Literarische Korrespondenz:
Bernhard Kathan an Elias Schneitter
Betrifft:
Das Gesundheitssystem ist nicht mehr finanzierbar.
Lieber Elias Schneitter!
Ich gebe dir völlig recht, über kurz oder lang wird unser Gesundheitssystem nicht mehr wie gehabt finanzierbar sein. Und zwar nicht nur das Gesundheitssystem.
Angesichts dessen sollte man langsam andere Fragen stellen: Wollen wir überhaupt die Medizin, so wie sie nun einmal ist? Ich auf jeden Fall nicht.
Ich hatte während des letzten Jahres viele Gelegenheiten, den klinischen Moloch, der alle Merkmale einer Metastasierung zeigt, von innen zu erleben. Dabei habe ich manche Kosten-Nutzen-Rechnung angestellt.
Denke ich an all die MRTs oder vergleichbare Untersuchungen, dann kann ich sagen, dass nicht wenige von ihnen völlig sinnlos waren, mir nicht dienlich und dabei nicht wenig Geld gekostet haben.
Oder an einen diagnostischen Eingriff, auf den man gut verzichten hätte können, der aber für mich ziemlich unangenehme Folgen hatte, was wiederum nicht auffiel, zumal ja einer von fünfzig Patienten damit zu rechnen hat.
Die heutige Medizin weckt Erwartungshaltungen, die oft genug im Widerspruch zu den tatsächlichen Erfahrungen von Patienten stehen. Das scheint auch nicht aufzufallen. Die Mühle dreht sich und dreht sich. Alles geht seinen normalen Gang.
Über Krankheit und Tod müsste anders diskutiert werden, und zwar sehr nüchtern.
Und dann hieße es, einige Überlegungen anzustellen über all die Potenziale, die in der Apparatemedizin verschütt gegangen sind. Das wird es aber nicht geben, statt dessen ein ziemlich hartes Erwachen.
Man müsste auch die Komik sehen, natürlich nicht wie die Roten Nasen, einer gewissen Poetik Raum geben, auf Schönheit setzen, nicht aber auf die verlogene Schönheit, die in Form von belanglosen Kunstwerken in der Klinik an den Wänden hängt oder in Räumen herumsteht.
Ach, darüber ließe sich lange lamentieren. Vielleicht tu ich mir das noch an und beschreibe meine Reise durch den klinischen Wintergarten.
Mit herzlichen Grüßen Bernhard Kathan
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