Lena Hallbrucker
Als Englischlehrerin in einem indischen Dorf
Chor / Werbefotos und Hochzeitskleid
Hochzeiten
Die Suche nach der verlorenen Kuh
Reportage 3. Teil
1. Teil: https://schoepfblog.at/lena-hallbrucker-als-englischlehrerin-in-einem-indischen-dorf-reportage-1-teil-aufbruch-schlaflose-naechte-kleidung-a-letter-from-india/
2. Teil: https://schoepfblog.at/lena-hallbrucker-kirche-pondicherry-klassenunterschiede-vinnarsi/
Chor
Auf den Wunsch einiger Schülerinnen und Schüler hin haben Lea und ich einen kleinen Chor für die Oberstufe ins Leben gerufen, mit dem wir eine Stunde pro Woche proben durften. Wir sind beide musikalisch und spielen Instrumente – ich hatte meine Klarinette dabei, Lea ihre Ukulele. Allerdings mussten wir den Chor bald in zwei Gruppen teilen, da der Andrang einfach zu groß war und wir die große Gruppe an Schülern nicht mehr kontrollieren konnten.
Die Chorstunden sind mir immens wichtig geworden. Ich weiß auch nicht, wieso – es liegt sicher nicht daran, dass die Schüler wie kleine Engel singen, eher im Gegenteil. Trotzdem liebe ich diese Stunden und es trifft mich immer, wenn sie ausfallen oder von anderen Lehrerinnen beansprucht werden (wenn zum Beispiel eine Prüfung ansteht oder ein Tanz einstudiert werden soll). Mit meiner Gruppe singe ich ausschließlich englische Lieder, die wir manchmal auch aufführen dürfen. Bei der Weihnachtsfeier haben Lea und ich es gewagt, mit dem ganzen Chor ein Lied zu singen, das wir separat in unseren Gruppen einstudiert haben – das hat überraschend gut funktioniert.
Die Kinder in der Schule und im Internat lernen Lieder und Tänze meist auf die Art, dass sie sich so oft ein YouTube-Video ansehen, bis sie es können. Einmal habe ich im Internat bei so einem Tanz mitgemacht und das Durchhaltevermögen der Mädchen bewundert, immerhin bringen sie sich die Choreographie quasi selbst bei, da es niemanden gibt, der sie ihnen erklärt – nur das immer wiederkehrende, immer dasselbe Video.
Auch im Chor möchten die Kinder am liebsten auf diese Weise lernen, und so singe oder spiele ich ihnen immer wieder dieselben Passagen vor, was sich für mich ziemlich komisch anfühlt. Einige haben richtig Talent, was das Nachsingen von Tönen und Melodien betrifft, der Rest schwimmt einfach mit. Noten lesen kann kein Einziger von ihnen. Der ursprüngliche Zweck, Englisch durch Lieder zu lernen, ist jedenfalls nicht aufgegangen. Aber es macht Spaß.
Aparna und die Werbefotos (und das Hochzeitskleid)
Anfang Dezember wurde uns angekündigt, dass für Weltwegweiser in Österreich Werbefotos gemacht werden sollen – von uns. Wir waren deshalb natürlich ziemlich aufgeregt, und ich war froh, dass ich mir für den ganzen Monat Dezember in meiner Unterrichtsplanung Stunden mit weihnachtlichen Themen ausgedacht hatte, weil das auf den Fotos sicher hübsch aussehen würde. Die Fotografin war eine sichtlich wohlhabende, elegante und erfolgreiche Frau Mitte 30 aus dem Bundesstaat Karnataka. Erst später hat sie uns von all ihren eigenen Projekten und ihrer Arbeit erzählt, wodurch uns klargeworden ist, dass wir es mit einer äußerst prominenten Fotografin zu tun hatten. Wir haben uns auf Anhieb sehr gut mit ihr verstanden, und so nahmen wir die Einladung gerne an, als sie uns zu sich nach Hause in die große Stadt Bangalore einlud.
Vier Tage sind für diesen Aufenthalt in Bangalore geplant, wovon wir zwei Tage mit Aparna, der Fotografin, verbringen. Bangalore ist eine beeindruckende, riesengroße und moderne Stadt, die Reichtum ausstrahlt (vorhin aus dem Busfenster habe ich ein Ritz Carlton gesehen).
