Janus Zeitstein
Im Land der Benker und
der Im-Konjunktiv-Denker
Eine Bilanz in Märchenform

Es war einmal, sagte das Herz zum Hirn, ein Land, wo ein Immobilienmogul lebte und welches von dessen Träumen und glänzenden Türmen freudvoll erfüllt war. Wie einst dem Midas, sollen Ameisen ihm als Kind Weizenkörner in den Mund getragen haben. Seine Gedanken tanzten auf den Wellen des Erfolgs, angetrieben von Nullen, die auf den Zinssätzen glänzten wie Sterne am nächtlichen Himmel. 0 Zinsen und zig Nullen funkelten und munkelten auch in den Gewinnerwartungen seiner Investoren.

Prunkvolle Bankette wurden in seinen Hallen abgehalten, Luxusvillen erhoben sich majestätisch und der Himmel war sein Spielplatz, wo sein Hubschrauber und Privatjets ihre Kreise zogen. Die Welt schien ihn, mit seinen Versprechungen, zu umarmen, und Möglichkeiten füllten die Luft wie das Kerosin und die leuchtenden Logos seiner Firmen. Nichts war ihm unmöglich, er war ein echter Nachfahre des Midas und begeisterte alle mit seinen Projekten.

Doch eines Tages mischte das Schicksal unerwartet die Karten neu, und das Lied der Nullen verstummte auf einen Schlag. Eine Wendung, so schnell wie ein Wirbelwind, verwandelte die Zinsen von null zu drei oder vier Prozent. Die Zinsen, einst so freundlich bei null verweilend, entschieden sich für einen Anstieg. Schnell fiel ein Schatten auf die einst strahlenden Immobilienwerte, und ihr Glitzern verblasste zu düsterem Hohn. Die einst so prächtig schillernde Immobilienblase zerbarst, und mit ihr jeglicher Traum des großen Immobilienhais.

Der Tycoon, einst auf den Schultern der Möglichkeiten stehend und Herrscher über Tausende Firmen, sah sich nun in den Fesseln der Wirklichkeit gefangen. Seine Flügel erlahmten, keine prächtigen Bankette mehr, nur noch gewöhnliche Mahlzeiten, für seine Liegenschaften suchte er Käufer und der Himmel verlor seinen Glanz. Der Tanz der Nullen hatte sich in eine unerbittliche Melodie aus taumelnden Zahlen verwandelt, die nicht mehr zu beherrschen waren.

So könnte das Märchen eines einstigen Träumers enden, der auf den Schwingen des Möglichen flog, aber von der harten Wirklichkeit auf den Boden der Tatsachen zurückgeholt wurde. Wie schon Ikarus, der der Sonne zu nahe gekommen war. Die Höhe, die er suchte, führte ihn zum Sturzgeschick. Vorbei die Pracht, die Träume, die einst so hoch geflogen, in der harten Wirklichkeit wurden Ikarus‘ Träume zerschlagen, er ward betrogen.

Die Möglichkeitsform, so schön gedacht, wurde zur ehernen Kette, die ihm seine Leidenschaft gebracht hatte. Stumme Hubschrauber, Villen verloren ihren Glanz. Ein Hai, der einst die Meere der Finanzen durchschwamm, fand sich nun hilflos, umhüllt von einer düsteren Flamme, klein wie eine Motte. Am Ufer mühten sich die einst befreundeten Großinvestoren aus dem Treibsand, der wie ein mächtiger Strudel alles in seiner Nähe erfasste. In den Scherben des einstigen Imperiums spiegelten sich die Verluste von Arbeitsplätzen und bildeten sich traurige Familienschicksale ab.

Die Überreste dieses einst großen Reiches lagen in einem Zustand der Verwüstung. Wo ehemals geschäftige Industrien und wohlhabende Gemeinden gediehen, standen jetzt nur noch Echos einstiger Pracht, wie die verfallenen Schlösser der Märchen, die von der Zeit verlassen worden waren und als verwaiste Kolosse vor sich hin erodierten, wo schon bald nicht nur Hunde urinierten.

Die Steine selbst flüsterten Geschichten von seitenblickender Opulenz, die nun dem Verfall preisgegeben war. Leere Gänge und verlassene Hallen sprachen Bände über den Niedergang eines Reiches, das einst Landschaften und Leben beherrschte. Leere Fenster blickten traurig und versuchten die Geister versprochener Bewohner und Mieter zu rufen, die sie hätten bewohnen sollen.

Schon bald las man Graffitis an den Absperrzäunen der ruhenden Baustellen, deren Urheber wohl immer derselbe war und in dessen Handschrift plötzlich erschien: Gezählt ist Deine Herrschaft, sie wurde gewogen und zu leicht befunden. Aufgeteilt werde Dein Reich unter den Armen!

So endet ein Märchen in Wirklichkeit, von dem wir wissen, dass es sein Held selber zerstört hat, dessen Ende er selber herbeiführte. Und dennoch ist es noch lange nicht das Ende der Geschichte.

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Janus Zeitstein

Janus Zeitstein (Pseudonym), Mitte der 50iger Jahre geboren in Hall in Tirol, Buchhändler im In- und Ausland. Inneneinrichter. Schule für Dichtung. Seit 1990 literarische Beiträge (Stuhlprobe, Dazwischen, Morgenstean, Etcetera, Dum, Edition Sonnberg, Künstlerhaus Wien), 2001 Uraufführung „Knoblauch & Weihrauch“ (eine Liturgie des Geldes). Mitglied der Pataphysischen Gesellschaft, Beiträge für Radio Orange und Freiradio Innsbruck. 2024 „Morphopoetische Rhapsodie“ TAK Innsbruck. Seit über 30 Jahren lebhaft in Wien. https://www.januszeitstein.com/

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