Helmuth Schönauer
Schallmauer gegen die Beatles
Stichpunkt

Als seinerzeit die Beatles von England aus zuerst freche Botschaften als Songs schickten und später sogar leibhaftig landeten und Hysterie am Flughafen auslösten, gab es nicht wenige, die so etwas wie eine Brandmauer gegen ihre Songs einforderten.

Die in Depression dahinvegetierende Bundesrepublik hatte sich gerade entnazifiziert und die aufkeimende Musikszene hatte vor allem amerikanischen Sound übernommen, der als demokratisch gepriesen wurde.

Da kochte plötzlich in Liverpool etwas in den Äther, das man hilflos Populismus, abgekürzt Pop nannte. Auch der Ausdruck aufpoppen versucht diesen ungeheuren Vorgang zu beschreiben, dass sich mitten im System etwas auftut, was dieses System verändern, wenn nicht gar eliminieren will.

Mit führenden Soziologen wissen wir hinterher immer sehr genau, wie die Dinge zusammenhängen. Die Empörung gegen die Beatles und Co empfinden wir als sehr kauzig, weil wir um die Auswirkungen wissen.

Die Beatles haben uns bereichert, obwohl sie Volksmusik (Musik für das Volk) gemacht haben. Forderungen, sie hinter einer Schallmauer, oder zumindest einer Lärmmauer, unhörbar und unschädlich zu machen, wirken heutzutage irgendwie komisch.

In diesem Lichte könnte man eines Tages auch über das Bemühen berichten, dass sogenannte demokratische Parteien eine Brandmauer errichten wollen gegen etwas, wovon man vor allem den Begriff Alternative als bedrohend empfindet.

Wenn man jemanden außerhalb des politischen Milieus auf die Brandmauer anspricht, wird jeder zugeben, dass das natürlich ein Unding ist. Als Begründung dient dabei das Bonmot: Diejenigen, die gegen Mauern an den Grenzen sind, fordern im Parlament hymnisch Brandmauern.


Brandmauer

Die Brandmauer wird überwunden werden, wir wissen bloß noch nicht wie. Das erklärt vielleicht die Aufgeregtheit, mit der in Österreich und Deutschland darüber diskutiert wird, wie man mit dem Parteiensystem weiterleben will, das viele als dysfunktional empfinden.

Einige setzen auf Personalwechsel in den alten Parteien, aber dort lässt sich niemand rekrutieren, der sein Gesicht als Begründung für Veränderung zur Verfügung stellt. Auch das Verändern von Parteiprogrammen wird nicht viel bringen, weil es längst nicht mehr um das Abarbeiten von Programmen geht, sondern um das Einhegen von Notfall-Situationen.

Was demnächst zum Programm wird, entscheiden nicht die Akteure, sondern die Zustände. Je mehr wir nämlich das politische Handeln auf Personen zuschneiden, umso mehr überwältigen uns die Zustände. Gegen den notwendigen Alternativismus wird verlässlich keine Brandmauer helfen.

Hoffen wir, dass die derzeitigen Botschaften hinter den Brandmauern hervor ähnlich ergreifend harmlos sind wie jene der Beatles, wenn der Krieg mit einem Yellow Submarine auf Tauchstation geschickt wird.

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Helmuth Schönauer

Helmuth Schönauer (* 23. September 1953 in Innsbruck) ist Schriftsteller und Bibliothekar an der Universität Innsbruck. In seinen Romanen beschreibt er das Alltagsgeschehen skurriler Randfiguren auf dem Weg nach oben. Als beinahe lückenloser Rezensent der Tiroler Gegenwartsliteratur ist er Vertreter der "low lectured edition". Im sechsbändigen Tagebuch eines Bibliothekars sind knapp 5000 Rezensionen aus den Jahren 1982–2018 zu einem durchgehenden Fließtext zusammengefasst, der chronologisch nach Erscheinungsweise der rezensierten Bücher geordnet ist. Dadurch ergibt sich eine zeitgenössische Geschichtsschreibung anhand von Lektüre. Schönauer ist Mitglied der Grazer Autorinnen Autorenversammlung.

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