Wir waren mit Aparnas Fahrer sogar kurz in einer Gated Community, um Sauerteigbrot zu holen (wie dekadent das klingt!). Mit Aparna und Kavya, ihrer siebenjährigen Tochter, gehen wir schließlich ins Kino, wo wir unseren ersten richtigen Bollywood-Actionfilm sehen (wer gedacht hat, Actionfilme aus Hollywood seien episch, sollte sich Pathaan ansehen).
Kavya spricht Englisch als Muttersprache, allerdings keine indische Sprache, und sie besucht eine teure internationale Privatschule. Als ich ihr abends mit den Hausaufgaben helfe, stellt sie mir treffende Fragen und zieht selbstständig Schlussfolgerungen – fühlt sich so Unterrichten unter normalen Umständen an?
Am nächsten Tag gehen wir mit Aparna und ihrem Mann (er ist Thai und Kunstmanager im Louvre in Abu Dhabi) in ein Frühstückslokal, und Aparna hat den spontanen Einfall, zum Spaß in ein Designer-Kleidergeschäft für Brautmode zu gehen – immerhin ist indische Brautmode weltweit populär und bekannt.
Ich darf sogar eine rosafarbene Braut-Lehenga anprobieren, die mir so gut passt, dass ich ernsthaft darüber nachdenke, sie zu kaufen und einmal darin zu heiraten. Aber dann erkundige ich mich nach dem Preis und ich ziehe sie lieber schnell aus.
Hochzeiten
Denkt man an indische Hochzeiten, hat man sofort tausend Farben, laute Musik und wilde Tänze im Kopf. Spätestens die Hochzeit von Anant Ambani im Sommer 2024 hat der Welt gezeigt, was für eine besondere Angelegenheit eine Hochzeit in Indien ist. Die Feierlichkeiten hinduistischer Hochzeiten erstrecken sich oft über mehrere Tage und sind sehr kostspielig. Nicht nur die Reichsten der Reichen greifen hier tief in den Geldbeutel, sondern durchaus auch die Ärmsten der Armen.
Auf die erste Hochzeit war ich bereits vor meinem Abflug nach Chennai eingeladen worden, weil der Bruder des indischen Pfarrers, der in Leas Heimatort predigt, heiraten wird. Die Hochzeit findet am 31.08.2022 in einer katholischen Kirche statt, Lea und ich sollen die Messe musikalisch untermalen.
Vor der Zeremonie werden Lea und ich von der Familie von oben bis unten eingekleidet, frisiert und geschminkt. Sie behandeln uns wie Freunde, obwohl sie uns noch nie zuvor gesehen hatten. Von dieser Gastfreundlichkeit war ich so überwältigt, dass ich mich stark zusammenreißen musste, um nicht von Emotionen überrollt zu werden.
Anschließend haben sie uns Gewand und Schmuck auch noch geschenkt. Auf der Hochzeit waren ungefähr 1.500 Gäste, die alle etwas zu essen bekamen und ihrerseits Geschenke brachten. Alle trugen wunderschöne Kleider, und die Kirche war festlich geschmückt. Nach der Messe stand das Brautpaar ungefähr zwei Stunden vor einer künstlichen Blumenwand, um Fotos mit allen Gästen zu machen – es war überwältigend, wenn auch nicht so ausgefallen wie eine hinduistische Hochzeit.
Im Laufe des Jahres habe ich noch einige Hochzeiten besucht, von denen ich ganz verschiedene Eindrücke bekommen hatte. Die meisten waren katholisch, aber auch zwei hinduistische waren dabei. Allerdings war nur eine einzige davon nicht arrangiert.
Die meisten Ehen in Indien werden wohl noch immer traditionell von den Eltern der Brautleute arrangiert, auch wenn es inzwischen Online-Plattformen gibt, die dabei behilflich sein können. Der Brauch verlangt es, dass die Braut eine gewisse Mitgift in Gold mit in die Ehe bringt, wofür sich viele Familien verschulden.
Nach der Hochzeit zieht die Braut zur Familie des Bräutigams, der oft sein ganzes Leben in seinem Elternhaus bleibt. Von den Lehrerinnen habe ich gehört, dass es sehr oft zu Streitereien zwischen Schwiegermutter und Ehefrau kommt, und dass sich junge Ehefrauen von den Müttern ihrer Männer oft schlecht behandeln lassen müssen.
