Helmuth Schönauer bespricht:
Blasmusikfibel
Konzertieren zwischen Tradition und Moderne
Eine Pflichtlektüre für Musikbegeisterte

In der Medienkunde kursiert der Witz, wonach man zur App früher Fibel gesagt habe. Die Blasmusikfibel könnte man somit als nützliche App verwenden, um etwas über angewandte Hörkunst, Trachtenjoppe als soziologischen Filz und heiße Luft als Tonträger zu erfahren. Alle diese Erkenntnisfelder stecken nämlich im Phänomen Blasmusik.

Alois Schöpf hat als Dorfkind, Konservatoriumsschüler, Kapellmeister, Konzertveranstalter und Musikkritiker alle notwendigen Stationen durchlaufen, um über das Heiligtum der Nord- und Südtiroler, also die Blasmusik, einen unterhaltsamen Essayband verfassen zu dürfen.

Da es sich bei der Blasmusik um ein akustisches, trachtiges und politisches Phänomen handelt, ist niemand vom Diskurs über das Musizieren im öffentlichen Raum ausgeschlossen. Dem Fachpublikum und der beiläufig patriotischen Interessentenschaft gilt die Aufmerksamkeit des Autors, indem er assoziativ-stringent von jenen Abenteuern erzählt, die so ein musikalisches Allroundleben begleiten.

Am besten beginnt man die Lektüre mit dem Inhaltsverzeichnis, worin die einzelnen Erfahrungen, Erhellungen und Irrtümer in Fragestellung vorgehalten sind.

– Gibt es schlechte Musik? Und soll man sie als solches bezeichnen?
– Warum interessiert sich die Jugend nicht für die Klassik?
– Wie gefährlich ist der Dienst am Gestrigen?
– Wie kann einem diese Musik der Egerländer nur gefallen?
– Wozu dient die derzeitige Kapellmeisterausbildung?

Die aufgeworfenen Fragen ergeben sich aus der essayistischen Auseinandersetzung mit jenen drei dynamischen Gebläsen, denen jeder Kunstschaffende ausgesetzt ist: Einmal ist es das biologische Fortschreiten der Handwerkskunst, simpel dargestellt am Verlust von Behändigkeit und Feinmotorik, der sich im Alter bemerkbar macht.

Zum anderen ist es der Flow der Zeiten, der den Umgang mit der Kunst ständig neu herausfordert. Und zum dritten ist es die tagespolitische Fragilität, die stets zu neuen Anpassungen und Unterwerfungen der Kunst an die Mächtigen führt.

Aus diesen drei Dynamiken entwickelt der Autor mit scharfem Befund eine gewisse Gelassenheit. Denn für die Fibel gibt es keine absoluten Gesetze, höchstens hilfreiche Bemerkungen.

Etwa wenn es darum geht, das Schwitzen unter der prügel-dichten Tracht auszuhalten und dennoch flotte Melodien zu spielen. Oder welche Schachzüge zu setzen sind, wenn man als kleine Musikkapelle eine große CD aufnehmen will. Manche Hinweise schlagen Brücken zu anderen Künsten, etwa wenn das Wertungsspiel nach den Richtlinien eines Feinschmecker-Guides abgewickelt werden soll.

Jenseits der handfesten Tipps und Erfahrungsberichte stechen die essayistischen Analysen über das Sozio-Top Blasmusik umso deutlicher hervor.

Die Blasmusik ist immer noch im Würgegriff der öffentlichen Politik, wenn es etwa um das Zelebrieren eines landesüblichen Empfangs geht. Auch die Entklammerung aus der faschistischen Zeit ist kein leichtes Unterfangen, subkutan sind die Märsche von damals immer noch da.

Manchmal wird die Blasmusik auch zum Retro-Instrument. Man denke nur an das Konzept der Egerländer, die bewusst ein historisches Bild vom Verlust der Heimat anpreisen, das nur mühsam unter Kitsch verborgen ist. In manchen Stücken kommen sich Egerländer und Südtiroler dabei sehr nahe.

Da die Blasmusik vor allem auch eine regionale Angelegenheit ist, die trotz internationaler Musikthesen und Kompositionsleistungen immer auch auf den unmittelbaren öffentlichen Raum einwirkt, ist der Verfilzung und Verhaberung Tür und Tor geöffnet. Im Zusammenhang mit dem öffentlichen Rundfunk ergeben sich wegen der Engführung der Materie nahezu von selbst Clanstrukturen, die sich mit gängigen Kunstkriterien kaum aufdecken lassen.

Alois Schöpf zeigt in seinen spitzen Bemerkungen allerhand Ungereimtheiten im Musikbetrieb auf. Diesen kann man mit Altersweisheit unterfüttert in sich ruhen lassen, man kann ihn aber auch ironisieren, indem man ihn in seiner grotesken Ausformung wörtlich nimmt: Als die Kunst der heißen Luft.

Die Blasmusikfibel ist einerseits eine nützliche App zum Ausüben von solcher Kunst. Andererseits ist sie eine zeitgeschichtliche Analyse drüber, wie der öffentliche Raum eingeengt wird, wenn sich die Kunst selbst einengt.

Vieles aus dem beschriebenen Unterhaltungsstück lässt sich auch auf das regionale Theater, die öffentlichen Bibliotheken oder die Kleinkunstbordelle übertragen, wie Zeltfeste manchmal bezeichnet werden. Und mindestens einmal auf jeder Seite kommt es zu einem schlauen Satz, der einen schmunzeln macht.

Ein groteskes Merkmal zumindest der österreichischen Blasmusikszene besteht in ihrer Titelsucht. (147)

Die Verbindung von Blasmusik und Alkohol ist eine abgründige Allianz. (206)

Bilanz: Fundiertes historisches und soziologisches Wissen muss zur Ausbildung von Musikern und Kapellmeistern in Zukunft ebenso gehören wie Harmonielehre und Instrumentation. (186)

Alois Schöpf: Blasmusikfibel. Konzertieren zwischen Tradition und Moderne. St. Johann: Verlag Hannes Hofinger 2025. 222 Seiten. EUR 15,-. ISBN 978-3-9505593-9-2. Alois Schöpf, geb. 1950, lebt in Lans.

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Helmuth Schönauer

Helmuth Schönauer (* 23. September 1953 in Innsbruck) ist Schriftsteller und Bibliothekar an der Universität Innsbruck. In seinen Romanen beschreibt er das Alltagsgeschehen skurriler Randfiguren auf dem Weg nach oben. Als beinahe lückenloser Rezensent der Tiroler Gegenwartsliteratur ist er Vertreter der "low lectured edition". Im sechsbändigen Tagebuch eines Bibliothekars sind knapp 5000 Rezensionen aus den Jahren 1982–2018 zu einem durchgehenden Fließtext zusammengefasst, der chronologisch nach Erscheinungsweise der rezensierten Bücher geordnet ist. Dadurch ergibt sich eine zeitgenössische Geschichtsschreibung anhand von Lektüre. Schönauer ist Mitglied der Grazer Autorinnen Autorenversammlung.

Dieser Beitrag hat 2 Kommentare

  1. Josef gasteiget

    Super gut kommentiert, die spitze feder von Alois trifft immer ins schwarze

  2. Josef gasteiget

    Super besprochen, hab das buch in einem vernascht und dem alois auch schon gratuliert zur spitzen feder.

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