Drei Rezensionen
von Helmuth Schönauer anlässlich
der Zuerkennung des Georg-Büchner-Preises
an den Südtiroler Oswald Egger
Euer Lenz / Gnomen & Amben / Val di Non

Euer Lenz

In der Literaturgeschichte gibt es so magische Kosenamen, die das Herz des Belesenen sofort höher schlagen lassen. Lenz ist so ein poetischer Zauberer, der bei jedem Aufruf an die Grenzen seiner Gedankenkapazität geht, manchmal umringt von einem Gebirge.

Oswald Egger, der Schöpfer einer eigenen poetischen Sprache, nimmt den Kosmos des Lenz auf und gestaltet daraus einen Atlas der Poesie.

Der wilde Dichter Jakob Michael Reinhold Lenz (1751-1792) gilt seit der Erzählung Lenz von Georg Büchner als der heftigste Borderliner der Literatur, der je nach Tagesverfassung eine eigene Tagessprache erfindet. Wurmloch zu den Wolken heißt so eine bekannte Fügung, die sich jeder Leser persönlich auslegen darf.

Oswald Egger baut sein Buch einerseits auf wie eine Lyriksammlung, in der unendlich viele Stoffkreise in Gedichten abgearbeitet werden, dann wiederum greift er zu kleinen Skizzen, in denen jeweils schier unmögliche Situationen zu Sprache transformiert werden.

Ab und zu gibt es eine kleine Zeichnung, die als Minimundus zur Milchstraße angelegt ist. Selbst die Gattung Textbildchen, worin eine Verwandlung des Innenraums in einen Wald oder die graphisch formulierte Windstärke eines Tornados dargestellt sind, verwandelt sich in einen textlichen Eintrag Marke Lexikon. Am Schluss werden die Schlüsselbegriffe zu einem Plakat aufgeblasen, das sich wie die Schlachtenkarte eines Generalstabes der Formulierungen auf jede Stirnwand kleben lässt.

Die sprechenden Figuren sind aufgespalten, überlappt oder verdunkelt, darin lässt sich manchmal der Autor erkennen, der sich Ossian des Südens (51) nennt. Oft sind die Sätze einem lyrischen Über-Ich zugeordnet. Bei mir hinkt zweifellos, besonders bei der Formulierung unkomplizierter Gedankengänge, das Denken dem Sprechen nach. (25)

Dann wieder hat sich eine rhetorische Figur, die soeben als Zeichnung plausibel abgetaucht ist, an die Oberfläche des Textes gestrampelt. Da ich drei überzählige Körperteile habe, lebe ich im Schlaf gleichzeitig in drei Zuständen. (53)

Physikalische oder zoologische Gebilde formen sich zu neuen Kreaturen aus: Mir ist ein Hund in Wurmform zugeflogen. (63) Oder sie verschwinden durch einen Trick jenseits der Schwerkraft: Während ein Ding oder ein von etwas umgrenztes Loch gewöhnlich im gebrochenen Wort bricht (als Gegenstand mit Raum ringsumhin), gelingt es Linz und Lunz in Räume einzudringen, die ohne Hülle Fülle sind. (36)

Die in die hintere Buchtasche geklemmte Karte trägt den sinnigen Titel: Trollatischer Purzel-Atlas aus Windgnomen-gelenkigen Kaprizier-Trittlingen in quasi unüberdrehter Tabulatur.

Oswald Eggers Poetik-Eruptionen sind von einer Heftigkeit, dass sie auch auf noch so vielen Poetik-Lehrstühlen nicht zum Niedersetzen gebracht werden können.

Oswald Egger: Euer Lenz. Prosa. Berlin: Suhrkamp 2013. 237 Seiten. (Plakat) EUR 49,40. ISBN 978-3-518-42351-6.


Gnomen & Amben

Wenn die richtigen Typen zusammenkommen, entsteht durchaus freche Lyrik. Wenn zwergenhafte Schatzhüter (Gnomen) und Doppeltreffer im Lotto (Amben) aufeinandertreffen, kann eigentlich nur die Lyrik des Oswald Egger daraus entstehen.