Scheidungen sind zwar möglich, allerdings ist dazu das Einverständnis beider Eheleute notwendig, und der Prozess ist sehr teuer und langwierig. Das weiß ich von der Köchin Jessi, die seit Jahren getrennt von ihrem gewalttätigen Mann lebt, der nicht in die Scheidung einwilligen will.
Die Suche nach der verlorenen Kuh
Das Mädcheninternat befindet sich am äußeren Rand des 2000-Seelen-Dorfes Maranodai, das direkt an Gedilam grenzt. Die Bevölkerung ist teils hinduistisch und teils christlich, und vor dem Internat steht eine große katholische Kirche. Das Dorf wird von einer weiten, grünen Landschaft umgeben, die teilweise von den Bauern im Dorf bewirtschaftet und als Weidegebiet für Kühe verwendet wird. Sehr viele der Dorfbewohner halten eine Kuh, darunter auch Vinnarsi, eine der Köchinnen im Internat.
Ich liebe den kleinen Weg, der hinter dem Internat hinaus auf die Felder geht. Früh genug am Morgen eignet er sich hervorragend für ein paar Laufrunden, abends für längere Spaziergänge. Der schmale Trampelpfad ist ungefähr 1,5 Kilometer lang, danach kann man über die Wiesen weitergehen und schließlich zum breiten Fluss gelangen.
Am Fluss sehe ich fast jedes Mal einen Pfau – letztes Mal sogar vier fliegende Pfauen auf einmal. Anfangs hatte ich Angst wegen Schlangen im hohen Gras, aber entweder gibt es hier keine Schlangen, oder sie haben noch größere Angst vor mir.
Es war ein heißer Tag und ist noch ein warmer Abend, deshalb habe ich mich diesmal für Gehen statt Laufen entschieden. Als ich mich gerade auf den Rückweg machen will, läuft mir Vinnarsi über den Weg und wir unterhalten uns auf unsere ganz eigene Art und Weise – sie ist auf der Suche nach ihrer Kuh, die wohl ihr Mann hätte von den Feldern holen soll, aber das nicht getan hat.
Gemeinsam mit Vinnarsi mache ich mich also auf der Suche nach ihrer Kuh, was sich in einem Dorf voller Kühe und unendlich weiten Feldern tatsächlich als schwierig herausstellt. Vinnarsi schließt die Möglichkeit, die Kuh könnte sich weit vom Dorf entfernt haben, bald aus, also machen wir uns auf den Weg in das Innere des Dorfes.
Dabei bekomme ich ein mulmiges Gefühl, weil mich die Dorfbewohner immer anstarren, als wäre ich ein Gespenst, und mir Fragen stellen, die ich nicht verstehe. Normalerweise vermeide ich es also, ins Dorf zu gehen. Es ist so aufgebaut, dass jede Familie ein eigenes kleines Haus aus Zement oder Lehm bewohnt, wobei die Qualität der Häuser stark voneinander abweicht: Es gibt solide Häuser mit 2 Stockwerken und guten Dächern, aber auch kleine Lehmhütten mit Strohdächern.
Ein Haus besteht meist aus einem Wohnraum und einer kleinen Küche, wobei alle Familienmitglieder am Boden desselben Raumes schlafen. Die Küche besteht meist aus einem kleinen Gasherd, der am Boden steht. Schränke oder anderen Stauraum besitzen die wenigsten.
Kühe und Hühner sind unter einem am Haus angrenzenden Vordach untergebracht. Von außen sind die Wände der Häuser mit bunten Symbolen, Tieren, Göttern und Früchten bemalt (inzwischen habe ich mich sogar an die Sonnenräder gewöhnt).
Als ich nun mit Vinnarsi durch die Gassen gehe und sie jeden zweiten nach ihrer Kuh fragt, vergleiche ich den Ort wieder einmal mit dem Ötzi-Dorf in Tirol. Langsam bricht bereits die Dämmerung herein und wir werden nervös, ob wir die Kuh (die übrigens keinen Namen hat – Vinnarsi hat mich ausgelacht, als ich sie danach gefragt habe) noch rechtzeitig finden werden.
Erschöpft gelangen wir zu Vinnarsis Haus, vor dem besagte Kuh friedlich auf dem Boden liegt und uns anstarrt, als würde sie schon ewig auf uns warten. Noch Monate danach erzählten Vinnarsi und ich unter Lachanfällen die Geschichte von der verlorenen Kuh.
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