Helmuth Schönauer
Das Leben zwischen Tiroler Plattenbau und
Anlegerwohnung
Stichpunkt

Die Tiroler Landesregierung ist neulich am Grillhof in Klausur gegangen und hat über das Wohnen meditiert. Als greifbarstes Ergebnis herausgekommen ist dabei die Initiative Sicher vermieten. Dabei übernimmt das Land in einer Art Treuhandfunktion den bürokratischen und rechtlichen Dokumentenverkehr zwischen Mietern und Vermietern.

Die meisten Wohnungsbesitzer in Tirol sind mittlerweile im Alter von sechzig aufwärts. Der angestrebte Vorgang des Vermietens erweist sich in diesem Alter als Vererbungsvorgang. Entweder, weil die Achtzigjährigen der Reihe nach sterben und ihre Immobilien an sechzigjährige Kinder vererben, oder weil diese Sechzigjährigen ihre Unterkünfte in Voraussicht an die nächste Generation überschreiben.

In beiden Fällen hat der Wohnungsmarkt eher mit geriatrischen Transfers zu tun als mit Wohnraumbeschaffung. Die involvierte Altersgruppe hat das Funktionieren des Wohnungsmarktes in den 1950er Jahren gelernt. Nach dem Desaster des Weltkrieges gab es lauter Binnenflüchtlinge und kaum Wohnraum.

Neben ein paar Glücklichen, die eine unbeschädigte Unterkunft weiternutzen konnten, gab es beispielsweise in Innsbruck vier beeindruckende Wohnformen, die einen ein Leben lang nicht mehr loslassen.

Friedenszins: da zahlte man für 100qm den Wert einer Semmel als Miete
Öffentlicher Wohnraum: da musste man den richtigen Beruf haben, um etwa im Lehrer- oder Polizeiblock unterzukommen
Sozialer Wohnbau: da musste man zu einer Partei gehen, damit das Ansuchen wenigstens entgegengenommen wurde
Privater Wohnbau: da war man als Wohnungssuchender auf Gedeih und Verderben der Laune von meist entlegenen Gesellschaften oder nervig nahen Privatpersonen ausgeliefert

Unvermietbar

Wer nicht in der Stadt unterkam, musste weiterziehen.

Dieses Regulativ des Wohnungsmarktes, dass eben nicht jeder eine Wohnung kriegt, ist mittlerweile weggefallen.
Jeder, der einen Wohnort im Auge hat, plärrt in Talkshows und auf Demos so lange herum, bis alle hysterisch von einer katastrophalen Wohnungsnot zu reden beginnen.

In der Schweiz wird bei solchen Themen oft die sogenannte Zehn-Millionen-Frage gestellt: Wollen wir, dass in der Schweiz mehr als 10 Millionen Menschen leben? In Tirol wirst du bei dieser Fragestellung sofort mit schräg-radikalem Blick angestarrt. Hier heißt die Devise nämlich: bauen, bauen, bauen.

Und wenn jemand von der Raumordnung einwendet, dass eigentlich viele Häuser mittlerweile in gelben, wenn nicht gar roten Zonen stehen, gibt es einen strengen Verweis: Wir bauen ja nicht für die Menschen, sondern für die Wirtschaft! Und die bricht zusammen, wenn sie nicht ständig bauen kann.

Die Initiative Sicheres Vermieten erinnert stark an den Trend der 1950er Jahre, sich dem Staat zu unterwerfen, um zum Wohnraum zu gelangen. Die potentiellen Vermieter jedenfalls sind bei dieser Unterwerfung angehalten, sofort ihre finanziellen Hintergründe offen zu legen. Denn viele Wohnungen stehen deshalb leer, weil eine ererbte Immobilie sofort den eigenen Steuerhaushalt durcheinanderbringt, wenn man eine zusätzliche Einkunft als Vermieter hätte.

