugs abgelehnt.

Und selbst dann, wenn ein Tirolbezug nicht zu leugnen ist, kann man die Erfahrung machen, dass ein solches Projekt von der Kulturabteilung noch lange nicht geschätzt wird. Während der Pandemie habe ich mit meiner Frau, da alle Museen geschlossen waren, regelmäßig die eine oder andere Kirche besichtigt. So entstand die Idee, einmal einen ganz anderen Kirchenführer zu schreiben, einen Kirchenführer, in dem statt Zahlen und Namen herunter zu beten, Besucher in möglichst breiter Streuung eingeladen sein sollten, Tiroler Kirchen einmal ganz anders zu betrachten.

Da ich über einige Osttiroler Kirchen noch gerne mehr geschrieben hätte, habe ich bei der Kulturabteilung angesucht, das Projekt durch die Übernahme der Fahrt- wie der Aufenthaltskosten (eine Woche) zu unterstützen. Mit dem bewilligten Betrag hätte ich wohl nur die Hinfahrt bezahlen können, wie das Schreiben überhaupt bösartig klang. Ich verzichtete auf das Geld, fuhr also nicht nach Osttirol, schrieb also nichts über einige mir wichtige Kirchenbauten.

Ein anderer Blick auf Tiroler Kirchen ist längst überfällig und ich denke auch, dass so ein Projekt touristisch interessant sein könnte. Sie können sicher sein, sobald das Buch erscheinen wird, wird es seinen Niederschlag auf den Tourismusseiten diverser Gemeinden finden, natürlich ohne dass ich je etwas davon haben werde.

Natürlich verstand mich niemand in der Kulturabteilung, empfahl ich qualitative Kontrollverfahren (wie oben erwähnt) statt stumpfsinnig kleinste Geldbeträge abzustempeln und zusammenzählen; noch weniger, die so gewonnene Zeit für Museums-, Konzert- oder Projektbesuche zu verwenden oder sich hin und wieder Probleme von Kulturschaffenden anzuhören.

Völlig aus dem Rahmen fiel, als ich empfahl, die Kulturabteilung einmal durch künstlerische Eingriffe zu untersuchen (und zu entwickeln). Man muss nur einmal durch die Gänge des Landhauses gehen und die belanglose Kunst an den Wänden betrachten, um zu begreifen, was vonseiten des Landes gefragt ist. Ich habe mich aus gutem Grund nie um einen Ankauf durch das Land Tirol bemüht. Es war mir stets zu blöd, den Kratzbuckel zu machen und mich im Nachhinein mit Häme oder bösen Sprüchen wieder in die vermeintlich bessere Gesellschaft zu fügen.

Unlängst schenkte mir einer meiner Freunde den Computer seines verstorbenen Stiefvaters, der eine leitende Funktion in der Landesverwaltung innehatte. Als ich daranging, alle Dateien zu löschen, überkam mich auf die Verwaltung bezogen eine große Ernüchterung. Auf dem PC fanden sich neben Urlaubsfotos abertausende Pornos. Nicht ein einziger Text kam mir unter, der auch nur im Geringsten etwas mit der Arbeit des Verstorbenen, mit Tirol oder wie auch immer gearteten Problemen des Landes zu tun gehabt hätte. Ich fuhr zum Bauhof in der Rossau, um mich von diesem Gerät und all den damit verbundenen Bildern zu befreien.

Zurück zum Pflichtbeitrag: Wenn mir wenigstens die Verwendung der eingehobenen Gelder einleuchten würde! Weihnachtsmärkte mit dem grauslichen Geruch nach Glühwein, Urin oder Erbrochenem sind mir allein der billigen Stimmungsmache wegen zuwider. Wozu braucht es Musikpavillons, die in ihrer Architektur irgendwo zwischen Garage und Aufbahrungshalle anzusiedeln sind. Kulturabende dienen in der Regel nur der Unterhaltung. Musikpavillons, auch eine ziemliche Verschwendung, hilfloser Ausdruck des Bemühens, die Erinnerung an die zerstörten Ortskerne vergessen zu machen.

Vor Jahrzehnten lebte ich in einem der Feriendörfer, denen ich laut amtlichem Schreiben zugeordnet sein soll, und das in einem architektonisch bemerkenswerten Gefüge. Davon ist nichts geblieben. Dafür steht nun auf dem Dorfplatz, der sich nur so nennt, aber alles vermissen lässt, was einen Platz ausmacht, ein Musikpavillon. Was für ein Verlust! Wäre in die Entwicklung der historischen Bausubstanz investiert worden, dann liefen heute Japaner und Chinesen durch die lange Gasse. Das Feriendorf hat sich selbst abgeschafft und ist heute nichts anderes als ein Agglomerat von Bauwerken, die sich in jedem Speckgürtel finden. Wozu sollten sich Japaner oder Chinesen das ansehen? Von einem Feriendorf kann schon längst keine Rede mehr sein.

Es fehlte ja nicht an Leuten, die auf all das früh genug hinwiesen. Sie wurden nicht gehört, stattdessen vermutlich auch mit Pflichtbeiträgen des Tourismusverbands Innsbruck und seiner Feriendörfer wie des Tiroler Tourismusförderungsfonds drangsaliert.

Bezeichnenderweise fehlt unter den genannten Investitionen die künstlerische Auseinandersetzung mit dem Tourismus. Und so braucht man sich nicht wundern, dass mit Rezepten der Vergangenheit Problemen der Gegenwart begegnet wird.

Leider werde ich es nicht erfahren: Vermutlich werden mir auch noch dann Aufforderungen zur Zahlung des Pflichtbeitrags (über Worte sollte man genauer nachdenken) zugestellt werden, während ich in einem Sarg verrotte. Oder hat man mich aus Kostengründen in Aschemehl verwandelt? Der wie immer geartete Gott möge mich bald in seine Arme nehmen, um mich von vielem Unsinn, unter dem die abgepressten Pflichtbeiträge sich ziemlich lachhaft ausnehmen, zu befreien.

Mit freundlichen Grüßen
Bernhard Kathan

PS.: Mehr Mut braucht die Politik! Nicht auf die falschen Karten setzen.

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Bernhard Kathan

Bernhard Kathan (* 20. Juni 1953 in Fraxern) ist ein österreichischer Schriftsteller und Konzeptkünstler. Bernhard Kathan studierte an der Universität Innsbruck die Fächer Erziehungswissenschaften und Psychologie. Nach dem Studium beschäftigte sich Kathan in diversen Forschungsprojekten mit Fragen der Alltagsforschung. Er gründete das Innsbrucker Institut für Alltagsforschung[1] und war Herausgeber der Schriftenreihe Texte zur qualitativen Sozialforschung. Ende 1980 wandte er sich zunehmend Fragestellungen der historischen Anthropologie zu, beschäftigte sich mit dem sich wandelnden Verständnis des Schmerzes und Todes, mit der Geschichte der Tierliebe[2] und der Tierschutzbewegung oder der Organisation der Wahrnehmung. Seit langem auch als Künstler arbeitend, zog sich Kathan um 1990 aus dem Galerie- und Ausstellungsbetrieb zurück. Ende der 1990er Jahre gründete er das Hidden Museum, das er bis 2018 betrieben hat. Bernhard Kathan lebt in Innsbruck. (Wikipedia)

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