Helmuth Schönauer
In der Tiroler Literatur ist
verlässlich nichts los.
Literarische Ausgucke und Einblicke 2025

Im Windschatten der öffentlichen Aufmerksamkeit findet seit acht Jahren das Projekt BIP – Buch in Pension statt. Dabei wird das literarische Geschehen vor allem in Tirol, aber auch in Österreich beobachtet. Vor diesem Hintergrund acht Anmerkungen:


1. Fotos werden immer schwarz-weißer

Das Touristische Tagblatt (TT) hat ja noch nie viel mit Literatur anzufangen gewusst, außer dass es von den Nächtigungen berichtet, wenn Künstler in einem Hotel absteigen.

In letzter Zeit fällt auf, dass die Fotos zu den versprengten Nachrichten immer öfter in schwarz/weiß gehalten sind. Das hängt damit zusammen, dass nur mehr über Ereignisse berichtet wird, die vor hundert Jahren geschehen sind. Und damals waren die Fotos eben meist schwarz/weiß wie bei Kafka oder Trakl.


2. Gendern vor und im Theater

Da am Landestheater kaum noch auf der Bühne gespielt wird (mehr Schließ- als Spieltage!), muss der Theaterstoff eben vor dem Theater diskutiert werden. Das Abo-Publikum hält sich jedenfalls mit Theaterbesuchen ziemlich zurück. Unter der Hand wird vermutet, dass es dieser woke Theateransatz der aktuellen Intendanz ist, der ziemliche Verärgerung auslöst.

Ein Ex-Besucher bringt es auf den Punkt: Wenn ich auf der Homepage des Landestheaters eine durchgegenderte Seite voller Binnenstriche und Doppelpunkte scrollen muss, muss ich annehmen, dass die auch auf der Bühne nur mehr Doppelpunkte und Binnenstriche aufführen. Das muss ich mir nicht geben.


3. Kurzform erlebt Renaissance

Seit die Unterscheidung zwischen Fake und Fakt an manchen Tagen schier unmöglich geworden ist, sehen auch immer weniger Leser einen Grund, sich mit Literatur auseinanderzusetzen, die ja ständig zwischen Schein und Sein hin und her geistert.

Und wenn es einmal Literatur schafft, als geöffnetes Buch vor die Augen betagter Leser zu treten, dann soll sie wenigstens kurz sein. Alles, was über hundert Seiten hinausgeht, ist letztlich sprachliches Abraummaterial, das sich höchstens noch für die Archiv-Deponie eignet.

So kommt denn auch die amerikanische Kurzgeschichte wieder zu hohem Ansehen und Gebrauch. Dieses Genre wurde seinerzeit für die GIs in Europa entwickelt, als diese in den Kampfpausen in den Gräben lagen und nur kurze Sätze zwischen den Schüssen lesen konnten.

Die heutige gesellschaftliche Atmosphäre ist ähnlich aufgewühlt und vom Konsum militärisch erigiert. Es gilt, die Kampfpausen des digitalen Dauerfeuers mit ein paar Sätzen zu überwinden. In dieser Kampf-Literatur amerikanischer Provenienz ist übrigens kein Satz zu viel, was diese Literatur noch am ehesten erträglich macht.


4. Tyrolensien werden zu Tirol seitenweise

Als die Bücher noch eine gewisse Halbwertszeit hatten, konnten damit auch Themen von jahrzehntelanger Relevanz bespielt werden. So wurde der Ausdruck Tyrolensien dazu verwendet, alles, was in Tirol literarisch geschieht, in eine logische Abfolge von Publikationen zu stellen.

Außer ein paar mediävistisch geprägten Bibliotheksmenschen versteht mittlerweile niemand mehr den Begriff Tyrolensie, weshalb man ihn zu Gunsten des Netz-Ausdrucks Tirol seitenweise aufgegeben hat.


5. Slam Vize-Weltmeister

Die Slam Poetry boomt kraft ihres Miterfinders Markus Köhle auch in Tirol seit beinahe zwei Jahrzehnten. Jetzt ist der Pfaffenhofener Emil Kaschka in Togo Vizeweltmeister beim Slammen geworden.

