Klaus Schredelseker
Keine Angst vor Ideologen
Wir brauchen sie.
Essay
Ein Gespenst geht um und nicht nur in Europa, das Gespenst des Populismus. Allein das Wort gibt Rätsel auf, meint es doch wörtlich dem Volk zugewandt, etwas, was in einer Demokratie eigentlich selbstverständlich sein sollte. Wie anders soll das Volk (gr: demos) regieren (gr: kratein) als durch Politiker, die dem Volk zugewandt sind?
Gleichwohl ist der Begriff in der öffentlichen Debatte negativ konnotiert, sogar so sehr, dass selbst die Populisten es entrüstet von sich weisen, wenn man ihnen Populismus unterstellt. Sie wollen keinem –ismus anhängen, sondern frei von einengenden Ideologien und im Gegensatz zu den herrschenden, ihren jeweiligen Machtgelüsten verhafteten Eliten ganz einfach und bodenständig die wahren Interessen des einfachen Volkes vertreten.
Sie sind weltweit zur politischen Realität geworden, die Herren Berlusconi, Farage, Trump, Orban, Kurz, Bolsonaro, Blocher u.v.a. Natürlich war Kurz ein politisches Talent (das waren/sind die anderen vorgenannten auch), aber ich hatte bei ihm immer den Eindruck, er habe einen dieser berühmten Chips implantiert, der ihn mit einem Meinungsforschungsinstitut verbunden hält: Stellt man ihm eine Frage, so signalisiert ihm das System, was er sagen soll, um hoher Zustimmung sicher zu sein.
Wie die anderen genannten kam Kurz damit jener Karikatur eines homo politicus nahe, der alles seinem persönlichen Machtstreben unterordnet, ähnlich der Karikatur eines homo oeconomicus, der alles seinem persönlichen Gewinnstreben unterordnet. Beide homines sind zwar nur Kunstfiguren aus akademischen Lehrtexten, aber sie bilden die eine Seite des realen Spektrums ab; reale Politiker und reale Wirtschaftstreibende können diesen Bildern mehr oder minder nahekommen.
Natürlich gibt es Unternehmer, deren Streben ausschließlich auf Gewinn ausgerichtet ist und die bereit sind, alles zu tun, um dieses Ziel zu erreichen; sie sehen sich als Diener des Konsumentenwillens (vikarische Funktion des Unternehmers), dem zu folgen ihnen den meisten Vorteil bringt. Das muss nicht schlecht sein, solange sie bei ihrem Handeln die gesetzlichen Normen respektieren. Das ist das Bild des typischen homo oeconomicus.
Es gibt aber, vielleicht sogar häufiger, Unternehmer, deren Ziel es ist, etwas zu erschaffen oder zu bewahren, einen positiven Beitrag zur Erreichung eines wünschenswerten Ziels zu leisten; wird dabei ein finanzieller Vorteil erzielt, so wird er als angemessene Abgeltung einer erbrachten Leistung angesehen, der Vorteil war aber nicht die primäre Triebfeder. Beide Zugänge sind gesellschaftlich akzeptiert, wenngleich in der allgemeinen Beurteilung nicht gleichermaßen moralisch bewertet.
Übertragen wir diese Überlegungen aus der Welt der Ökonomie auf die Politik. Dem homo oeconomicus aus der ökonomischen Welt entspricht der homo politicus aus der politischen Welt, eben der Populist, dessen Handeln primär auf Stimmengewinn ausgerichtet ist; sein Kompass wird durch das Marketing bestimmt, das ihm verlässlich die Wählerwünsche mitteilt, an denen er sich zu orientieren hat, um das Ziel, seine persönliche Macht zu festigen, erreichen zu können.
Auch dagegen ist zunächst einmal nichts einzuwenden, wenn man das politische Spiel akzeptiert, das Anthony Downs in seinem richtungsweisenden Buch über die Ökonomische Theorie der Demokratie beschrieben hat; auch hier bestimmt das Gesetz die Grenze des Möglichen. Dem eher intrinsisch (visionär) motivierten Unternehmer entspricht in der politischen Welt der Ideologe, der Politiker, den ein mehr oder minder gefestigtes Weltbild treibt, eine Grundüberzeugung, aus der er seine politischen Sachentscheidungen ableitet und die er gerne im allgemeinen Bewusstsein der Gesellschaft verankert sehen möchte. Aus mehr oder minder nachvollziehbaren Gründen sind Ideologien allerdings sehr in Misskredit geraten: ein anständiger Politiker habe an der Sache orientiert und frei von einengenden Ideologien zu denken.
