Helmuth Schönauer bespricht:
Janus Zeitstein
Morphopoetische Rhapsodie
Auch für Bücher gilt: Das Unerwartete macht oft die größte Freude. Janus Zeitstein stiftet mit seiner Morphopoetischen Rhapsodie einen Moment lang Verwirrung, um dann die Leser mit beinahe magnetischem Glücksversprechen ins Buchinnere zu ziehen.
Dabei dient der Titel als Programm:
a) Rhapsodie als Genre für Bruchstückhaftes oder aus losen Teilen Zusammengeflicktes
b) morphopoetisch als freie Erscheinungsform der Poesie
Zusammengesetzt ergibt sich ein positiv geladener Begriff, der ähnlich einem Medikament schon durch das laute Ablesen seines Markennamens einen Heilungsprozess in Gang setzt.
Die angestrebte Rätselhaftigkeit des angepeilten Inhalts erprobt Janus Zeitstein an der eigenen Biographie. In die Mitte der 50er Jahre geboren in Solbad Hall, bei der Geburt verwechselt, jedoch von Muttern umgehend zurückgefordert. Humanisiert und romantisch verseucht durch Kennedyaner in der Sillgasse und vom Föhn. (111)
Diese Art des Biographierens fußt einerseits auf Genauigkeit, das heutige Hall in Tirol heißt damals wirklich Solbad Hall, andererseits auf Schemenhaftigkeit. Unter den Kennedyanern sind die Mitglieder des Kennedyhauses in Innsbruck gemeint, der Föhn war in den 1980er Jahren eine Essay-Zeitschrift mit dem Volk als Redaktion. Die Pointe mit der Geburtsvertauschung nützt ein Hauptelement des Schelmenromans, worin meist der Höhepunkt des Heldenlebens in der Geburt besteht. Nach dieser Entschlüsselungsmethode lassen sich jene Texte lesen, die anhand eines Plots konfiguriert sind.
In der lyrischen Erzählung Neunstetten (15) fällt unter seltsamen Lichtverhältnissen das erste Wort eines Kindes, das mit einem Urlaut das Gelände in Besitz nimmt und durch bloße Anwesenheit eine Geschichte mit sich selbst erfindet. Die Himmelserscheinungen der Gstättn ziehen mit dem Kind weiter und behausen später das Kinderzimmer, das in einem seltsamen Feuerschein flackert. Pumpen, Generatoren, Maschinen werkeln am Nachjustieren der Landschaft, die allmählich mit den Lichtschwellen des Mondes übers Kreuz kommt. In einem Anfall grotesker Romantik verformen sich Bäume zu Figuren für ein spätes Gespensterspiel.
Eine ähnliche Erzählweise sprengt einen Krawall-Spot aus Kärnten, wie er beiläufig im Chronik-Teil der lokalen Medien vorkommt. Jäger Jodler Karawanken (26) liest sich als touristische Parole genau so flüssig wie als Polizeibericht über ein Verbrechen vor Ort.
Unter dem Vollmond (33) breitet ein lyrisches Ich schließlich seine Lüste und Wünsche aus, um damit die Nacht in Aufruhr zu versetzen.
Als zweite Rhapsodie-Komponente mausern sich neben der Kategorie über-romantisierte Groteske eingedampfte Silbengedichte zu Schaltplänen für ein nicht enden wollendes Sudoku heraus. Diese Rätsel sind manchmal mit bloßen Zahlen überschrieben, manchmal mit Wunschkennzeichen für geheimnisvolle Initialen-Betreiber.
Das dritte prägende Element dieses morphopoetischen Konstrukts sind schließlich die Zeichnungen, die vor allem durch die scharfen Konturen in die Fläche treten und wie Buchstaben auf einer Lesefläche wirken. Dabei entsteht der seltsame Effekt, dass die Umrisse durch Überschärfe zu einem amorphen Fleck mutieren.
In einer Art Gebrauchsanweisung spricht der Autor davon, dass die Texte ein Myzel spinnen, wo da oder dort dann ein genießbarer Pilz aufpoppt, vielleicht auch einmal ein giftiger oder unansehnlicher oder gar ein magic mushroom.
Dieses Text-Myzel frisst sich einerseits in eine Gegend hinein, in der purer Larifari herrscht. Dabei sind dadaistische Klänge zu hören, kindliche Lautmalereien oder versponnene Seufzer-Notizen neben einer Arbeit. So wird etwa das Herausholen eines Popels aus dem Nasenloch als aufregende Schatzsuche beschrieben.
Auf der anderen Seite stößt das Gedankengewühle in Gegenden der psychischen Diagnose vor, wenn etwa die Spätfolgen einer ungefragten religiösen Interaktion skizziert werden, wonach durch Taufe der Täufling zum Sklaven wird.
Die Beschäftigung mit theoretischem Sex (78) ist freilich keinesfalls staubtrocken, sondern artet in schleimig fruchtige Überlegungen aus.
Als literarisches Gegenspiel zur artifiziellen Biographie lässt sich ein Auftritt am Heldenplatz lesen, der mit der Parkplatzsuche beginnt und mit einem Nichtigkeitsgefühl endet, wonach das Individuum am Heldenplatz aufgeschmissen ist, wenn es nicht oben am Heldenbalkon steht.
Für Lese-Hektiker, die das Buch in Sekundenschnelle rezipieren wollen, hat Janus Zeitstein das rhapsodische Projekt in einer Präambel zusammengefasst. Monster schlafen / Hinter Wörtern / Linde Würmer / Unvollkommene Begriffe / Flüchtige Ahnungen einer Idee / Das frische Blut eines geschlachteten Apfels. (5)
Janus Zeitstein: Morphopoetische Rhapsodie. Innsbruck: Tiroler Autorinnen und Autoren Kooperative TAK 2024. 114 Seiten. EUR 20,-. ISBN 978-3-900888-87-9. Janus Zeitstein, geb. 1955 in Hall in Tirol, lebt in Wien.
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