Literarische Korrespondenz:
Bernhard Friedle an schoepfblog
Betrifft:
"Es war einmal ein Dorf …"
Oder:
Wem gehört ein Dorf?
Sehr geehrte Damen und Herren!
Angeregt durch den Artikel von Reinhard Kocznar vom 15.05.2025 unter dem Titel Die Überflieger. Großmannssucht, Förderungen und 80% Rabatt. Ein Wirtschaftsmärchen möchte ich Ihnen die jüngsten Vebauungspläne in der Gemeinde Oetz zur Beurteilung vorlegen.
Seit vielen Jahren steht das kleine, ehemalige Hotel Berghof in Oetz leer. Der Gastbetrieb war einst ein typischer, familiär geführter Kleinbetrieb, der in den wirtschaftlich aufstrebenden Nachkriegsjahren zu einem bescheidenen touristischen Unternehmen ausgebaut wurde. Heute jedoch präsentiert sich das einstige Gasthaus als baufälliges Relikt vergangener Zeiten – verlassen, vernachlässigt, im Gebiet der Ortsteile Schrofen und Kircheben gelegen.
Seine Lage oberhalb der Oetzer Pfarrkirche und des historischen Ortskerns ist malerisch. Eingebettet in einen traditionellen Weiler mit elf Wohnhäusern, in denen vielfach noch Nebenerwerbslandwirtschaft betrieben wird, bietet das Areal einen beeindruckenden Panoramablick über das Tal – eine reizvolle Szenerie inmitten intakter Landschaft.
Diese besondere Lage hat jedoch die Begehrlichkeit eines Investors aus dem Tourismusort Sölden geweckt. Bereits vor zwei Jahrzehnten begann dieser, hier Grundstücke und Immobilien aufzukaufen: Neben dem ehemaligen Berghof erwarb er Wohnhäuser, einen Stall und Stadel sowie umliegende Wiesen. Nun soll das gesamte Ensemble umfassend neu entwickelt werden.
Geplant ist ein exklusives Hotelprojekt: Ein Fünf-Sterne-Luxusresort mit 150 Betten, mehr als 90 Tiefgaragenplätzen, einem Gourmetrestaurant auf Haubenniveau mit großzügiger Panoramaterrasse, einem Infinitypool – beheizt und ganzjährig nutzbar. Ein Wellnessdomizil für eine wohlhabende Klientel, eingebettet in bäuerlich gewachsene Strukturen. Der Bürgermeister spricht von einer bedeutenden Weiterentwicklung für den Ort und von zusätzlichen Steuereinnahmen. Mit den ansässigen Bewohnern von Schrofen und Kircheben allerdings wurde im Vorfeld nicht gesprochen.
Diese jedoch blicken mit Sorge auf das Vorhaben. Sie wünschen sich kein Luxushotel. Sie wehren sich gegen ein Bauvolumen, das jenem von 35 Einfamilienhäusern entspricht – ein Komplex, der sich über sieben Etagen erstrecken soll. Ergänzt wird das Projekt durch eine Reithalle und 36 Pferdeboxen sowie etwa 50 Personalwohnungen. Rund eineinhalb Fußballfelder Fläche würden versiegelt, dominiert von Beton, Glas und Flachdächern – Architektur, die in keinerlei Beziehung zur bestehenden Dorfstruktur steht.
Ein Leuchtturmprojekt, so verspricht es der Investor. Ein Eiffelturm für Oetz – weithin sichtbar, thronend über der Pfarrkirche, die angesichts eines bis zu 80 Meter langen und etwa 50 Meter breiten Hotelkomplexes auf dem Berghang zu verschwinden droht. Die dezent warmgelbe Beleuchtung der Kirche würde abends im Lichtermeer des Hotels untergehen.
Das Projekt mit einem Investitionsvolumen von 40 Millionen Euro soll – so der Bürgermeister – im Sinne der Gemeinde realisiert werden. Man habe sich im Raumordnungsvertrag ein Vorkaufsrecht gesichert. Doch in der Bevölkerung regt sich Widerstand. Die Anrainerinnen und Anrainer von Schrofen und Kircheben sehen ihre Heimat bedroht, ihre Lebensqualität gefährdet. Sie stellen eine einfache, aber tiefgreifende Frage, die derzeit viele in Oetz beschäftigt:
Wem gehört das Dorf?
Den Menschen, die hier leben – oder jenen, die es als Investitionsobjekt betrachten? Über 500 Unterschriften haben die Gegner des Projekts gesammelt. Sie fordern Transparenz, Mitbestimmung – und vor allem eine zukunftsorientierte Dorfentwicklung, die Identität, Tradition und Lebensqualität bewahrt.
Besonders brisant: Das Hotel würde direkt oberhalb der Kirche entstehen, unübersehbar und dominierend. Für viele steht es symbolisch für eine Baupolitik, die zunehmend auf Profit statt auf Gemeinwohl und kulturelle Kontinuität setzt. Die geplante Architektur wird als Fremdkörper empfunden – als massiver Eingriff in das gewachsene Ortsbild, als irreversible Veränderung eines Stücks Heimat.
Sind wir als Zivilgesellschaft nicht jetzt gefordert, gegenzusteuern? Denn sonst bleibt nur ein bitterer Satz zurück:
„Es war einmal ein Dorf …“
Im Namen aller Unterzeichner
Bernhard Friedle
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