Helmuth Schönauer bespricht:
Werner Schandor
Flüchtiges Spiel
Roman

Markante Buchtitel haben oft das Zeug dazu, unerwartet eine ganze Epoche zu beschreiben. Der Gesellschafts-Thriller Flüchtiges Spiel fasst diese Verdunstung von Beziehungen, den oberflächlichen Umgang mit der Wahrheit und die Selbstauflösung von Regeln während des Spiels zu einer Stimmung zusammen, die über der Business-Welt Österreichs zu liegen scheint.

Werner Schandor verwendet für seine Analyse von Werbetricks, politischen Machenschaften, Casino-Mentalität und unverbindlichen Beziehungen einen Plot, der die Leser quasi von der ersten Seite an aus dem erwartbaren Muster einer prosperierenden Konsumwelt reißt.



Ein Paar reist zu Tauchzwecken auf die Malediven, trifft dort ein ähnliches Paar und legt nach klassischer Manier der Wahlverwandtschaften das Fundament für neue Beziehungen. Aber dann geschieht das im Tourismus Undenkbare: Ein Hai schlitzt die Partnerin des Protagonisten Marc auf, die daraufhin an der Kante zwischen Meer und Strand verblutet.

Diese Eingangssequenz offenbart auch gleich das Dilemma, in dem sich moderne Helden befinden. Die Ereignisse wirken nicht nur jäh aus heiterem Himmel auf einen ein, sie verändern sich in der Wahrnehmung quasi wie Quanten, die ja ständig ihren Zustand wechseln, während man sie zu beschreiben versucht.

Die Hai-Attacke erfährt eine offizielle Würdigung als Unfall, gleichzeitig ist sich der betroffene Marc nicht sicher, was wirklich geschehen ist. Mit jedem Aufruf der Erinnerung verändert sich die Geschichte, sodass es Marc bald für möglich hält, dass er selbst beim Rettungsversuch seine Partnerin mit einem Tauchermesser zu Tode verletzt hat und nicht der Hai.

Erzähltechnisch wird diese Verflüchtigung der Wahrnehmung dargestellt durch diverse Variationen, die je nach Situation neue Validität ausspucken. Einmal sind falsche Erinnerungen gar durchgestrichen wie Notizen in einem Tagebuch, die man später überschreiben möchte, ohne den ursprünglichen Sinn gänzlich auszulöschen.

Am Schicksal dieses in diversen Wahrheiten herumspielenden Marc wird schließlich ein Stück Politik Marke Österreich erzählt. Am Beispiel der Bestechungsaffären während der Beschaffung der Eurofighter sind diverse Korruptionslinien aufgerollt. Der Held durchrast dabei die Themen Jagdgesellschaften, Werbeagenturen, Geldkoffer, Bespitzlungen, Verkleidungen bei Bankraubzügen und Sudden Death im Casino.

Hinzu kommen noch dienstliche Liebschaften, Einschleich-Lovers und Glücksspiele jeder Art.

Dabei entstehen seltsame Analogien zwischen der Kugel, die im Casino rollt, und dem Projektil, das während des Banküberfalls aus der Schreckschusspistole ums Verrecken nicht heraus will. Selbst die anschließende Liebesnacht ist geprägt von Zufall und Vergeblichkeit, ehe die Kugel stillsteht.

Die Gedankenschleifen im Casino lassen sich wörtlich übertragen auf die Handgriffe, die es während der Nacht an der Geliebten zu vollführen gilt. In beiden Fällen gibt es Totalverlust, der vielleicht gar nicht schlimm ist, wenn man ihn richtig einordnet.

Dabei war es nur ein Spiel, aber wiederum war es nicht bloß ein Spiel. Es war in gewisser Weise auch ein Gradmesser dafür, wie gut man beim Schicksal angeschrieben war: ob man vom Leben geliebt wurde oder nicht. (166)

Nicht nur Marc ist von diesem Flackern der richtigen Einschätzung betroffen, alle möglichen Personen halten plötzlich inne, weil es einen Riss in der Kontinuität der Ereignisse gibt. Die Geliebte macht einen Schwangerschaftstest mit imposantem Ergebnis. Als sie Schlüsse daraus ziehen will, ist plötzlich das Stäbchen mit dem Testergebnis verschwunden.

Da ist es beinahe eine Erleichterung, wenn jemand erfährt, dass er von der Staatspolizei überwacht wird. Wenigstens ein Hauch einer Erklärung für Dinge, die man sich nicht erklären kann.

Werner Schandors Roman ist ein handwerklich fein gearbeiteter Psycho-Thriller über die österreichische Seele. Als Rezensent würdigt man einen gelungenen Spannungsroman am besten dadurch, dass man den Plot nicht verrät.

Für essayistische Untersuchungen zum Zeitgeschehen ist der Roman freilich eine oszillierende Quelle, in der mehrere Wahrheiten übereinander gestapelt sind, bis alle recht haben. Eine durchaus österreichische Spezialität zwischen barockem Aufblasen der Hülle und Verdrängen aus tiefster Seele.

Unsere Aufgabe ist es, alle hinters Licht zu führen, (148) stellt der Leiter einer Werbeagentur die österreichische Kernkompetenz dar. Und mit Arthur Schnitzler könnte man auf den wundersamen Titel vom flüchtigen Spiel rekurrieren: Wir spielen alle, wer es weiß, ist klug.

Werner Schandor: Flüchtiges Spiel. Roman. Graz: edition keiper 2025. 186 Seiten. EUR 24,-. ISBN 978-3-903575-41-7.
Werner Schandor, geb. 1967 in Fürstenfeld, lebt in Graz.

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Helmuth Schönauer

Helmuth Schönauer (* 23. September 1953 in Innsbruck) ist Schriftsteller und Bibliothekar an der Universität Innsbruck. In seinen Romanen beschreibt er das Alltagsgeschehen skurriler Randfiguren auf dem Weg nach oben. Als beinahe lückenloser Rezensent der Tiroler Gegenwartsliteratur ist er Vertreter der "low lectured edition". Im sechsbändigen Tagebuch eines Bibliothekars sind knapp 5000 Rezensionen aus den Jahren 1982–2018 zu einem durchgehenden Fließtext zusammengefasst, der chronologisch nach Erscheinungsweise der rezensierten Bücher geordnet ist. Dadurch ergibt sich eine zeitgenössische Geschichtsschreibung anhand von Lektüre. Schönauer ist Mitglied der Grazer Autorinnen Autorenversammlung.

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