Helmuth Schönauer
Wenn Stifter stiften gehen.
Eine gesetzliche Systemlücke
ermöglicht Karrieren für Schlaumeier.
Stichpunkt

Die Helden dieses Herbstes sind eindeutig Benko und Brunner. Der eine hat eine Stiftung gemacht, der andere hat sie als Finanzminister verwaltet und ist anschließend stiften gegangen.

Die Herrschaftsformen kann man sich durchaus wie das Blatt eines Kartenspiels vorstellen, das für einem per Zufall ausgespielt wird. Demokratie, Oligarchie, Gottesstaat oder Gangsta-Clan – alles kann einem passieren, wenn man schlechte Karten hat. Und wie der Ober den Unter sticht, sticht die Oligarchie die Demokratie und der Gottesstaat den Gangsta-Clan.

Allen Herrschaftsformen ist freilich gemein, dass sie ein kompatibles Währungssystem haben, sei es Geld, Krypto-Coin oder Gold. Und die wahren Schlaumeier und Mächtigen in jedem System erkennt man daran, dass sie private Kohle aus dem geschlossenen Kreislauf hinaus zu transferieren vermögen.

Damit dieses privat gerettete Geld nicht verloren ist, muss man es irgendwie vor dem Zugriff des Staates schützen, sei es durch die Schatzkiste im Garten, den Briefkasten auf einer Insel oder eben ganz salopp im Schließfach vor der Haustüre.

Die rechtliche Form für diese Meta-Welt heißt hierzulande Stiftung. Die Stiftungen klingen harmlos, sind aber ideale Währungskapseln, um das Geld aus dem üblichen Kreislauf zu entfernen und fallweise in privaten Dosen wieder auftauchen zu lassen.

Wegen des Raffinements der rechtlichen Konstruktion nennt man unser politisches System gerne Stiftokratie. Diese Spielkarte schlägt alle gängigen Regierungsformen, selbst Putin leistet sich über seiner Oligarchie noch diverse Stiftungen, damit er überall zuschlagen und kaufen kann, wenn ihm danach ist.

Wer imstande ist, sein Lebenswerk in einer Stiftung unterzubringen, hat es geschafft. Die Gesetze sind nämlich so gestaltet, dass im Inneren der Stiftung Rechtsschutz besteht, nach außen hin aber das Faustrecht. Wer eine Stiftung hat, hat Recht und kann mit seinem Geld tun und lassen, was er will.

Unter diesem Aspekt sollte man also dem oft abfällig als Bankrotteur bezeichneten Herrn Benko Respekt und Anerkennung zollen. Wer ein Recht zu nutzen weiß, hat auf jeden Fall einen gesunden Überlebensinstinkt. Und es zeugt von hoher Intelligenz, wenn man eine Stiftung so hinkriegt, dass man damit überall auftreten kann, ohne dass man wegen irgendwelcher Altlasten belangt wird.

Warum aber greift der Staat nicht ein und schafft ein Rechtskonstrukt, wonach niemand mit dem Geld aus dem System abhauen kann?

Nun, weil der Staat selbst wie eine Stiftung agiert. Hier kommt der zweite Held des Herbstes ins Spiel. Der Finanzminister kriegt sein Budget nur über die Runden, wenn er in den Bilanzen Summen auftauchen und verschwinden lassen kann, wie in einer Stiftung.

Der Bilanzjongleur Brunner hat als Finanzminister das Budget jeweils so à jour gebracht, dass seiner Partei kein Schaden daraus entstanden ist.

Und als nach den Wahlen die wahren Zahlen auf den Tisch gekommen sind, hat sich Herr Brunner schon längst nach Brüssel abgesetzt, um dort den nächsten Coup zu landen. Mit dem Asylwesen wird es ihm nämlich gleich ergehen wie mit den Staatsfinanzen: Er wird günstige Zahlen erfinden müssen, bis die Legislatur vorüber ist.

Beide Helden der diskreten Bilanz hinterlassen eine Menge Enttäuschter, sei es als Anleger, die klug gelegt worden sind, oder als Staatsbürger, die abermals wieder einem Wahlversprechen aufgesessen sind.

Gegen die Künste Stiften und Stiftengehen sind alle machtlos, egal welches politische System über sie gestülpt worden ist.

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Helmuth Schönauer

Helmuth Schönauer (* 23. September 1953 in Innsbruck) ist Schriftsteller und Bibliothekar an der Universität Innsbruck. In seinen Romanen beschreibt er das Alltagsgeschehen skurriler Randfiguren auf dem Weg nach oben. Als beinahe lückenloser Rezensent der Tiroler Gegenwartsliteratur ist er Vertreter der "low lectured edition". Im sechsbändigen Tagebuch eines Bibliothekars sind knapp 5000 Rezensionen aus den Jahren 1982–2018 zu einem durchgehenden Fließtext zusammengefasst, der chronologisch nach Erscheinungsweise der rezensierten Bücher geordnet ist. Dadurch ergibt sich eine zeitgenössische Geschichtsschreibung anhand von Lektüre. Schönauer ist Mitglied der Grazer Autorinnen Autorenversammlung.

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