Tatsächlich braucht das Lyrikwerk Amben & Gnome von Oswald Egger einen beruhigenden Vorspann, ehe sich das Auge dann teilen muss, weil auf den Seiten oben immer etwas anderes gespielt wird als im Fließtext unten.

Im Vorspann ist ein Ausschnitt eines Kombinationsspiels gezeichnet, worin poetische Schlieren einer Doppelhelix in verrückten Auswuchtungen abgelegt sind. Glühfäden von jäh geschmolzenen Leuchtkörpern könnten am ehesten die Graphik deuten, worin vielleicht als Vorspiel Gnomen und Amben aufeinander treffen. In einer Art Regieanweisung wird noch erklärt, dass die beiden Typen in einem Wettlauf stehen, und dann geht’s los.

Im oberen Zweidrittel laufen nummerierte Sätze über die Sehfläche, die einerseits das Wesen der Protagonisten beschreiben, andererseits dramatische Wendepunkte, wo poetische Verquirlungen die Konsistenz wechseln. Ich bin unrund und klein und voller Ecken und Knoten, Das Messer ist an der Lehmbank gewetzt und schneidet immer besser.

Ein ziemlich durchgeknallter Ich-Erzähler gibt jeweils wie in einer Kapitelüberschrift des Barocks die gegenwärtige Lage zum Besten, etwa dass er eine Kuh überholt hat oder zwölf Ferkel ohne Fell in einem Fangloch akustisch zur Welt gekommen sind.

Im unteren Drittel laufen derweil durchnummerierte Sätze wie eine wild gewordene Chronik auf die Sequenz 1117 zu, die aus der Fügung und zwar besteht. Dazwischen gibt es schöne Selbsterkenntnisse und Sprüche. 585 Ich bin weder balg, noch schön, noch Mensch. 596 Im Trab ritt ich den Hügel hinab und bückte mich bei jedem Schritt.

Aus diesem Abenteuer-Material, das aus einer archaischen Natur stammt, die mit allerhand Tricks umgangen oder niedergerungen werden muss, entwickelt sich eine Geschichte, die manchmal einem Schöpfungsbericht nahe kommt und dann wieder an Karl Mays Zobeljäger und Kosak erinnert.

Das Aufspalten der Erzählung in Späne, Floskeln und Zellen ermöglicht im gleichen Atemzug, indem etwas zerlegt worden ist, das Zusammenfügen in ein neues Gebilde. So entstehen aus einem Satz Fabelwesen und Algorithmen zufällig logisch zugleich.

Und manche Sätze gehen einem stundenlang nicht mehr aus dem Sinn, das muss doch eine Bedeutung haben, das kann doch nicht einfach aus einer poetischen Laune heraus so hingeschrieben sein? Der Berg peinigt meine Beine immer beide. (13) Hinter solchen Sätzen könnte ein Guru stehen, ein sprachlicher Orthopäde oder ein Stück Urgestein.

Oswald Egger ist vielleicht alles davon, wenn er seine unverwechselbar skurrilen Sätze los lässt, ein Guru, der den letzten Teil seiner Botschaften gerne zurückhält, ein Orthopäde, der dem sprachlichen Skelett zu einem neuen Bewegungsspielraum verhilft, ein Urgestein, aus dem auf jeder Seite König Laurin herausspringen kann. – Wunderbar gnomisch und ambisch eben!

Oswald Egger: Gnomen & Amben. Berlin: Brueterich Press 2015. 83 Seiten. EUR 20,-. ISBN 978-3-945229-05-7.


Val di Non

Sogenannte Preisdichter schreiben ihre Werke meist für die Jury, ab und zu freilich schreiben sie ein Buch, um die angehäuften Preise zu rechtfertigen. Oswald Egger ist ein abgebrühter Preisdichter, als er in diesem Sommer den Trakl-Preis bekommt, murmelt er irgendwie, dass ihm dieser noch in seiner Sammlung gefehlt habe. Als Vorschuss für den Preis hat er bereits sein neuestes Opus ausgeliefert: Val di Non.

