Helmuth Schönauer
Nur zu!
Es lebe die Bürokratie!
Stichpunkt
1.
Rund um Regierungsbildungen wird meist von Entbürokratisierung gesprochen, die alles heilt, was an Verwundungen durch die staatliche Verwaltung schwärt.
So sind auch im regierungsfrischen Österreich die Aussendungen voll von Rufen nach Entbürokratisierung. Der eigens dafür aufgestellte Staatssekretär im Außenministerium will voll hineinfahren in den Filz, der über dem Land liegt.
Als erstes wird er die Kassa-Bons unter 35,- Euro abschaffen. Pfiffige Kenner Österreichs prophezeien ihm schon jetzt, dass es das gewesen sein wird.
Aber er ist nicht allein mit der Entbürokratisierung. Ein x-beliebiger Nachrichtenscan zeigt, dass jede zweite Nachricht eine von der Bürokratie ist.
– Land Vorarlberg will 100 Stellen streichen
– Polizist soll Radarfotos gelöscht haben
– US-Behörden müssen Tausende Entlassene wieder einstellen
(red./ORF 14.3.25)
Da versucht einmal das Land Vorarlberg, die Beamtenschaft auf natürlichem Weg durch Abgang etwas auszudünnen, an anderer Stelle versucht ein überforderter Polizist durch Löschen von Radarfotos den Aktenberg ein wenig zum Abschmelzen zu bringen, und selbst der allmächtige Dekret-Präsident der USA muss seine Anordnung wieder zurücknehmen, wenn die fette Unterschrift mit dem Filzstift getrocknet ist.
Alle diese Maßnahmen wirken geradezu lächerlich, gegen die Kraft der Bürokratie.
2.
Während der Ausbildung zu einem österreichischen Beamten werden diese auch heute noch augenzwinkernd mit allerhand philosophischen, ironischen und grotesken Thesen vertraut gemacht – in der Hoffnung, dass etwas davon in der Realität des Verwaltens passen wird.
Unter der Hand geben die Beamten ihre Lebensweisheiten weiter.
Wenn du die Bürokratie achtest, statt sie zu bekämpfen, frisst sie dir aus der Hand!
Um die Bürokratie ranken sich große Sätze, die in einem kleinen Curriculum zusammengefasst sind.
a) Demokratie ist Bürokratie.
Allein der Vorgang von Abstimmungen, Diskussionen und Protokollierungen füllt ganze Gewölbe in den demokratischen Einrichtungen. Da ist es egal, ob diese Dokumente als Papier oder Block-Chain gespeichert sind. Demokratie ist kein Ergebnis, sondern ein Vorgang. Seine Dokumentation ist Bürokratie.
b) Faschismus stützt sich auf Bürokratie.
Einen negativen Höhepunkt erreichte die Bürokratie in der NS-Zeit.
Der Schriftsteller Heimrad Bäcker nennt das Genre Listen das Rückgrat des Faschismus mitsamt seiner perfekten Verwaltung in den Todeslagern. Mit den Todeslisten in den KZ ist nach dieser Lesart die Bürokratie eine radikale Begleiterin autoritärer Verwaltungsstrukturen.
c) Kakanien liegt in jedem Akt.
Der kaiserlich-österreichische Beamte verwandelt seine Autorität, die er oft selbst nicht durchschaut, in groteskes Barock, um sie erträglich zu machen. So wird die Bürokratie zu einem gezähmten Schoßtier, das wir gerne mit der freien Hand am Feierabend kraulen.
Das Ziel allen Tuns ist das Abgeheftete. Jedes Projekt, jede Veranstaltungsserie, jedes Parteiprogramm haben letztlich nur eines zum Ziel: die gelungene Ablage in einem Archiv.
3. Im Innersten ihrer Seelen sind die Österreicher begeisterte Bürokraten. Angesichts dieser Weisheiten schaut der österreichische Beamte, der auch im Ruhestand vollends seinem Eid untersteht, gelassen auf die Bemühungen diverser Akteure, die Entbürokratisierung irgendwie voranzutreiben.
Und auch der als Choleriker verschriene Staatssekretär für Entbürokratisierung wird in ihr bald einmal die Meisterin gefunden haben. ‒ Nur zu!
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