Helmuth Schönauer
Afghanisch-tirolisch
Stichpunkt
Der 15. August, militärisch nach der Zahlenkombination 08/15 Null-acht-fuffzehn-Tag genannt, treibt jedes Jahr in Tirol und Afghanistan festliche Blüten auf den Displays der Nachrichtensender.
In Tirol wird zum zweihundert-und x-ten Mal ein religiös unterlegtes Gelübde gefeiert, das die Vorfahren einst gegen Himmel gesandt haben, als sie nicht mehr Herren im eigenen Lande zu sein glaubten. Und in Afghanistan wird seit 2021 die feierliche Übergabe von Kabul aus NATO-Hand an die Taliban gefeiert, die seither als Hausherren das Sagen haben.
Die zeitliche Rotverschiebung zwischen diesen feierlichen Anlässen verbietet es natürlich, zu sehr Analogien zwischen den beiden Ereignissen herbeizuführen, andererseits sind die Tirolernden nie zimperlich, wenn es etwa Pfundiges zu feiern gilt.
So war jahrzehntelang der einzige Kontakt zwischen den beiden Ländern das sogenannte Kandahar-Rennen, das unter berauschenden Schnee-Umständen in St. Anton zelebriert wurde. Wer erinnert sich nicht an den Helden Karl Schranz, wenn er wieder einmal in die Hocke ging, um zu gewinnen? Dass Kandahar eine afghanische Stadt ist, wissen die meisten Hocke-Jäger bis heute nicht, und der Name wurde gewählt, weil ein englischer Adeliger sich diesen Titel als Besatzer von Kandahar unter den Nagel gerissen hatte und damit protzend durch die Welt gefahren ist.
Manche am Arlberg kriegen heute noch nicht den Mund zu, wenn sie Kandahar hören. Ein gebildeter Einheimischer kommentierte freilich die Mure, die jüngst durch den Ort gesaust ist, mit den Worten: Jetzt schaut es bei uns aus wie in Kandahar.
In Tirol werden am 15. August allerhand sympathische Leute geehrt und mit einem Keks geadelt, wobei es den Lebensrettenden besonders peinlich ist, in der Hofburg in Dirndl und Janker erscheinen zu müssen. In Kabul absolvieren indessen die Taliban ihre immer dünner werdende Parade, die aus liegengelassenen NATO-Fahrzeugen besteht, für die aber kaum genügend Parade-Sprit aufgetrieben werden kann.
Neben vielen Sätzen und Erklärungsversuchen, die heuer zur Lage in Kabul geäußert wurden, sticht jene der Grande Dame des afghanischen Journalismus hervor. Mahbouba Seraj zeichnet dabei ein düsteres Zukunftsbild des Landes. Und das nächste Problem ist, dass die Taliban überhaupt keine Ahnung haben, wie man eine Regierung oder ein Land führt. Überhaupt keine Ahnung. ORF, 15.8.24
Im Hintergrund läuft bei manchen freilich dieser Kommentar auf Tirol gemünzt mit: Das nächste Problem ist, dass die ÖVP-ler überhaupt keine Ahnung haben, wie man eine Regierung oder ein Land führt. (Man denke nur an das Zukunftsmanagement des Fernpasses.)
Anlässlich der Taliban-Feiern taucht ein interessanter Vorschlag auf und bezieht sich auf die Tatsache, dass die Frauen in Afghanistan unterdrückt und in Hausarrest gehalten werden, während manche afghanische Männer in Europa strafrechtlichen Unfug treiben, aber nicht zurückgeschickt werden dürfen. Der Volksmund schlägt daher vor, einem gewissen Kontingent von Frauen Asyl zu gewähren und dafür straffällige Männer zurückzuschicken. Denn in Afghanistan gibt es ja ohnehin eine pure Männerherrschaft. Mit dieser Begründung dürfen auch keine Männer mehr ins Asyl, denn sie sind ja in ihrer Kultur bereits an der Macht.
Vielleicht wird man in 200 und x Jahren in Kabul ebenso herzergreifend feiern können wie hierzulande in der Hofburg, wenn ein zehnjähriges Mädchen lachend über der Lebensretter-Medaille sagt: Ich habe gesehen, dass der kleine Bua absauft, da bin ich hineingesprungen und habe ihn gerettet.
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