Helmuth Schönauer
Innsbruck ist so groß wie Paris!
Stichpunkt

Innsbruckerin: Wie wollen Sie die Stadtführung?
Kunde: Französisch!

Bei der Präsentation der aktuellen Statistikbroschüre Innsbrucks weist ein Witzbold darauf hin, dass die Grundfläche von Paris und Innsbruck gleich groß ist. Endlich hat es Innsbruck schwarz auf weiß, dass es eine Weltstadt ist.

Tatsächlich verweist der Vergleich zwischen Paris und Innsbruck auf jenen Charme, der über Innsbruck liegt, wenn man es mit den Augen eines Parisers sieht. Und die Touristiker jubeln wie immer, wenn sie jemanden in Innsbruck im Kreis schicken können unter der Annahme, dass im Stadtgebiet Innsbrucks zehn Pariser Sehenswürdigkeiten versteckt sind.


1. Champs Élysées

Im Westen Innsbrucks liegt sie, diese historisch rabiat gewachsene Avenue, die hier wegen ihrer mittelmäßigen Architektur Mitterweg genannt wird. Sie ist laut Google-Maps 1,5 km lang, wirkt aber bei Sonnenuntergang viel länger, weil man die Augen zukneifen muss und so leicht das Gefühl für Distanzen verliert.

Auf den Innsbrucker Champs Élysées werden selbstverständlich täglich Rennen gestartet und abrupt beendet. Von einem naheliegenden Motorrad-Stall aus gehen im Minutentakt Maschinen auf die Gerade, um verrentnerte Käufer von den akustischen Qualitäten der Bikes zu überzeugen. Oft wird der Probelauf freilich jäh beendet, weil es zum Sturz kommt, wenn ein Fußgänger versunken einen Zebrastreifen betritt und das Rennen mitten auf der Strecke abgebrochen werden muss. Auch deshalb werden die Champs Élysées gerne Mitterweg genannt.

Es fahren zwei Buslinien durch die Avenue, aber leider kein Sightseeer, sodass sich Touristen unter das Volk mischen müssen, wenn sie die Sehenswürdigkeit aufsuchen.


2. Madame Bovary, ledige Frau Hitt

Von der Nordkette herunter glotzt vor allem bei Föhnlage die Frau Hitt, die bei Gebildeten und Gegenderten gerne als Madame Bovary bezeichnet wird, da sie ungestümen Liebhabern und Bergsteigern felsig Paroli bietet. Manchmal ist Frau Hitt auch ungut und wirft die Lover während der Besteigung ab, was man Touristen aber verschweigt, damit sie in ihren Sehnsüchten nicht gestört werden.


3. Moulin Rouge

Bahnreisende sind bei diesem Denkmal gegenüber Fliegenden und Bikenden eindeutig im Vorteil. Vor der Einfahrt in den Hauptbahnhof wird jeder Railjet auf siebzig abgebremst und neigt sich leicht nach Süden. Dadurch erscheint auf der rechten Wagenseite das berühmte Moulin Rouge, das sich als Rauchmühle in den staubigen Himmel reckt.

Auf der Homepage der Rauchmühle sind 15 Mehlsorten angeführt, die sich zwischen Weizenmehl glatt und Polenta grob dem Touristen entgegen räkeln, damit er sie bei einem frugalen Frühstück verkosten kann. Zugegeben, das Ganze ist außen ziemlich dirty und innen mehlig, aber die Mischung stimmt und ergibt eine tolle Sehenswürdigkeit.


4. Baguette

Innsbruck ist eine Stadt voller Baguettes, die über sämtliche Stadtteile verteilt sind. Auf den Champs Élysées gibt es sogar zwei solcher Läden, die sich den Markennamen unter den Nagel gerissen haben. In der Hauptsache werden aufgekochte Teiglinge serviert, die den Namen Baguette zurecht tragen, fahren doch diese Klöße aus Backtriebmitteln von Polen aus zuerst über die Pariser Außenringautobahn, ehe sie irgendwann in einem Vorort von Innsbruck landen, wo aus ihnen dann Alpen-Baguette wird.