Ich halte diese Einstellung für verfehlt.
Die heutige Politik hat ein Maß an Komplexität erreicht, die es den Bürgern nicht mehr erlaubt, zu allen Facetten der politischen Realität eine begründete Meinung einzunehmen. Wie soll er sich ein sachgerechtes Urteil über die positiven oder negativen Auswirkungen des Mercosurvertrags, über die Zulassung von Cannabis, über die Beschaffung neuer Kampfjets für das Bundesheer, über die Sinnhaftigkeit von Vermögenssteuern, den Tarifvertrag in der Metallindustrie, die Zulässigkeit von Kopftüchern in der Schule oder die neue Hundesteuerverordnung u.v.m. bilden?
Selbst ein Abgeordneter zum Nationalrat, der ordentlich dafür bezahlt wird, über all dies nachzudenken, ist damit schnell überfordert. Umso mehr gilt das für den politisch interessierten, aber nicht politisch aktiven Bürger. Er wird fürs politische Problemlösen nicht bezahlt und hat dafür auch nur ein begrenztes Zeitbudget. Was er braucht, sind Politiker, deren Kompass in die Richtung weist, die er auch einschlagen würde, ohne dass er sich in jedes Einzelproblem zeitaufwendig einarbeiten muss. Das schließt natürlich nicht aus, dass er bei manchen Problemen andere Lösungen präferiert.
Was eine Demokratie braucht, sind somit Politiker mit einem klar erkennbaren politischen Profil, einem gefestigten Weltbild (deutsches Wort für Ideologie) natürlich gepaart mit hohem Sachverstand. Eine Demokratie braucht Politiker, die auch ein gewisses Sendungsbewusstsein mitbringen dürfen und an denen der Bürger sich orientieren kann: sie braucht keine Politiker, deren Positionen sich am begrenzten Sachverstand der Bürger orientieren, um Stimmen zu maximieren.
Nur Ideologien können in einen fruchtbaren politischen Wettbewerb treten, in dem über politische Themen gestritten wird: Unsere Ideen sind besser als die von Euch; nein, Ihr seht das falsch, die unsrigen sind besser. Populisten hingegen streiten um die Vorherrschaft im Meinungsstreit: Unsere Botschaft bekommt mehr Followers als Eure und ist deswegen wirkungsmächtiger.
In der Weihnachtsausgabe 2024 des Falter wurden Wünsche an das Christkind geäußert, einer davon war: Ich wünsche mir politische Parteien, deren Spitzenpersonal Vorbildwirkung hat. Ob es den durch die jüngsten Umtriebe geschwächten Ideologen gelingt, diesen Wunsch zu erfüllen, weiß ich nicht; ich hoffe es, weil ich andernfalls Bedenken um den Fortbestand unserer Demokratie habe. Den Populisten wird ein solcher Wunsch jedenfalls nicht gelingen. Ideologen, Ihr werdet gebraucht!
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Lieber Herr Schredelseker,
zuerst ist Ihnen für das Plädoyer zu danken, das Sie für ambitionierte Politiker vortrugen, die es doch auch gibt!
Natürlich reiben Sie sich am Bedeutungswandel unseres Vokabulars, das einmal mehr nicht bei jenem Leisten blieb, den der Schuster in der Sprache anfertigte. Caesar gehörte bekanntlich der Popularenpartei an, obwohl er seinen Stammbaum von der Venus ableitete.
Dass Populismus eine üble Sache ist, obwohl er wie ein „Naturtalent“ in so manchem Politiker schlummert, hat sich eingebürgert. Sie schildern das trefflich am Beispiel „unseres Kurz“. Was wäre ein Korrektiv? Manés Sperber schrieb darüber in seinen „Sieben Fragen zur Gewalt“: den Populismus korrigiert die jeweilige individuelle private Rechtschaffenheit.
Ich weiß nicht, ob Sie den Wortlaut jener Wirtshausrunde in Wien-Simmering lasen, den ein frz. TV-Team aufgezeichnet hat. Darunter sprachen zwei Abgeordnete der FPÖ, beide Anwälte!, in ungeheuerlicher Weise über diverse Punkte unserer Problemlagen. Diese hatten ihre private Rechtschaffenheit vor Betreten des Wirtshauses offenkundig abgelegt.
