Helmuth Schönauer
Dauerschleife bei arte und 3sat
Notizen

Früher entstand Sex durch den Austausch von Geschlechtsorganen verschiedener Bauart an zwei Körpern, heute geschieht Sex oft durch das Austauschen des bisherigen Geschlechts am eigenen Körper. Wer solchen Gedanken nachhängt, schaut wahrscheinlich gerade einen der beiden Bobo-Sender arte oder 3sat.

Medien leben heutzutage von ihrem Branding. Es geht nicht darum, welche Inhalte sie verbreiten, sondern unter welchem Wohlfühl-Image sich das Publikum vor dem Screen ausstrecken kann. Der Nutzen für die User liegt im Markennamen, der eine Zugehörigkeit zu einer bestimmten Community suggeriert.

Arte und 3sat setzen auf ein intellektuelles Publikum um die sechzig, meist sozialdemokratisch und antifaschistisch geprägt und durchaus mit einem Hang zur Besserwisserei. Fast hundert Prozent der deutschen Lehrerschaft sollen aus diesem Milieu stammen, heißt es in wertschätzenden Statistiken.

Jetzt allerdings unter dem politischen Rechtsruck am Kontinent sollen die beiden Sender zusammengelegt werden, da sie ohnehin das gleiche Programm senden. Für das Überprüfen dieser Gleichschalt-These genügt es, alle vierzehn Tage rund um halb acht statt der Zeit-im-Bild 1 einen Sende-Check auf Kulturzeit (3sat) und Arte-Journal zu machen. Da die Sender auf der Suchleiste nebeneinander liegen, kann man durch regelmäßiges Zappen die beiden Kanäle in einem einzigen Sehvorgang erledigen.

In Kulturzeit tauchen in wechselnder Reihenfolge täglich jene drei Themen auf, die es für ein moralisch hochstehendes, intellektuell ritualisiertes und urban-affines Leben braucht.

Die Themen werden wahrscheinlich einmal im Jahr gewechselt, aber im letzten Halbjahr handelt es sich verlässlich um folgende drei Dauerbrenner:

A) etwas aus dem Nahen Osten
B) etwas mit Cancel Culture
C) etwas mit Transgender

Als Zuschauer tut man gut daran, nur in vagen Umschreibungen die Themen zu nennen, denn würde man etwa die Kriegsparteien im Nahen Osten mit Namen nennen, würde man sofort wegen irgendeinem Anti-ismus denunziert und an den Pranger gestellt.

Obwohl es sich beim 3sat-Feature um eine Kultursendung handelt, ist diese aufgebaut wie eine Nachrichtensendung. Ein Zappen auf das benachbarte arte lässt einen innerhalb einer Nachricht fließend wechseln.

Da es in jeder Sendung mindestens einmal um den Rechtspopulismus geht, müssen auf arte immer Marine Le Pen und auf Kulturzeit Alice Weidel vorkommen. Diese beiden erfüllen elegant die Quotenregelung, die auch unter Bösewichten obligat ist.

Hinter beiden Sendungen stecken jeweils politisch instrumentalisierte Redaktionen, die zwar die einzelnen Beiträge sauber recherchieren, durch die Vorauswahl der Tagesthemen aber jenen Stream erreichen, der einer TikTok-Dramaturgie um nichts nachsteht. So wird beispielsweise das Transgender-Thema jeden Tag in einem anderen Land aufgenommen, in welchem die Angehörigen dieser sexuellen Minderheit systematisch verfolgt werden.

Im idealen Drehbuch wird zuerst auf arte die Nachricht gesetzt, dass es im Land x bei der sexuellen Neigung y eine Verfolgung gibt, die wahrscheinlich sogar an den internationalen Gerichtshof gemeldet werden muss. Im kulturellen Gegenpart auf 3sat wird dieses Tagesschicksal anhand einer künstlerischen Person gezeigt, die meist gerade in Berlin eine Performance pflegt, welche international und künstlerisch wertvoll ist.

