Helmuth Schönauer
Erklärungsversuche für die heimischen Verlierer
der US-Wahlen
Stichpunkt

1.
Als im Morgengrauen des 6. November ein österreichischer Dichter aus der Kreisky-Ära ein verzweifeltes Mail an seine Kollegen absetzt Die Amis haben tatsächlich den Scheiß gewählt, sind die meisten Empfänger dieses Seufzers einfach nur froh, dass das US-Wahltamtam vorbei ist.

Gleichzeitig machen sich so manche Mitdenker der Weltpolitik daran, eine Erklärung für die neue Epoche aufzubauen.
Nicht nur die Sieger brauchen nämlich ein Narrativ, noch viel dringender sind die Geschlagenen darauf angewiesen, eine passable Erklärung für ihren Schmerz zu finden.

Denn der ist so weit verbreitet, dass sogenannte logische Argumente und Erkenntnisse im Sinne der Aufklärung  chancenlos sind gegen die Schuldzuweisungen, IT-Milliardäre wie Musk und Entertainer, die griffige Sprüche bei der Hand haben, seien verantwortlich für das Schlamassel.

2.
Bei Tageslicht setzen dann die diversen Deutungen des Wahlergebnisses ein. Die europäischen Journalisten sind noch vor Ort und müssen zugeben, dass sie letztlich aus der demokratischen Blase heraus berichtet haben, aber wenig von den Gefühlen, die einen Großteil der Amis bewegt.

Tatsächlich ist die kalifornische Wave-Woke-Bewegung (Surfen und sich Verwirklichen) genauso wie die Advokaten-Bewegung an der Ostküste durchaus geeignet, das Phänomen des Wahlsiegers Trump zu erklären. Diese beiden Küsten-Strömungen beeindruckten die europäischen Journalisten, die sich so eine Art Europa in Übersee erträumen, offenbar etwas zu nachhaltig.

Es fallen auch schon die ersten Schuldzuweisungen innerhalb der Demokraten, die in der Hauptsache darauf hinauslaufen, dass die Mehrheit einfach keine schwarze Frau und ehemalige Staatsanwältin dabei haben will, wenn der Mittelstand wieder zu Selbstfindung und Wohlstand kommt.

Die Menschen wollen eine Verheißung, einen Traum, aber keine durchgegenderte Karriereplanung mit täglich neuen Correctness-Vorschriften in den Bereichen Emanzipation, Klima und Migration. Das erklärt auch, warum sich gerade die angesprochenen Minderheiten nicht für die Staatsanwältin der Demokraten erwärmen konnten.

3.
Am Abend wird in der Kulturzeit auf 3-SAT dieses Phänomen demokratischer Enttäuschung erörtert. Zugeschaltet ist die Journalistin Kerstin Kohlenberg, die mit ihrem Buch Das amerikanische Versprechen seit einigen Wochen Furore macht, weil sie der Ostküstenblase drei Biographien von Außenseitern entgegensetzt, die nach gängiger Meinung falsch gewählt haben.

Der Kapitolstürmer Stephen, der Black Lives Matter-Aktivist Walter und die Latina Magali. Es sind drei Menschen, die vom Rand der Gesellschaft in die Mitte wollen, drei Menschen, die auf der Suche nach dem amerikanischen Versprechen sind. Drei Menschen, die ob ihrer Herkunft klassische Demokraten sind, und doch ins Lager der Republikaner gewechselt sind.

4.
Als für die Spätnachrichten schon alle Schaltungen in die diversen Blasen geplant sind, bricht in Berlin die sogenannte Ampelkoalition entzwei. Auf offener Bühne werfen sich die Protagonisten des Drei-Parteien-Bündnisses Vertrauensbruch vor. Die Bilanz dieser Blasenregierung ist ernüchternd und kann sich durchaus am Desaster der amerikanischen Demokraten messen.

Es bleibt ein halbfertiges Cannabis-Gesetz, wonach man zwar Kraut rauchen, es aber nicht erwerben darf. Es bleibt der Entwurf eines Entbürokratisierungsgesetzes, für dessen Exekution erst einmal Beamte rekrutiert werden müssen. Es bleibt ein Geschlechtsbestimmungsgesetz, wonach sich jeder nach Selbsteinschätzung und Selbstbestimmung das Geschlecht für das kommende Jahr aussuchen darf. (Das Geschlecht muss dann mindestens ein Jahr lang beibehalten werden.)

5.
In Österreich sind gerade Geschichten von Wahlverlierern gefragt, die erklären sollen, warum man mit dem einen oder anderen nicht regieren kann.

Auch bei uns jammern aus der Demokratieblase heraus die Geschlagenen, dass ein furchtbarer Jargon in den Diskurs eingezogen ist. Auch bei uns sind religionsnahe Verheißungen im Umlauf: Euer Wille geschehe! Und auch bei uns lässt sich der Satz von Kerstin Kohlenberg anwenden: 

Wenn du in der Emanzipation und Genderei alles richtig machst, verlierst du die Hälfte der Bevölkerung. Und wohin wenden sich frustrierte Männer, für die in der Gesellschaft keine Teilhabe mehr vorgesehen ist? – An Donald Trump oder die AfD.

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Helmuth Schönauer

Helmuth Schönauer (* 23. September 1953 in Innsbruck) ist Schriftsteller und Bibliothekar an der Universität Innsbruck. In seinen Romanen beschreibt er das Alltagsgeschehen skurriler Randfiguren auf dem Weg nach oben. Als beinahe lückenloser Rezensent der Tiroler Gegenwartsliteratur ist er Vertreter der "low lectured edition". Im sechsbändigen Tagebuch eines Bibliothekars sind knapp 5000 Rezensionen aus den Jahren 1982–2018 zu einem durchgehenden Fließtext zusammengefasst, der chronologisch nach Erscheinungsweise der rezensierten Bücher geordnet ist. Dadurch ergibt sich eine zeitgenössische Geschichtsschreibung anhand von Lektüre. Schönauer ist Mitglied der Grazer Autorinnen Autorenversammlung.

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