Helmuth Schönauer
Kunstwerk Luegbrücke
Stichpunkt
In einem arte-Film wird über die bevorstehende Sanierung der Luegbrücke gesprochen wie über die Restauration von Notre Dame in Paris. [Dokumentation Stau-Falle Brennerpass, arte 2025]
Seit in ganz Europa die Brücken aus der Nachkriegszeit in die Jahre kommen, tut sich im Bereich des Dokumentationsfilms ein neues Genre auf: die Restaurations-Doku. Nach dem Muster der abgebrannten Kathedrale von Paris, die als nationaler Kraftakt restauriert und sinnstiftend reaktiviert wurde, werden diverse Bauwerke vorgestellt, die wie sie gelitten haben, zu zerbrechen drohen und als nationales Monument wieder mit frischen Spanndrähten unterlegt werden müssen.
Die Luegbrücke der Brennerautobahn ist so ein elementares Bauwerk, das am Ende ist und ab Sommer neu gebaut werden muss. Der arte Film Staufalle Brennerpass kümmert sich um diese Brücke entlang von zwei dramaturgischen Leitlinien.
a) Wenn man das Bauwerk zum Kunstwerk erklärt, tun sich plötzlich ungeahnte Möglichkeiten der Berichterstattung auf.
b) Wenn man sich um physikalische Vorgänge kümmert, muss nicht gegendert werden.
Im Bericht springt einem sofort ins Auge, mit welcher Bewunderung, ja beinahe religiösen Hochachtung gegenüber dem kaputten Bauwerk vorgegangen wird. Und wohltuend fällt auch auf, dass die auftretenden Personen als Professionisten in Erscheinung treten und nicht als gleichstellungsinduziertes Ablenkmanöver.
Im Film wirken fünf Vertreter von Berufen, die anlässlich des Brückenneubaus gefordert sind. Sei es, dass sie mit Stau rechnen, mit einem Kollaps der Wirtschaft oder einem politischen Tumult, wenn der Verkehr zusammenbricht.
Die Protagonisten und ihre Storys
1. heimischer Installateur im Stau
Knapp vor seinem Haustor in Steinach steht der Meister eines Heizungsbetriebs im Stau und ahnt, dass es noch Jahre so sein wird. Er wohnt im ehemaligen Gasthof des Großvaters, aus dem Segen des Tourismus ist längst der Fluch des Transits geworden.
Für seine Firma hat er in allen Orten des Tales kleine Warendepots angelegt, damit seine Mitarbeiter dezentral mit Materialien versorgt sind, wenn das ganze Tal stillsteht. Aber er fühlt sich auch mitschuldig am Desaster. Sobald sich ein Loch in der Kolonne auftut, stellt er sich nämlich selbst mit seinem PKW hinein und fährt nach Südtirol zum Klettern.
2. Ingenieur der ASFINAG
Der leitende Prüfungsingenieur der Luegbrücke ist sichtlich verliebt in sein Bauwerk. Mit dem Gestus eines Dombaumeisters klettert er ins Innere des Tragwerks und leuchtet anschließend Risse und Abplatzungen aus.
Die abgebröckelten Betonteile werden mit handwerklicher Kennerschaft betastet, wie man andernorts vielleicht mit der Hand über verwitterte Statuen fährt.
Die Brücke wäre für 80 Jahre ausgelegt, seufzt er, aber man hat sie vorzeitig zu Tode geritten. Jetzt ist ein Nottragwerk unter das Original geklemmt, wenn die Brücke zusammenbricht, fällt sie zwei Zentimeter tief auf das Reservewerk.
3. Getränkespediteur im Transit
Ein Spediteur aus Bayern liefert frisches Bier nach Südtirol. Wegen der Blockabfertigung dauert es länger, er kommt wegen der Ruhezeiten nur bis Sterzing, wo er abgelöst wird.
Nachdem er den Aufleger getauscht hat und jetzt Getränke aus Italien nach Bayern karrt, sinniert er über Alternativen.
Die rollende Landstraße bringt nur homöopathische Lösung. Aber auch die Aufhebung des Nachtfahrverbotes für LKW würde nichts bringen. Dann wären halt ein paar Millionen mehr unterwegs, behauptet er.
4. Bürgermeister unter der Brücke
Der Bürgermeister von Gries hat jahrelang für einen Tunnel gekämpft und ist gescheitert. Jetzt ist er gar der Buhmann, weil er den Brückenbau verzögert hat durch Einsprüche.
Dabei ist die Schlacht längst verloren. 14 Millionen PKW pro Jahr sind physikalisch, biologisch und klimatisch gesehen jenseits aller Erträglichkeit, ist er der Ansicht.
5. Hotelier aus Luttach im Ahrntal
Der Hotelier aus dem Luxusressort in Luttach lässt ein paar typische Grüßgottformeln in Richtung Gäste ab, ehe er in die Kamera seine Bedenken äußert.
Schon jetzt hat er einen Buchungsrückgang, weil seine Gäste aus Deutschland befürchten, am Brenner im Stau zu stehen. Salvini hat die EU-Klage gegen Österreich eingebracht, denn man kann nicht einfach den Transithahn abdrehen ohne europäischen Kontext.
Bilanz:
Niemand hat eine Lösung, allen ist es zu viel. Deshalb reagiert man wie immer, man restauriert und macht weiter, wie man ja auch Notre Dame restauriert hat und weitermacht im Glauben an eine Madonna, deren Segenskraft nicht beweisbar ist.
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