Helmuth Schönauer
Politische Parallelaktion im Wipp- und Zillertal
Stichpunkt

Das einzig Parallele an den Tiroler Tälern ist ihr geographisches Entwässerungssystem. Im politischen Wirken fährt jedes Tal ein eigenes Rennen.


1. Wipptal

Der gelernte Tiroler denkt beim Wort Parallel sofort an einen Parallelslalom, bei dem man sogar mit leisem Augenschaden in Echtzeit mitbekommt, welche Person die schnellere ist. Hingegen sind Literaturliebhaber beeindruckt von der größten Parallelaktion der Geschichte, die im Roman Der Mann ohne Eigenschaften von Robert Musil zu einem notdürftigen Handlungsstrang zusammengedreht ist. In dieser erfundenen Parallelaktion wetteifern die Kaiser-Höfe in Wien und Berlin darum, für 1918 die jeweils größere Jubiläumszeremonie zu installieren. Immerhin sollen dann Kaiser Franz Joseph I. siebzig Jahre und Kaiser Wilhelm II dreißig Jahre im Amt sein.

In Tirol wetteifern gegenwärtig in geheimen Parallelaktionen diverse Täler darum, das größtmögliche Verkehrschaos bei umfassendster Hilflosigkeit zu bewältigen.

Dieser Tage kamen in der ORF-Diskussion Ein Ort am Wort die Wipptaler vors Mikrophon, um ihrem Unmut über die Verstopfung im Tal freien Lauf zu lassen. Gestartet wurde die Diskussion mit einem Aufmacher, worin zu sehen ist, wie die Tiroler dereinst freiwillig und mit sonnigem Gemüt darauf bestanden, dass die Autobahn als Panorama-Straße gebaut werde, damit die Deutschen auch sehen, wie schön es bei uns ist.

Später haben sie beim Eintritt Österreichs in die EU so gut wie alle Kompetenzen einer Verkehrssteuerung aufgegeben, um nur rasch an den freien Güter- und Personen-Markt heranzukommen. Und immer noch unternimmt die ASFINAG alles, um das Verkehrsaufkommen hochzuhalten, weil die Mauteinnahmen in Wien schon für Jahrzehnte verplant sind. Die Tiroler verdienen also mit ihrem freundlichen Ausblenden der Verkehrsbelästigung wertvolle Devisen für die Republik.

Die Antworten des Abends fallen dementsprechend hilflos wie seit Jahrzehnten aus. Geklärt werden kann höchstens die Ursache des Desasters: Die Tiroler haben sich das alles durch Gehorsam, EU-Fleiß und Realitätsverweigerung selbst zuzuschreiben. Am sinnvollsten wird noch der Vorschlag angesehen, einfach die Brücke zusammenkrachen lassen, dann ist das Problem gelöst.


2. Zillertal

Als Parallelaktion zum Wipptal findet zur gleichen Zeit ein Tal weiter östlich im Zillertal eine Verhandlung für die Umfahrung von Fügen statt. Dort sollen endlich die bereits reservierten 150 Millionen unter den Rasen kommen, wie man in der Fußballsprache beim Ankauf eines nutzlosen Spielers sagen würde.

Freilich ziehen noch nicht alle an einem Strang, obwohl sie alle bei der ÖVP sind. Der Bürgermeister von Fügen fordert vehement eine Beschleunigung des Verfahrens, ein Bauer aus dem ÖVP-Bauernbund fordert eine dünnere Variante, die nicht so viel Grund verbraucht. Der zuständige ÖVP-Landesrat muss als passionierter Zillertaler in den sauren Apfel beißen, und womöglich den renitenten Bauernkollegen enteignen.

Und das alles, weil man im vorderen Zillertal mental noch in den Bildern der Piefke-Saga steckt und glaubt, mit fünfzig Jahre alter Patina auf den Verkehrsplanungen den Dauerstau auflösen zu können.


Bilanz

Nahezu komödiantisch werden die Auftritte des zuständigen Landesrates, wenn er parallel zwischen Wipp-und Zillertal in Sachen Stau-Bekämpfung unterwegs ist. Sage noch einer, dass das keine gelungene Parallelaktion von den Ausmaßen Robert Musils ist. 

In der echten Geschichte mussten seine beiden Jubiläumskaiser im Laufe des Ersten Weltkriegs biologisch bzw. politisch aus der Parallelaktion austreten, noch ehe diese den Peak erreichen konnte. In der Parallelaktion Wipptal / Zillertal wird dezidiert die schlechte Situation im einen Tal mit der Verschlechterung im anderen bekämpft.

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Helmuth Schönauer

Helmuth Schönauer (* 23. September 1953 in Innsbruck) ist Schriftsteller und Bibliothekar an der Universität Innsbruck. In seinen Romanen beschreibt er das Alltagsgeschehen skurriler Randfiguren auf dem Weg nach oben. Als beinahe lückenloser Rezensent der Tiroler Gegenwartsliteratur ist er Vertreter der "low lectured edition". Im sechsbändigen Tagebuch eines Bibliothekars sind knapp 5000 Rezensionen aus den Jahren 1982–2018 zu einem durchgehenden Fließtext zusammengefasst, der chronologisch nach Erscheinungsweise der rezensierten Bücher geordnet ist. Dadurch ergibt sich eine zeitgenössische Geschichtsschreibung anhand von Lektüre. Schönauer ist Mitglied der Grazer Autorinnen Autorenversammlung.

Dieser Beitrag hat einen Kommentar

  1. c. h. huber

    wunderbar wärs, hättest du eine lösung dieser und anderer verkehrsprobleme, lieber helmuth. dann verdientest du den nobelpreis!

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