Helmuth Schönauer
Van der Bellen & Steinmeier
Zwei graue Staatsmäuse werden in Tirol bunt.
Stichpunkt

Als an einem Donnerstag in Innsbruck der Verkehr zusammenbricht, wird klar, dass sich gerade ein politischer Welt-Event in der Provinzhauptstadt abspielt.

1.
Älteren Zeitgenossen schießen bei der Verstopfung, die der Verkehrsfunk über Innsbruck ununterbrochen ausstößt, sofort die zwei großen Weltbesuche in den Sinn.

– 1969 fällt dem Landeshauptmann Walli die Pfeife aus den Lippen, als er vor der Hofburg der englischen Queen ansichtig wird. Plötzlich wird ihm der Größenunterschied zwischen Tirol und dem Commonwealth klar und er wirkt sehr bescheiden und nach innen gekehrt.

– Seit 1988 steckt Zeitgenossen noch der weltumspannende Segen des Papstes aus dem Bergisel-Stadion in den Knochen. Bei diesem Papstbesuch fällt die schöne Fügung, wonach Tirol ein Teil einer schönen Insel ist, die von Seligen bewohnt wird.


 

Und was verstopft jetzt die Innsbrucker Straßen?

Zwei graue staatstragende Mäuse huschen aus dem Bahnhof hinaus ins Hotel, sie machen auf jung-gebliebenen Staatsbesuch, der mit dem Railjet anreist.

2.
Eben schimmern die Bilder aus Wien auf den Displays auf. Darauf grüßen sich zwei Staatsmänner und ihre Gesponsinnen herzlich wie auf einem Punsch-Anstich am Adventmarkt.

Es ist eine Freude zuzusehen, wie sich diese älteren Herrschaften noch einmal aufsetzen und ihrem Leben einen Sinn geben. Sie wenden sich bei jedem zweiten Satz an die Jugend, die auf die Demokratie aufpassen soll, die durch Überalterung in Gefahr ist.

Spätestens jetzt wenden sich die letzten Jugendlichen ab. Sie haben sich nämlich das Handy nicht deshalb gekauft, um darauf mausgraue Spots über Staatsbesuche alter Herrschaften anzusehen.

3.
Anderntags wird freilich die graue Welt alter Staatsoberhäupter schlagartig bunt. VdB (Alexander van der Bellen) und FWS (Frank-Walter Steinmeier) haben sich grelle Schutzwesten übergestreift und machen sich bereit, den Brenner-Basistunnel zu besichtigen.

Der Tunnel ist ausgeleuchtet wie eine Kathedrale, die präsidialen Ehepaare schäkern den Tunnel entlang und fühlen sich bunt wie Stifte, die ein epochales Bild zu Europa malen werden. Tirol schafft es wieder einmal, aus blassen Figuren knall-gelbe Menschen zu machen, die einen Event abfeiern. Jetzt ist Stimmung, jetzt können auch Tiroler Sätze losgelassen werden.

Der österreichische Präsident sagt mehrmals hinter vorgehaltener Hand, dass er deshalb Tiroler geworden sei, weil es hier so schön ist. Eine touristische Funktionärin, die ebenfalls für das Schöne zuständig ist, sagt dem Deutschen Präsidenten, dass die Deutschen die wichtigsten Gäste seien, weshalb sie so große Wertschätzung erführen.

Interessierte können zu diesem Tunnel-Treffen schöne Geschichten nachlesen, die alle schon einmal in der Weltliteratur erzählt worden sind.

4.
In Robert Musils Mann ohne Eigenschaften sollen die Regierungsjubiläen des deutschen Kaisers Wilhelm II und des österreichischen Pendants Franz Joseph I als Wettstreit abgehalten werden. In einer Parallelaktion werden wunderschöne Sätze zitiert, während die greisen Kaiser winken.

Sätze aus dieser Parallelaktion kommen hoch, wann immer zwei Greise im Tunnel stehen und auf die Eröffnung schielen. Wer weitere bodenständige Floskelsätze sucht, sei an das große Theaterstück von Karl Kraus verwiesen, Die letzten Tage der Menschheit“.

5.
Die Verstopfung Innsbrucks dauert insgesamt zwei Tage, solange treiben nämlich die Staatsoberhäupter ihr wohlgelittenes Unwesen in der Stadt.

Das Bunte Tirols, das in den Katastrophenjacken so gut zum Ausdruck kommt, ist bald wieder verschwunden.
Regen hat eingesetzt, um die Uniformen beim Landesüblichen Empfang noch einmal auszuwaschen.

Die blassen Dutzendgesichter der Luftschützen schimmern den Gesichtern der Staatsoberhäupter entgegen, die ihrerseits nicht wissen, wo sie hinschauen sollen. In die Luft, wo die Schüsse verhallen, oder unter die Hutkrempen, unter denen nur Tiroler Einheitsgesichter zu sehen sind?

6.
Spontane Umfragen unter Jugendlichen, ob die Demokratie durch solche Staatsbesuche aufgefettet werden könnte, ergeben ein glattes NeinKulturmenschen hingegen sagen ebenso spontan, dass dieser Staatsbesuch das beste Stück des Landestheaters in dieser Saison gewesen ist.


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Helmuth Schönauer

Helmuth Schönauer (* 23. September 1953 in Innsbruck) ist Schriftsteller und Bibliothekar an der Universität Innsbruck. In seinen Romanen beschreibt er das Alltagsgeschehen skurriler Randfiguren auf dem Weg nach oben. Als beinahe lückenloser Rezensent der Tiroler Gegenwartsliteratur ist er Vertreter der "low lectured edition". Im sechsbändigen Tagebuch eines Bibliothekars sind knapp 5000 Rezensionen aus den Jahren 1982–2018 zu einem durchgehenden Fließtext zusammengefasst, der chronologisch nach Erscheinungsweise der rezensierten Bücher geordnet ist. Dadurch ergibt sich eine zeitgenössische Geschichtsschreibung anhand von Lektüre. Schönauer ist Mitglied der Grazer Autorinnen Autorenversammlung.

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