Helmuth Schönauer
Der Theaterwecker
Eine Farce

Rund ums Tiroler Landestheater rumort es, dabei ist alles vielleicht viel einfacher, als es die Kulturinsider vermuten.

1.
Einem Gerücht zufolge sollen im Landhaus auf den Schreibtischen diverser Beamter Wecker stehen, die nach Maßgabe der Aufgabe den zuständigen Beamten wecken und zu einer Handlung ermuntern. Einer dieser Wecker soll in der Kulturabteilung stehen und alle vier bis fünf Jahre abgehen. Der Beamte wacht auf, sieht, dass die Intendanz im Landestheater neu ausgeschrieben werden muss und beginnt mit den Vorbereitungen.

Zuerst muss er sich im Klaren sein, wer gerade politisch dafür zuständig ist. Mit diesem politischen Funktionär gilt es Einvernehmen zu erzielen. Meist sagt die politisch verantwortliche Person: Machen Sie es bitte wie immer!

2.
Der Beamte kann an diesem Tag nicht wieder einschlafen vor Glück, hat er doch einen Ansprechpartner in der Regierung gefunden, der sich für das Theater zuständig fühlt.

Da die Kulturagenden immer als Fußnote behandelt werden, hätte der Funktionär auch aus dem Sozial-, Wohnbau- oder Verkehrswesen nebenher zuständig sein können. Was für ein Glück, dass in der gegenwärtigen Lage ein Elektrounternehmer und Bergretter für das Theater zuständig ist und für genug Licht sorgt!

Der Beamte kramt die Ausschreibungsunterlagen hervor und verschickt die Einladungen für die hochkarätige Jury an genau jene Personen, die schon das letzte Mal gut entschieden haben. Es stünde ihm nicht zu, jemanden auszutauschen, weil er keine Kompetenz hat, an der Hochkarätigkeit der Kulturmanager zu zweifeln.

3.
Die Jury entscheidet wie immer und sucht aus dem Pool der Drittligisten eine passende Person aus für das Theater, das international gesehen in der dritten Liga spielt. Der Beamte sucht den Liga-Plan hervor: Erste Liga – Hauptstädte, Wien, Berlin, Zürich; zweite Liga – Traditionsstädte wie Bochum, Darmstadt, Graz; dritte Liga – Provinzstädte wie Innsbruck, Salzburg, Linz; vierte Liga – Bozen mit dem Alleinstellungsmerkmal Zweisprachigkeit.

Die Jury, einmal angeschrieben, macht alles professionell, die ausgewählte Person ist glücklich, dass die Wahl auf sie gefallen ist, sie hat inzwischen geheiratet und bringt gleich ihren Partner mit, der sich gut in die Riege der neuen Intendanz einreihen wird, die sich schon von anderen Spielstätten her kennt.

Intendanz und Programm werden der Presse an einem Termin vorgestellt, den sich der Kulturpolitiker von seinem digitalen Terminkalender herauszwacken kann.

4.
Die Theatersaison nimmt ihren Lauf. Als der erste Überraschungsrausch vorbei ist, stellen die Kunden und Abonnenten fest, dass sie wahrscheinlich auf den Arm genommen worden sind. Die neue Truppe spielt nämlich ihre eigenen Stücke, die sie ungeniert aus den Klassikern der Theaterszene herausschält, um zum finanziellen Fressnapf für die Vergütung von Originalstücken zu gelangen.

Fortan spielt der künstlerische Apparat wie geschmiert nach den gleichen Spielregeln wie im Landhaus die Beamten spielen. Die Stücke sind die gleichen, nur sagen die einen Verwaltung dazu und die anderen Theater.

Das Publikum ist manchmal irritiert, manchmal bleibt es zu Hause, im Prinzip hält es sich an die Faustregel, der das Theater der dritten Liga unterliegt: In der Provinz findet das Theater nicht im Theater, sondern vor, dazwischen und danach statt.

5.
Der Beamte in der Kulturabteilung stellt nach der ersten Saison den Theaterwecker aufs neue, irgendwann wird er abgehen, und die Sache wird sich wiederholen. In einem kleinen Ordner sammelt er Verbesserungsvorschläge zur Auswahl-Modalität, damit der nächste Kulturreferent etwas Innovatives zum Sagen hat, wenn er überraschenderweise für die Ausschreibung zuständig sein sollte.

Drei Vorschläge hält auch der Beamte für interessant, sodass er sie vor dem nächsten Einnicken noch einmal memoriert.

– In der neuen Ausschreibung soll man durch Losentscheid unter den Abonnenten einen Abo-Rat küren, der bei Jurysitzungen als Mitglied ohne Stimmrecht und Vergütung dabeisitzen darf.

– Man soll eine KI fragen, was bei anderen Theatern der dritten Kategorie herausgekommen ist.

– Ähnlich der Kirche soll überlegt werden, ob man die verwaiste Spielstätte nicht tagsüber als Boulder-Halle nützen könnte, ehe dann am Abend die Theatermesse der dritten Kategorie beginnt.

6.
Der Theater-Wecker ist wieder gestellt und scharf gemacht.

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Helmuth Schönauer

Helmuth Schönauer (* 23. September 1953 in Innsbruck) ist Schriftsteller und Bibliothekar an der Universität Innsbruck. In seinen Romanen beschreibt er das Alltagsgeschehen skurriler Randfiguren auf dem Weg nach oben. Als beinahe lückenloser Rezensent der Tiroler Gegenwartsliteratur ist er Vertreter der "low lectured edition". Im sechsbändigen Tagebuch eines Bibliothekars sind knapp 5000 Rezensionen aus den Jahren 1982–2018 zu einem durchgehenden Fließtext zusammengefasst, der chronologisch nach Erscheinungsweise der rezensierten Bücher geordnet ist. Dadurch ergibt sich eine zeitgenössische Geschichtsschreibung anhand von Lektüre. Schönauer ist Mitglied der Grazer Autorinnen Autorenversammlung.

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