5. Louvre

Halb oberirdisch als Kaiserschützenmuseum getarnt, halb unterirdisch als Rundgemälde eingebuddelt strotzt der Berg-Louvre vor Kostbarkeiten. Die Pfeife von Eduard Wallnöfer muss sogar mit Spezialglas geschützt werden, damit sie nicht Klimaaktivisten anzünden. Vor einem ausgestopften Murmele stauen sich die Besucher hinüber bis auf die Autobahn, welche die berühmte Sillschlucht überspannt. Der Fußgängerstau geht nahtlos über in einen Autostau und erstreckt sich bis Bozen und ins Passeier Tal, wo sich vor dem Museum André Hofers der Stau um den Tisch wickelt, an dem der Patriot seinerzeit im Alleingang seine berühmten „Röteln“ getrunken hat.


6. Arc de Triomphe

Durch den dreilöchrigen Bogen am Ende der Maria-Theresien-Straße ist in den Fünfzigerjahren sogar die Dreier gefahren und hat volle Aufmerksamkeit auf sich gezogen und somit den Alpen-Arc entwürdigt. Seit wieder Radfahrer und Autos aus der Innenstadt in die Freiheit des Südens hinausflüchten, wird diese Innsbrucker Sehenswürdigkeit permanent durch schnell geschossene Selfies gewürdigt. Bei günstiger Ampelschaltung gelingen sogar mehrere Selfies am Stück, ehe wieder freie Autofahrt angesagt ist.


7. Eiffelturm

Der Innsbrucker Eiffelturm schafft seine Höhe dadurch, dass man ihn vom Meer aus misst. Dadurch wird er ein Höhenmonster im Gebirge, das man seinerzeit visuell nur in den Griff bekommen hat, indem man ihm eine Rampe für das Schispringen angeklebt hat. Der Blick vom Sprungturm am Bergisel hinunter in den Friedhof lässt Besucher nicht nur erschaudern, sondern hindert sie verlässlich am Suizid. So kraxeln alle unversehrt vom Turm wieder herunter, denn hier möchte niemand begraben sein.


8. Galeries Lafayette

Das Kaufhaus Tyrol preist sich gerne als Galeries Lafayette an, das sein Erbauer vermutlich eigenhändig gezeichnet hat, als er im Kopf sein Immobilien-Reich durchging. Dabei formulierte er ein unsterbliches Motto, das ihm die Stadt nie vergessen wird: Was ich mir nicht kaufen kann, baue ich mir selber.


9.Notre Dame

Unsere liebe Frau hängt zwar nur als Gnadenbild im männlichen Dom von St. Jakob, erfüllt aber geschlechtsneutral alle Wünsche, um die sie angebetet wird. Wem der Ausdruck Maria hilf! zu gering ist, der kann sich über einen Fußgängersteg, benannt nach einem französischen General, auf die andere Flussseite begeben, wo ihn ein ganzer Stadtteil namens Mariahilf erwartet.


10. Grüne Oasen am Seine Ufer

Wer sich aus der Masse der Altstadtflaneure hat lösen können und den Fluss erreicht hat, wird die eingetragene Marke Grüne Oasen am Seine-Ufer nicht mehr verlassen. Der Ausdruck Seine geht auf einen ehemals radfahrenden Bürgermeister zurück, der seine Dienstzeit am Ufer ausgestreckt verbracht hat. Im Volksmund wird die Wohlfühl-Oase auch Willis Sonnendeck genannt.

Wer nach dieser Führung wieder abhauen will, um vielleicht ins französische Paris zu gelangen, dem stehen jeden Tag Dutzende Railjets zur Verfügung. Eine Stadt lässt sich nämlich nur dann genießen, wenn man auch weiß, wie man aus ihr wieder hinauskommt.

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Helmuth Schönauer

Helmuth Schönauer (* 23. September 1953 in Innsbruck) ist Schriftsteller und Bibliothekar an der Universität Innsbruck. In seinen Romanen beschreibt er das Alltagsgeschehen skurriler Randfiguren auf dem Weg nach oben. Als beinahe lückenloser Rezensent der Tiroler Gegenwartsliteratur ist er Vertreter der "low lectured edition". Im sechsbändigen Tagebuch eines Bibliothekars sind knapp 5000 Rezensionen aus den Jahren 1982–2018 zu einem durchgehenden Fließtext zusammengefasst, der chronologisch nach Erscheinungsweise der rezensierten Bücher geordnet ist. Dadurch ergibt sich eine zeitgenössische Geschichtsschreibung anhand von Lektüre. Schönauer ist Mitglied der Grazer Autorinnen Autorenversammlung.

Dieser Beitrag hat einen Kommentar

  1. Robert Muskat

    Eine absolut coole und humorvolle Beschreibung! Mein Kompliment zu dieser Führung durch die City.

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