Helmuth Schönauer
Tyrolisch-orthodoxe Kirche
Stichpunkt
Tyrolisch-orthodoxe Kirche ist eine künstlerische Erfindung und hält wissenschaftlichen Kriterien nicht stand. Da es aber manche Kirchenvertreter mit der Wissenschaft nicht so genau nehmen, ist die schwammige Bedeutung nicht weiter von Belang, zumal es sich hier um keine Analyse, sondern um ein Text-Gemälde handelt.
Um das orthodoxe Weihnachten herum läuft in Russland die Kreml-Kirche zur Höchstform auf. Selbst Putin steht noch lange über den Fernsehtermin hinaus in seiner Kirche vor der goldenen Ikonostase, die allen Gläubigen einen Heiligenschein verpasst, wenn sie sich davor aufstellen.
Tirol wird nachgesagt, dass die Herrschenden das Jahr über eine Kreml-ähnliche Kirchennutzung betreiben. Die entlarvende Zukunftsfrage: Was hat die Tiroler Einheitspartei eigentlich in ihrem Programm stehen, außer den landesüblichen Empfang mit Klerus und Schützen?
Tatsächlich hat die Kirche in Tirol die orthodoxe Aufgabe, die Macht der Herrschenden mit dem Segen Gottes auszustatten. Dass sie dabei originelle folkloristische Elemente verwendet, ist vor allem in der Tourismusbranche gerne gesehen. Mit Trachten, Gewändern, Monstranzen und segnenden Gesten lässt sich Tirol dadurch im Netz zu einem einmaligen Ereignis verkaufen.
Leben und leben lassen, segnen und segnen lassen, heißt die Parole.
Über das schwammige Verhältnis zwischen der staatlichen und kirchlichen Komponente wird nicht diskutiert. Alle haben es sich auf ihren Standpunkten gemütlich gemacht, lassen den lieben Gott den lieben Gott sein und den Landeshauptmann den Landeshauptmann. Da beide zu Feiertagen ähnlich hochgehalten werden, braucht es keine Trennung von Kirche und Staat.
Und wenn es in dieser diffusen Landesverwaltung Diskrepanzen zwischen Landhaus und Domplatz geben sollte, wird das Dilemma kurz mit einem Witz aufgelöst.
Witz:
– Warum fahren in Innsbruck stündlich Railjets nach Osten und Westen?
– Weil man für Abtreibungen in den Osten muss und für die Sterbebegleitung in den Westen.
Eine kurze Eintrübung in diesem schlampigen Verhältnis zwischen Staat und Staatskirche, die ja das Wesen vieler national-orthodoxer Kirchen ist, kommt noch einmal im alten Jahr auf, wenn der Tiroler West-Bischof die Wissenschaft angreift. (Der Ost-Bischof von Tirol sitzt in Salzburg.) In einem Vorwort für eine Studie über Missbrauchsfälle der Kirche in Tirol stellt er in einem Rückfall auf Galileis Zeiten die Wissenschaft in Frage.
Ein solcher Affront gegen die Seriosität der Universität Innsbruck lässt manche kurz zusammenzucken, ehe dann die Sprinkleranlage des Weihnachtssegens alle intellektuellen Brandnester austritt.
Manche Wissenschafts-Affine erinnern sich noch an die Jahrtausendwende, als man daranging, die Medizinische Fakultät aus der Leopold-Franzens-Universität herauszulösen und als Med Uni zu einer eigenständigen Universität zu machen. Hinter vorgehaltener Hand wird gerne der wahre Grund für diese Trennung genannt. Da die Theologen immer wieder das Rektorat für sich beanspruchten und bei dieser Gelegenheit in die Themen der Forschung eingriffen, musste man sich, um etwa Stammzellenforschung an der Uni betreiben zu können, möglichst weit weg von den theologischen Schwurbelprofessoren aufstellen.
Und warum regt sich heute niemand auf, wenn der West-Bischof die Wissenschaft angeht?
Weil alle Angst haben, dass dann die Evangelikalen Trump´schen Ausmaßes das theologische Feld übernehmen.
Da ist es wohl hundertmal erträglicher, eine tyrolisch-orthodoxe Folklore-Kirche durchzufüttern als sich täglich mit militanten Gotteskriegern und Wissenschaftsleugnern herumschlagen zu müssen.
Dem Bischof kann man wenigstens ein Protest-Mail schicken, das seinem Bild von der Welt als Scheibe keinen Abbruch tut. Die Evangelikalen hingegen haben meist keine Klarnamen. Mit ihnen könnte man nicht kommunizieren.
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Lieber Herr Schönauer!
Erlauben Sie, dass ich einen Punkt in Ihrem Artikel korrigiere: Die Trennung der MedUni Innsbruck von der Universität ist nicht aus den von Ihnen genannten Gründen erfolgt! Da ich mit dem damaligen Dekan der MedUni befreundet bin – seit über 50 Jahren – kenne ich seine Schilderung der Trennung aus erster Hand.
Es war das Anliegen des Ministeriums unter Gehrer, durch eine Universitätsreform den Medizinischen Fakultäten mehr Eigenständigkeit zu ermöglichen. Da war eine Trennung von der Universität und die Kooperation mit einer extra gegründeten Klinikverwaltung TILAK für die MedUni sehr erwünscht. Der damalige Dekan, Peter Fritsch, Ordinarius für Dermatologie, dem sehr viele Tiroler ihre Heilung von Melanomen verdanken, war einige Male in Wien, um im Sinne einer Interdisziplinarität die Struktur beizubehalten.
Gehrer war nicht in der Lage, ihm zuzuhören, da sie voll konzentriert darauf war, unter dem Tisch nach ihren Schuhen zu angeln, die sie teils abstreifte, teils wieder anzuziehen versuchte. So hat sie die Argumente des Dekans nicht verstanden, wie Fritsch mir gegenüber erzählt hat.
Die Abteilungsleiter des Ministeriums waren fasziniert vom Gedanken, das Budget der „Medizin“ senken zu können. Wie wir heute wissen, war es für die folgende Berufungspolitik keine gute Idee, der Fakultät die Bereiche Ethik und Wissenschaftstheorie zu nehmen, die ohnehin in anderen Fakultäten ressortierten.
Die gegenwärtige Studienordnung sieht den Besuch dieser Lehrveranstaltungen nicht vor. Die im Bericht erwähnte Behinderung von Stammzellenforschung, Genetik etc. durch die Kirche oder gar durch Evangelikale – Juden und Muslime sind da wohlweislich nicht erwähnt, die diese Position teilen würden!- war nie gegeben, vielmehr entschied schon damals ein extra im Gesundheitsministerium einberufener Ethikrat.
Mit besten Grüßen Reinhold Knoll