Im Subtext wird durch die Moderation vermittelt, dass es höchste Zeit für Asyl ist und die Behörden sehr grausam sind, indem sie nichts entscheiden. Anschließend wird von einer Kürzung des Berliner Senats berichtet, die quer über alle Subventionen fährt und deshalb populistisch ist, weil sie auch die Kultur trifft.

Wer glaubt, die Sache sei mit diesen Sendungen erledigt, erlebt sein sexuelles Wunder, wenn er nach einer Woche wieder einschaltet und die gleichen Sendungen wieder sieht. Freilich hat sich die Reihenfolge geändert und die Schurken-Staaten mit sexueller Verfolgung haben zugenommen.

Wahrscheinlich braucht das Zielpublikum dieser beiden Sendungen mindestens ein Jahr, bis es die Botschaft kapiert hat. Daher ist zu vermuten, dass die Themen erst alle zwei Jahre gewechselt werden, wenn die Sender erst einmal zusammengelegt sind.

Aber es stimmt schon. Die Veränderungen in der Fernsehwelt sind immer minimal und belanglos. Deshalb hat Hans Magnus Enzensberger 1988(!) dafür den entscheidenden Begriff geprägt: Nullmedium.

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Helmuth Schönauer

Helmuth Schönauer (* 23. September 1953 in Innsbruck) ist Schriftsteller und Bibliothekar an der Universität Innsbruck. In seinen Romanen beschreibt er das Alltagsgeschehen skurriler Randfiguren auf dem Weg nach oben. Als beinahe lückenloser Rezensent der Tiroler Gegenwartsliteratur ist er Vertreter der "low lectured edition". Im sechsbändigen Tagebuch eines Bibliothekars sind knapp 5000 Rezensionen aus den Jahren 1982–2018 zu einem durchgehenden Fließtext zusammengefasst, der chronologisch nach Erscheinungsweise der rezensierten Bücher geordnet ist. Dadurch ergibt sich eine zeitgenössische Geschichtsschreibung anhand von Lektüre. Schönauer ist Mitglied der Grazer Autorinnen Autorenversammlung.

Dieser Beitrag hat 2 Kommentare

  1. Rainer Haselberger

    Wer – so wie ich – fast jeden Tag mit dem arte-journal beginnt, dann irgendwann auf die ZiB1 umschaltet und schließlich noch die Tagesthemen auf ARD verfolgt, weiß sicherlich die Qualität des arte-journals gegenüber der sinnlosen Doppelmoderation im ORF und der starken innenpolitischen Fixierung der ARD zu schätzen. Oft ist arte so fesselnd, dass sich der ORF gar nicht ausgeht.
    An Transgenderthemen im arte-journal kann ich mich im letzten halben Jahr nicht erinnern. Da dürfte eine psychologische Projektion vorliegen! Zur 3sat-Kulturzeit kann ich nichts sagen, da ich immer nur die letzten 5 Minuten sehe.
    Den Unterschied zwischen redigierten journalistischen Medien und Tiktok sehe ich darin, dass in den ersteren ein Redakteur mit seinem Namen für den Inhalt bürgt, während in zweiteren irgendein Troll oder Bot anonym sein Unwesen treiben kann, und keinem Objektivitätsgebot verpflichtet ist.

  2. Andreas Niedermann

    Nicht wirklich fair, deine Beurteilung, lieber Helmuth. Ich gebe dir absolut recht, was deine Einschätzung von „Kulturzeit“ angeht, aber ARTE, mit seinen großartigen Dokus, z.B. von Ken Burns, mit Kulturzeit in einem Satz zu verwenden, ist, als würdest du die NZZ mit dem Verlautbarungsorgan der „Grünen“ gleichsetzen.
    „Arte“ ist großartig. Aber ist es jedem und jediner unbenommen, sich RTL2 reinzuziehen. Soll richtig fetzen …

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