Außerdem sind die gängigen Wohnmodelle in Tirol nicht für das Vermieten geeignet.

a) Die Verschleiß-Wohnungen, wo nichts investiert wird, sind wegen mangelnder Elektrik, Klimazertifizierung und Barrierefreiheit nicht zu vermieten.
b) Der Tiroler Plattenbau (Holzvertäfeltes Einfamilienhaus im Raika-Stil) ist vom Layout her für Wohnungssuchende unerschwinglich oder überdimensioniert.
c) Die Anlegerwohnung ist von vorneherein als Aktie und nicht als Wohnung konzipiert. Eine echte Anlegerwohnung darf nämlich nicht benützt werden und gleicht damit der polierten Platte, wie sie Münzsammler als Beispiel extravaganten Hortens kennen.

Über die Jahre gerechnet verhält sich die Wohnsituation in einer Stadt übrigens gleich wie im privaten Bereich. Jeder kennt den Zustand, dass eine Wohnung zuerst passend, dann zu klein und dann zu groß ist. Der Stau, während dem die Kinder nicht außer Haus gehen und die Wohnung sich nicht mehr dehnen lässt, dauert ein paar Jahre. Dann sitzen die Alten wieder allein im Gemäuer und müssen sich Reinigungskräfte zukaufen, um nicht im Staub zu ersticken.

Der Stadt Innsbruck ergeht es ähnlich. Momentan quietscht sie aus allen Wohnecken, weil so viele zuziehen, wegen Studium, Arbeit oder Sozialleistungen. In ein paar Jahren aber sind die eingangs zitierten 60-Jährigen alle tot, und ganze Straßenzüge werden leer stehen wie im sprichwörtlichen ostdeutschen Pommerland.

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Helmuth Schönauer

Helmuth Schönauer (* 23. September 1953 in Innsbruck) ist Schriftsteller und Bibliothekar an der Universität Innsbruck. In seinen Romanen beschreibt er das Alltagsgeschehen skurriler Randfiguren auf dem Weg nach oben. Als beinahe lückenloser Rezensent der Tiroler Gegenwartsliteratur ist er Vertreter der "low lectured edition". Im sechsbändigen Tagebuch eines Bibliothekars sind knapp 5000 Rezensionen aus den Jahren 1982–2018 zu einem durchgehenden Fließtext zusammengefasst, der chronologisch nach Erscheinungsweise der rezensierten Bücher geordnet ist. Dadurch ergibt sich eine zeitgenössische Geschichtsschreibung anhand von Lektüre. Schönauer ist Mitglied der Grazer Autorinnen Autorenversammlung.

Dieser Beitrag hat einen Kommentar

  1. Robert Muskat

    Meiner Meinung nach ein völlig falscher Zugang zum Thema Wohnen! Als erstes gehört das Recht auf eine bezahlbare Wohnung in die Verfassung! Jeder Österreicher ist verpflichtet, einen ordentlichen Wohnsitz vorzuweisen, daher muss man auch das Recht auf bezahlbares Wohnen zum Gesetz machen.
    Wenn gewisse Herrschaften glauben, ihre überquellenden Finanzreserven dazu verwenden zu müssen, durch Ausbeutung Wohnungssuchender noch reicher zu werden, muss man denen einen Riegel vorschieben. Ich hatte mehrfach unter solchen Gierschläuchen zu leiden: 700€ für eine 30qm Garconniere an eine Münchner Ärztin, einen Südtiroler Gierhals, der glaubte, mir von heute auf morgen für die Garage statt 55€ plötzlich 100€ abknöpfen zu können, erwidert durch den Vorschlag meinerseits, sich dann selbige Garage in den Allerwertesten zu schieben, worauf er auf die Erhöhung verzichtete. Und nun das Angebot eines „Vermieterschutzes“, damit man ja den bösen Mietern mit einer ordentlichen Waffe entgegen treten kann, unglaublich. Als ob nicht jeder Vermieter den passenden Rechtsverdreher im Ärmel hätte! Dafür könnte man ja den Mieterschutzorganisationen die Förderung kürzen! Und natürlich nicht zu vergessen: ja jedem Millionär aus welchem Land auch immer Grunderwerb zu ermöglichen und nötigenfalls gleich die Umwidmung dazu, dafür dem einheimischen Häuslbauer alle denkbaren Hindernisse und Prügel vor die Haxn werfen! Wäre ja noch schöner wenn Max Mustermann sich Eigentum schafft, das gehört für die Elite reserviert!

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