Das Buch entzieht sich den klassischen Einteilungen, ist aber wohl am ehesten der Lyrik zuzurechnen. Unter dem scheinbar geographischen Begriff Val di Non ist eine semantisch lose im Sprachgeröll verankerte Prosa-Lyrik ausgestreut, die sich als drei Komponenten durch das Buch zieht.

1. Im Typus eines kursiv gesetzten Gedichtes gehen von einem lyrischen Ich immer Beschreibungen zu spontan gefühlten Zuständen aus. Wie ein Hund / der vereiste Speise- / fische gefressen hat, / zittere ich dabei. // Meine Arme / haben niemanden, / aber meine Taille hat keine Beine. (159)

2. Diesem Gedicht sind als naturkundliche Zeichnungen Schlieren, Einzeller-Fragmente oder Zellansammlungen in Form eines Angelhakens beigefügt.

3. Im unteren Seitendrittel rinnt ein kompakter Prosatext über die Fläche, dabei geht es in einem elendslangen Satz um Wasseradern, Geröllmassive, Windpappeln und Viehwald.

Die einzelnen Seiten sind wie Blätter für eine Ausstellung organisiert, greifen oft neue Themen auf und korrespondieren mit den Nachbarblättern. In Buchform gepresst erinnern diese Substrate an ein Lehrbuch für Geographie oder Naturkunde, zumal sie wie für Lehrbücher üblich den Text zu Merksätzen formulieren. Dabei tauchen auch ständig neue Wortschöpfungen auf, die den Leser mindestens so perplex machen wie seinerzeit in der Grundschule, als die Wörter jeden Tag das erste Mal ins Bewusstsein des Schülers geklopft worden sind.

Der Titel des ganzen Unterfangens strahlt freilich bis in die letzten Zeilen hinein. Dieses Val di Non schüttet geographische Begriffe am laufenden Band aus dem Handgelenk. Andererseits werden diese Kompositionen auch von einem immensen Spieltrieb gesteuert, der sich an das Zufallsprinzip hält und dem Nonsens durchaus Paroli bietet. Denn das macht diese Tüfteleien und Spielereien so unterhaltsam: Obwohl der Autor die Sache natürlich ernst nimmt wie ein Kind ein gelungenes Spiel, ist der Ausgang dieser Konstellationen ungewiss, sie könnten auch puren Nicht-Sinn bedeuten, dann käme man dem Tal des Nonsens schon ziemlich nahe.

Für die Jurys, die in Permanenz tagen, um dem Oswald Egger ständig frische Preise zuzuspielen, ist dieses Val di Non ein ideales Dokument, das Innovation und Individualismus bedeutet, für die normale Leserschaft eine ermunternde Spielanleitung, um aus der Sprache während der Lektüre einen gelungenen Abend abzuzapfen.

Oswald Egger: Val di Non. Berlin: Suhrkamp 2017. 207 Seiten. EUR 28,-. ISBN 978-3-518-42582-4.
Oswald Egger, geb. 1963 in Tscherms, lebt in Hombroich / Neuss.


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Helmuth Schönauer

Helmuth Schönauer (* 23. September 1953 in Innsbruck) ist Schriftsteller und Bibliothekar an der Universität Innsbruck. In seinen Romanen beschreibt er das Alltagsgeschehen skurriler Randfiguren auf dem Weg nach oben. Als beinahe lückenloser Rezensent der Tiroler Gegenwartsliteratur ist er Vertreter der "low lectured edition". Im sechsbändigen Tagebuch eines Bibliothekars sind knapp 5000 Rezensionen aus den Jahren 1982–2018 zu einem durchgehenden Fließtext zusammengefasst, der chronologisch nach Erscheinungsweise der rezensierten Bücher geordnet ist. Dadurch ergibt sich eine zeitgenössische Geschichtsschreibung anhand von Lektüre. Schönauer ist Mitglied der Grazer Autorinnen Autorenversammlung.

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