Johannes Sprenger bespricht:
Kann Humor denn Sünde sein?
Das Neujahrskonzert des Tiroler Kammerorchesters InnStrumenti
am 6.1. 2025 im Saal Tirol des Congress Innsbruck
Mitnichten, möchte man spontan antworten, wenngleich es im Leben wohl Situationen gibt, in denen er unpassend ist. Einem Neujahrskonzert ist er aber durchaus angemessen und das TKO InnStrumenti praktizierte ihn an seinem fulminant-unterhaltsamen Konzertabend am vergangenen Montag im Innsbrucker Kongresshaus auch recht ausgiebig.
Nachdem Orchesterchef Gerhard Sammer zusammen mit seinem Moderatorenduo Jan-Hinnerk Arnke und Kristoffer Nowak direkt von der Bergiselschanze eingeflogen war, dirigierte er, noch im Schiflugdress, Rossinis Ouvertüre zu Der Barbier von Sevilla, ein Meisterwerk musikalischer Komik, dem der Dirigent und sein Orchester mit Spielwitz und präziser Gestaltung der Tempi mehr als gerecht wurden.
Während der darauffolgenden Moderation über Barbier-bezogene Neujahrsvorsätze wurde ein Grammophon hereingetragen, auf dem dann, bildlich gesprochen, das aberwitzige Potpourrie Straußerei auf Vinyl von dem Kontrabassisten und langjährigen Orchestermitlied Klaus Telfser, inklusive Tempo-Bendings und Plattenhüpfern, vom Orchester und Gerhard Sammer am Grammophon bravourös gemeistert – ein wahres Feuerwerk an Tempo-, Takt-, Tonhöhen- und Stilverschiebungen, aber trotzdem voller Respekt – am besten macht man sich lustig über Dinge, von denen man etwas versteht.
Nach der Präsentation des diesjährigen Komponistenrätsels wurden drei Stücke der solcherart Erfragten aufgeführt: Alessandro Scarlattis Dormi o fulmine die Guerra mit der Altistin Sonia Prina, die ihre wahre Stärke in verschiedenen Chansons im weiteren Verlauf des Abends noch zeigen sollte, Schostakowitschs berühmter Walzer Nr. 2. Das virtuos-poetische Rigaudon aus Maurice Ravels Le Tombeau de Couperin wurde dann von der Tänzerin Sandra Hanschitz mit ihrem Cyr Whee akrobatisch begleitet. Die außerordentliche Körperbeherrschung der Tänzerin korrespondierte mit der Artistik, die der Musik Ravels stets innewohnt, auf überraschende Weise. Beide, Tänzerin und Orchester, blieben einander in der quasi abgezirkelten Schönheit des Geschehens nichts schuldig.
Die nun folgenden, von Hubert Stuppner sehr atmosphärisch arrangierten Chansons Les feuilles mortes von J. Kosma/J. Prévert (auch bekannt als Jazzstandard Autumn Leaves) und La vie en rose (Guglielmi/Piaf) zeigten Sonia Prina auf der Höhe ihrer Kunst als Chansonsängerin, ebenso wie nach der Pause mit Non, je ne regrette rien (Dumont/Vaucaire) und Désormais (Aznavour), ebenfalls arrangiert von Hubert Stuppner. Der vollbesetzte Saal Tirol verwandelte sich dabei zeitweise in ein intimes Pariser Cabaret.
Die dem Ort entrückte Stimmung setzte sich mit Leroy Andersons Blue Tango leichtfüßig fort, ebenso und mit Grazie begleitet von der Tänzerin Letizia Pignard. Nachdem Jan-Hinnerk Arnke Gerhard Sammer heiraten wollte, ging es mit Hans Christian Lumbyes Neujahrs-Galopp dem Anlass gemäß fröhlich in die Pause.
Der zweite Teil begann mit dem vierten Satz aus der Symphonie Nr. 1 von Florence Price, der ersten afro-amerikanischen Komponistin, deren Werk von einem großen US-Orchester gespielt wurde. Michael Preis (sorites.de) nennt das Werk, in dem auch u.a. Dvořáks Symphonie Nr. 9 „Aus der Neuen Welt“ zitiert wird, schelmisch, womit es hier ja auch ins Konzept passte.
Einen musikalischen Höhepunkt stellte der Czardas von Vittorio Monti, mit Janusz Nykiel an der Solo-Violine dar. Der langjährige Konzertmeister des Orchesters begeisterte das Publikum mit seinem warmen Ton, seiner virtuosen Bravour und gegen Ende mit einem geradezu himmlischen Pianissimo im Flageolett.
Begleitet von Ballspielen mit Schwimmhaube stimmte das Orchester einen kurzen Ausschnitt aus der Filmmusik zu Der Weiße Hai von John Williams an, worauf die oben erwähnten, großartigen Chansons mit Sonia Prina folgten.
Danach zeigte Gerhard Sammer ein Zauberkunststück, in dem er auf durchaus rätselhafte Weise einen Tisch beinahe durch die Luft schweben lässt.
Der Danzón No. 2 von Arturo Márquez mit Letizia Pignard und Giorgos Mitas in inniger Umarmung und kontrollierter Emotion rief nocheinmal die Tango-Stimmung aus dem ersten Teil wach, woraufhin der Donauwalzer, wie es sich gehört, das bevorstehende Ende des Neujahrskonzertes einleitete, wieder mit Sandra Hanschitz und ihrem Reifen, den sie, zum Erstaunen des Publikums, auch alleine tanzen ließ, ohne die benachbarten tiefen Streicher auch nur einer Spur von Gefahr auszusetzen.
Es wurden drei Zugaben gegeben, als erstes ein weiteres unerhörtes Medley von Klaus Telfser aus Hits von Stevie Wonder wie z.B. Sir Duke oder Isn’t She Lovely, ganz beschwingt gesetzt in Big-Band-Manier, dann ein weiteres Arrangement von Hubert Stuppner mit Sonia Prina, Milord (Moustaki/Monnot), ausgeführt in der an diesem Abend schon mehrfach erlebbaren Qualität, schließlich begleitet vom Klatschen des Publikums. Das tatsächliche Ende markierte, ebenfalls wie es sich gehört, der Radetzkymarsch, auch wieder unter der Beteiligung des Publikums.
Man kann also, zusammenfassend, sagen, alles, was man bei einem Neujahrskonzert erwartet, wurde auch geboten. Pausen- und Nach-Ende-Gespräche ergaben, dass die Komik der Moderationen nicht die uneingeschränkte Zustimmung des Publikums fand, die musikalischen und auch die tänzerischen Leistungen aber sehr wohl.
Ich selbst würde sagen: Die Komik war durchaus liebenswürdig, aber die eigentliche Qualität dieses Abends bestand in der außerordentlichen Spielfreude und Präzision des Orchesters unter der Leitung seines Dirigenten Gerhard Sammer, und der Auswahl der Stücke mit ihren unterschiedlichen Atmosphären. Das Publikum dankte mit Standing Ovations.
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