In seiner Performance legt er dabei pure Körpersprache auf die Bühne, sodass diese Kunst in allen Sprachen verstanden werden kann. Das Schuhplatteln soll ihn zu diesem Weltprogramm animiert haben. Das Unbestechliche am Slam ist ohnehin die Tagesverfassung. Gewinnen kannst du nur, wenn du zu einem bestimmten Zeitpunkt in Echtzeit gut drauf bist.


6. Tirol-Krimi mit Trump-Faktor

In einer separaten Blase werden wie überall auch in Tirol Krimis verspeist, verdaut und ohne jegliche Nachhaltigkeit ausgeschieden.

Seit Jahren tut sich dabei ein Osttiroler Autor durch besonders blutiges Erzählen hervor. In einem Interview spricht er davon, dass es in seinen Büchern nicht um Inhalte, sondern um Blut gehe. Der Sinn von Krimis sei das sinnbefreite Umblättern der Seiten. In seinem Selbstmarketing hält er sich an die Dramaturgie des amerikanischen Präsidenten, weshalb er bereits als der Krimi-Trump aus Osttirol bezeichnet wird.


7. Wohltuendes Verschwinden von Felix

Schon seit Monaten liegt eine angenehme literarische Stimmung über dem Land, der Dauer-Felix hat sich nämlich ein wenig zurückgezogen.

Allmählich merkt das Publikum, dass er Jahrzehnte lang das Land nicht mit Volksstücken, sondern biographischem Eigenlärm überzogen hat.


8. Wiki edit war

Seit Covid ist bei Wikipedia die Schwarm-Intelligenz, die das Lexikon generiert, im Umbau. Da sich während der Pandemie unzählige nichtwissenschaftliche Artikel in das Online Projekt geschlichen haben, wird von der gegenwärtigen Administration alles gesäubert, was nicht faktenmäßig niet- und nagelfest ist.

Besonders betroffen sind Artikel über Literatur, da die Literatur auf Schwurbelgedanken fußt und nicht auf Wissenschaft. Über Literatur kann also höchstens in Form von biographischen Daten der Protagonisten diskutiert werden, jegliche inhaltliche Buchbesprechung oder Thesenformulierung gilt als Fake.

Da die Tiroler Literatur aber schon immer kaum einen Inhalt hat und nur aus biographischen Petitessen besteht, ist sie auch vom sogenannten „Wiki edit war“ (Streit um die richtigen Daten) kaum betroffen.


Drei permanente Online-Quellen für den Hausgebrauch:

* Literaturhaus am Inn: https://literaturtirol.at/lilit/post/rezensionen-2024
* Quart: https://www.quart.at/
* Lesen in Tirol: target=“_blank“>https://lesen.tibs.at/

Literatur:
* Buch in Pension. 1. Sisyphus-Verlag, Klagenfurt 2020. ISBN 978-3-903125-44-5.
* Buch in Pension. 2. Sisyphus-Verlag, Klagenfurt 2021. ISBN 978-3-903125-54-4.
* Buch in Pension. 3. Sisyphus-Verlag, Klagenfurt 2022. ISBN 978-3-903125-65-0.
* Buch in Pension. 4. Sisyphus-Verlag, Klagenfurt 2023. ISBN 978-3-903125-77-3.
* Buch in Pension. 5. Sisyphus-Verlag, Klagenfurt 2024. ISBN 978-3-903125-83-4.


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Helmuth Schönauer

Helmuth Schönauer (* 23. September 1953 in Innsbruck) ist Schriftsteller und Bibliothekar an der Universität Innsbruck. In seinen Romanen beschreibt er das Alltagsgeschehen skurriler Randfiguren auf dem Weg nach oben. Als beinahe lückenloser Rezensent der Tiroler Gegenwartsliteratur ist er Vertreter der "low lectured edition". Im sechsbändigen Tagebuch eines Bibliothekars sind knapp 5000 Rezensionen aus den Jahren 1982–2018 zu einem durchgehenden Fließtext zusammengefasst, der chronologisch nach Erscheinungsweise der rezensierten Bücher geordnet ist. Dadurch ergibt sich eine zeitgenössische Geschichtsschreibung anhand von Lektüre. Schönauer ist Mitglied der Grazer Autorinnen Autorenversammlung.

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