Helmuth Schönauer
Stau-Inferno im Außerfern
Stichpunkt

Ein Bezirk fordert die Intelligenz der Verkehrsparteien heraus, die aber nur alte Rezepte haben. 

Wenn Siebzigjährige etwas planen, greifen sie gerne zur Herzinfarkt-Formel: Wir müssen einen Bypass setzen. Wir müssen zwei Stents ins Gebirge einschlagen. Diese Sätze begleiten auch den Plan der Tiroler Landesregierung, das Fernpass-Problem zu lösen, indem man Stents, Tunnel und Bypass setzt, was der Beton hergibt. 

Und da die beiden regierenden Tunnel-Parteien mittlerweile selbst Siebzigjährige sind und im Straßenbau ein Leben lang alles ausgeweitet und untertunnelt haben, was sich dem Speed in den Weg stellte, ist es kein Wunder, dass sie das Verkehrsproblem auf ähnliche Weise lösen wollen wie ihr Herzkreislaufsystem, das in die Jahre gekommen ist.

Dabei herrscht am Fernpass nicht Verkalkung, sondern Überflutung vor. Nicht die Gefäße sind zu dünn geworden, sondern die Blutmenge zu groß. Und um im Blutbild zu bleiben: Hier hilft nur noch Aderlass und Schröpfen, was die Unterdruckschalen hergeben.

Die geplanten Tunnel-Maut-Lösungen werden den Verkehr noch einmal anschwellen lassen. Am Ende wird er sich selbst ad absurdum und zum Stillstand führen, wenn die Bevölkerung in guter alter Pontlatz-Manier die Route auf natürliche Weise durch Steinwälle blockiert. Verkehr lässt sich niemals durch Maut, Ampeln oder Verkehrsschilder stoppen. Was hilft, sind physikalische Beschränkungen. Aber eben diese Beschränkung, die letzte Haarnadelkurve mit Steigung, will die aus der Zeit gefallene Regierung durch einen Scheiteltunnel beseitigen, damit auch Giga-Liner künftig passieren können.

Da wir beim Fernpass-Problem letztlich von einer Jahrhundert-Transformation sprechen, die vielleicht 2050 mit der Klimaneutralität abgeschlossen sein wird, sollte man sich auch Maßnahmen über fünfundzwanzig Jahre hinweg überlegen, die als Alternative zum Tunnel dienen. Dieser braucht ja ebenfalls wieder 25 Jahre, bis er exekutiert ist. Und dann wird die Bevölkerung erst recht auf der Palme sein, wenn sich alles wie geschmiert vor den Portalen staut.

Drei Maßnahmen als Versöhnung zwischen den verkalkten Regierenden und den gequälten Anrainern bieten sich an:


1. Maßnahme Graubünden

Von allen Ländereien, die Tirol umgeben, gilt Graubünden als die unbekannteste. Die Tiroler interessieren sich wohl deshalb so wenig für diesen Schweizer Kanton, weil darin gezeigt wird, wie sich eine Alpengegend auch hätte entwickeln können, wäre sie nicht den Geiern für Massentourismus in die Klauen geraten.

Seit hundert Jahren hat sich in Graubünden ein optimiertes System zwischen Verkehr und Tourismus entwickeln können. Entlang des Schienennetzes der Rhätischen Bahn konnte sich das Land klimaneutral und touristisch wohl dosiert zu einem Vorbild entfalten, an das wir uns anlehnen können.

Tirol könnte die Rhätische Strategie in den nächsten 25 Jahren anwenden, also Tourismus, Transit und Verkehr als Ganzes entwickeln. Im Rhätischen Modell ließe sich auch ablesen, wie man künftig auf die Veränderung der Alpen reagieren soll. In Graubünden nämlich wird bereits für eine Welt ohne Gletscher und Permafrost geplant.


2. Maßnahme Hahntennjoch

Das Hahntennjoch ist durch mehrere Verträge und Konventionen als Ruhegebiet geschützt. Man muss diesen Schutz nur ernst nehmen, indem man beispielsweise nur mehr Verkehr mit Elektrofahrzeugen erlaubt. Behält man nämlich den verbrennerfreundlichen Traffic in bestehender Form bei, müsste das zur Errichtung gewaltiger Lärmschutzbauten führen, wenn das Ruhegebiet als solches irgendwann eingeklagt wird.

Für das Fernpaß-Gebiet sollte man in den nächsten 25 Jahren eine sogenannte Transformationlösung durchführen.
Auf dem Hahntennjoch fahren nur E-Fahrzeuge, auf der Bestandsroute wird ähnlich wie am Stallersattel der Verkehr stundenweise in jeweils eine Richtung gelenkt.

Die Geographie regelt den Verkehr.


3. Maßnahme Jungholz

Der Ort Jungholz wird seit Jahrzehnten als Modell gefeiert, wie man einen scheinbar ungünstigen geographischen Nachteil in einen ökonomischen Vorteil ummünzen kann.

Im gegenwärtigen Fernpass-Modell mit Mauttunnel träumt der Landeshauptmann ja davon, die betroffene Bevölkerung mit einem Firmgöd-Hunderter zu beglücken, den er bei landesüblichen Empfängen an die Untergebenen auszahlt.

Warum nicht gleich das ganze Außerfern zum Zollauschlußgebiet mit Steuerfreiheit erklären? Die Außerferner sind schon heute nicht heiß auf die Innsbrucker, die sie aber aus Verwaltungsgründen manchmal besuchen müssen. Wenn Verwaltung, Medizin und Bildung von der Landeshauptstadt abgekoppelt würden, könnten sie ihre Bedürfnisse locker in Füssen und Augsburg stillen und sich die Missachtung durch die Kerntiroler sparen.

Denn die Außerferner macht schon jetzt wütend, dass sie letztlich nur derrisch gemachte Anwohner eines Verkehrskonzeptes geworden sind, mit dem man noch jahrzehntelang möglichst schnell Touristen in die Oberländer Premiumgebiete karren will.

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Helmuth Schönauer

Helmuth Schönauer (* 23. September 1953 in Innsbruck) ist Schriftsteller und Bibliothekar an der Universität Innsbruck. In seinen Romanen beschreibt er das Alltagsgeschehen skurriler Randfiguren auf dem Weg nach oben. Als beinahe lückenloser Rezensent der Tiroler Gegenwartsliteratur ist er Vertreter der "low lectured edition". Im sechsbändigen Tagebuch eines Bibliothekars sind knapp 5000 Rezensionen aus den Jahren 1982–2018 zu einem durchgehenden Fließtext zusammengefasst, der chronologisch nach Erscheinungsweise der rezensierten Bücher geordnet ist. Dadurch ergibt sich eine zeitgenössische Geschichtsschreibung anhand von Lektüre. Schönauer ist Mitglied der Grazer Autorinnen Autorenversammlung.

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