Also folge ich Ihrer Linie, dass niemand alles über Materien der politischen Entscheidungen wissen kann, doch ist jeder in die Pflicht zu nehmen, diese Kenntnisse entweder bei Bedarf nachzuholen, oder aber sich in objektiver Weise zu wichtigen Gesetzesvorlagen oder gar Bestimmungen zu äußern.
Im zweiten Punkt brechen Sie eine Lanze für Ideologien. Wenn Sie diesen Wortlaut nach Hegel interpretieren, ist nichts einzuwenden. Ich neige nicht zu jener Ideologiekritik, die der Positivismus auf seine Fahnen schrieb, speziell der Rechtspositivismus.
Allerdings müssen Ideologien der Prüfung standhalten – wie etwa im Streit ums Naturrecht, ohne das wir schwer Menschenrechte argumentieren können. Giorgio Agamben hat das im „Homo sacer“ großartig dargestellt und die Heiligkeit der Körper beschrieben, die jenseits jeder Rechtsordnung oder gar vor deren Zugriffen zu schützen sind.
Noch präziser äußerte sich Agamben in der Analyse „Was von Auschwitz bleibt“. Es ist eine Schande, dass kein Rechtspositivist an den juridischen Fakultäten sich die Mühe macht, sich dieser Frage zu stellen. So bin ich neben Ihnen beim Rettungsversuch der Ideologie.
Sie werden aber auch mit mir eines Sinnes sein, dass etwa Rasse-Ideologien etc. diesen Schutz nicht in Anspruch nehmen können. Die besten Analysen dazu schrieb Eric Voegelin in : „Rasse und Staat“ samt Kritik am Rechtspositivismus und in den „Rassenideen in der Neuzeit“ 1923/1924. Es gab ja die Zeit, in der in weiterer Folge Begabung oder gar Kriminalität nach solchen Kriterien zugeschrieben wurden – oder eben nicht – zuletzt bei Sarrazin in „Deutschland schafft sich ab“.
Jederzeit müssen wir eine Ideologie verteidigen, (Sie schreiben richtig: es ist ein „Weltbild“) da sie von Karl Popper einfach demoliert wurde. Allerdings hat dieser nie den Unterschied zwischen Natur- und Gesellschaftsontologie verstanden, was als Unkenntnis leider bis in die Humanwissenschaften gelangte.
Unser Problem wird sein, dass eine populäre Ideologie keine Benennung mehr erhält, da generell alles negativ konnotiert ist. Ich erinnere mich, dass als Ersatz für Ideologie die „versachlichte Politik“ zum Schlagwort wurde. Hätte man damals Bruno Kreisky gesagt, er möge seine Ideologie in politische Sachlichkeit verwandeln, hätte er es teilweise getan , weil es ihm unbedeutend schien, hätte aber sich weiterhin zu einer Ideologie bekannt, die die Gleichheit der Menschen, die Freiheit des Menschen in den Mittelpunkt rückt.
Er hatte von der Sozialdemokratie ein ideologisches Bild, das er von Karl Kautsky und Otto Bauer abgeleitet hatte. Ihm jetzt zu unterstellen, er möge seiner Ideologie abschwören, hätte nur sein Kopfschütteln verursacht. Das war ja hin und wieder – selten genug – auch in unseren Gesprächen das Thema.
Allerdings heißt es auch, dass man in ähnlicher Weise die gegenteilige Ideologie (aner)kennen muss, die auf ebenbürtiger Höhe Anderes für sich beansprucht. Wer wissen will, was Konservativismus ist, sollte sich schnell bei Karl Mannheim umschauen.
Was uns beiden auf die Nerven geht – so nehme ich an -, ist der Umstand, dass Popularität – wie diese der verstorbene Otto Schenk besaß – und Ideologie durchwegs tragfähige Begriffe sein können und auch dürfen, allerdings wurde deren Rang und Integrität im Nationalsozialismus nachhaltig verletzt oder gar ruiniert. Darunter leiden wir noch immer.
Im englischen Sprachraum hätten wir weit geringere Schwierigkeiten, uns „populärwissenschaftlich“ auszudrücken oder gar eine ideologische Position zu beziehen.
Jedenfalls ist Ihnen zu danken, dass Sie mit Ihrer Darstellung die Spur unserer Sprechverbote oder gar der political correctness und deren Folgen deutlich gemacht haben.