Helmuth Schönauer bespricht:
Lina Hofstädter
Trauerbüchlein
Gedichte
Mit Zeichnungen von Kassian Erhart
Das Jahr ist um, die Trauer bleibt. – Zwischen der lakonischen Brisanz eines Oswald von Wolkenstein, wenn dieser seinem abgeernteten Leben als verlöschender Ritter zuschaut, und der hartnäckigen Melancholie, wie sie der Blues den Jahreszeiten der Natur abringt, bewegen sich die Gedichte des Trauerbüchleins.
Lina Hofstädter stiftet fünf Jahre nach dem Tod des Künstlers Kassian Erhart sich selbst und anderen, die einen Verlust zu beklagen haben, Trost und Impuls-Pflaster für jene Verwundungen, die jäh aufbrechen, etwa beim Anblick eines Vogels, der sich ins Sichtfeld geschlichen hat. Todestag 1 // Heute am Morgen lag da / Der kleine Vogel / Mit roter Brust / Zu Mittag lagst du / Jetzt liege ich / Und warte / Warte … (7)
In 120 Pulsschlägen aus einem angeschlagenen Trauerkorpus wallt es zu spitzen Fügungen auf, die sich nur allmählich beruhigen. Obwohl das Trauerjahr absolviert ist, die Hinterlassenschaft notdürftig geordnet und die Jahreszeiten der Gemeinsamkeit in Bildern verarbeitet sind, reißt der schützende Verband aus geduldigen Worten immer wieder auf und formiert sich zu einem Gedicht, halb Aphorismus, halb Beruhigungsandacht.
Selbst die unauffällige Nachfrage wie gehts?, kann zu einer notdürftig sedierten Explosion der Erinnerung führen. Ach, es geht / Nicht gut, nicht schlecht / Die Zeit verweht / So ungerecht! (134)
Diese 120 Gedichte sind wie Pulsschläge um die Zeichnungen des Betrauerten herum wattiert, wie um kostbares Zeichenporzellan zu schützen. Kassian Erhart hat anlässlich einer Schulterverletzung seine wuchtigen Schläge als Steinmetz und Bildhauer ruhig stellen müssen, in seiner Not hat er den Zyklus Wenn die Zukunft zerbricht gestaltet. Die vierzig Notizzettel-großen Zeichnungen kümmern sich um Strukturen aus der Natur, um Holzverknotungen, Astverzweigungen und umgeknickte Blattstiele, alles wohl vorbereitet für den Herbst, der in diesem Zyklus die Zukunft darstellt.
In den Vignetten ähnlichen Kleinodien sind die Schläge zu spüren, die der Künstler ihnen mitgibt mit seiner verwundeten Schulter. Die Bilder sind an manchen Stellen eingedellt wie Münzen nach heftigen Schlägen der Prägung.
Die Anordnung Bild – Gedicht ist einerseits intim, nur die beiden Kunstschaffenden wissen über den Tod hinaus, was sich dazwischen abgespielt hat, andererseits sind diese Konstellationen öffentlich zugänglicher Trost für andere Menschen in ähnlicher Situation.
Die Gedichte sind oft Bildunterschriften zur gezeichneten Struktur, manchmal wird ein Thema ausgegeben und in drei Schritten abgetrauert. Todestag, Fassungslos, Der alte Kirschbaum sind solche Dreischritt-Gedichte, die im Sinne einer Kurzlitanei das ins Auge Gefasste von drei Seiten angehen.
Die Themen Felssturz, Tsunami, Täuschungsoasen sind einem Traueratlas entnommen, aus dem man einst diverse Reiseziele entnommen hat, und in den jetzt die Erinnerungen wie Parte-Zettel eingelegt sind. Manchmal versucht das lyrische Ich, dem Thema zu entkommen, indem es sich selbst verortet wie eine Täuschungsoase in versandetem Gelände. Am Fenster – Fassungslos I // Da sitzt du / Wie immer / Und ich / Wir lachen / Seh durch dich / Hindurch / Ins Leere / Ins Weite (44)
Der Vergleich dieser wohltemperierten Schmerzgetränke mit der späten Lyrik des Oswald von Wolkenstein drängt sich auf. Es geht um den Blick, der nach einem abenteuerlichen Leben die Helden befällt, wenn sie mit dem Herbst des Daseins konfrontiert werden: Wenn die Zukunft zerbricht. Liebe Tod und Leid fallen wie von selbst über den späten Sänger her, als den wir den Meister seit dem Mittelalter kennen.
Du endest nie als das, als was du dich im Leben erschaffen hast, lautet eine Weisheit aus der Kunstszene. So könnte man über den Künstler der wuchtigen Schläge staunen, dass seine höchste Kunst am Ende der Tage in kleinen Zeichnungen die höchste Vollendung gefunden hat.
Das gleiche gilt auch für Lina Hofstädter, in deren Gedichten und Trauernotizen das Gesamtwerk wundersam verdichtet ist. Jetzt bin ich so alt / Wie du es warst / Habe morgen den einen Tag / Dir voraus. / Vielleicht. (198)
Lina Hofstädter: Trauerbüchlein. Gedichte. Mit Zeichnungen von Kassian Erhart.
Innsbruck: Tiroler Autorinnen und Autoren Kooperative TAK 2024. 204 Seiten. EUR 22,-. ISBN 978-3-900888-90-9.
Lina Hofstädter, geb. 1954 in Lustenau, lebt in Sistrans.
Kassian Erhart, geb. 1948 in Fließ, starb 2018 in Sistrans.
Wenn Ihnen schoepfblog gefällt, bitten wir Sie, sich wöchentlich den schoepfblog-newsletter zukommen zu lassen, und Freundinnen und Freunde mit dem Hinweis auf einen Artikel Ihres Interesses zu animieren, es ebenso zu tun.
Weitere Möglichkeiten schoepfblog zu unterstützen finden Sie über diesen Link: schoepfblog unterstützen