Helmuth Schönauer
Der literarische Kurdirektor
Gerhard Ruiss kommt nach Tirol,
wenn er nicht gerade Nachrufe schreibt.
Reportage

Die Interessengemeinschaft (IG) hilft Autorinnen und Autoren in allen Lebenslagen, und sei es nur mit unverzichtbarem Optimismus.

1.

Seit vierzig Jahren erleben die Schreibenden in Innsbruck einen Push in die Zukunft. Der Professor Ruiss kommt und bringt aus der Hauptstadt good news aus der Schreiberszene.

In der Einladung stehen schon die ersten guten Nachrichten drin. Meist sind irgendwelche Musterverträge erhöht oder der Wirkungsbereich der IG ausgeweitet worden. Neuerdings wirkt diese Einrichtung für Schreibende sogar wie ein Pendant der Sozialpartnerschaft, wenn gegenüber öffentlichen Kultureinrichtungen, dem Schulwesen oder dem ORF irgendwas mit Tarifen verhandelt werden muss.

Gerhard Ruiss hat die IG zu seinem Lebenswerk gemacht, das er mit größter Sorgfalt als Gründer, Geschäftsführer und Entwickler der Marke IG betreut. Seine Grundidee wirkt in einer schroffen Politwelt, wo sich alles um Hire and Fire dreht, ziemlich romantisch. In der IG sollen Autorinnen und Autoren ihre Anliegen solidarisch verknüpfen und gegenüber Partnern in der Kulturwelt auf Augenhöhe verhandeln. Eine Art urgewerkschaftliche Komposition also, in die jeder auf Zeit und kostenlos eintreten kann.

Von den sicher fünftausend in Österreich am Papier Arbeitenden sind wahrscheinlich ein paar hundert regelmäßig am Dichten. Die Erfolgreichen verhandeln ihre Agenden dabei in Eigenregie, sodass für das Wirken in der IG eher die mäßig erfolgreichen oder deklariert prekären Schreibpersonen relevant sind.

Diese Prekären auf Zeit oder Lebenszeit werden von Gerhard Ruiss persönlich betreut bis hin zu einem Nachruf, den er in letzter Zeit immer öfter verfassen muss, weil ganze Schreibkohorten auf ihre Friedhöfe zuströmen.

Wegen dieser Obsorge auf Lebenszeit hat sich Gerhard Ruiss den Titel literarischer Kurdirektor erarbeitet. Angenommen, das Schreiben verbessert die Qualität der Schreibenden, dann kann durch regelmäßiges Kuren in optimistischer Atmosphäre die Lebensqualität der Schreibenden verbessert werden.

2.

In dieser Aufbruchsstimmung wartete neulich eine Schar schreibender Personen an der Unibibliothek auf ihren Kurdirektor und sie wurden nicht enttäuscht. Fast alles, was zur Sprache kam, wurde in eine positive Schwingung versetzt, was die aufgeworfenen Probleme zumindest erträglich machte. Nur einmal ließ der IG-Frontmann einen großen Seufzer los. Wenn wir Pech haben, kriegen wir eine Regierung, die auf uns pfeift!

Dazu verwies er auf diverse Resolutionen, die bei denen da oben absolut keinen Eindruck hinterlassen, obwohl sie so gut formuliert sind. Gerhard Ruiss hat nämlich, literarisch gesehen, das Genre Aufruf!-Deklaration entwickelt. Dabei wird eine Resolution wie ein Gedicht vorgetragen, das dann die Proponenten unterschreiben können. Die Unterschriftenlisten werden in Folge in der Zeitschrift Autorensolidarität veröffentlicht und für die Nachwelt gerettet.
Die Nachwelt freilich wird die Listen ähnlich lesen, wie wir Heutigen die Liste der Gefallenen am Ortsfriedhof – Person und Zweck ihres Todes sind uns meist fremd.


3.

Und was reden eigentlich die Dichter, während sie auf ihren Rechtsvertreter warten? Drei beiläufig mitgehörte Themen.

– Ein Gruseldichter jagt seine eigenen Geschichten durch die KI und überprüft, ob der Gruselfaktor sich virtuell herstellen lässt. Der KI gruselt es dabei vor sich selber und sie spuckt verblüffende Ergebnisse aus.

– Eine feministische Autorin will dem Machismo des Häfen-Literaten Jack Unterweger nachspüren und gibt auf halber Strecke auf. Die ehemalige Geliebte des verurteilten Mörders gibt nämlich zu Protokoll, dass sie sich freiwillig verliebt hat und keinerlei männliche Gewalt im Spiel war.

– Ein Sisyphus-Experte hat für seinen Helden Sisyphus ein Stone-Port bestellt, in das über Nacht der schwere Stein untergestellt werden kann, damit er am nächsten Tag beim Hinaufgerollt-Werden auf den Berg trocken ist.

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Helmuth Schönauer

Helmuth Schönauer (* 23. September 1953 in Innsbruck) ist Schriftsteller und Bibliothekar an der Universität Innsbruck. In seinen Romanen beschreibt er das Alltagsgeschehen skurriler Randfiguren auf dem Weg nach oben. Als beinahe lückenloser Rezensent der Tiroler Gegenwartsliteratur ist er Vertreter der "low lectured edition". Im sechsbändigen Tagebuch eines Bibliothekars sind knapp 5000 Rezensionen aus den Jahren 1982–2018 zu einem durchgehenden Fließtext zusammengefasst, der chronologisch nach Erscheinungsweise der rezensierten Bücher geordnet ist. Dadurch ergibt sich eine zeitgenössische Geschichtsschreibung anhand von Lektüre. Schönauer ist Mitglied der Grazer Autorinnen Autorenversammlung.

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