Helmuth Schönauer bespricht:
Friedrich Hahn
Enden ohne Ende
Roman

Die Komödie ist die adäquate Lebensform des Alterns. Wer bis in den Herbst des Lebens vorgedrungen ist, hat dies meist jener Kraft zu verdanken, die einen die Umtriebe des Alltags gelassen sehen lässt. Im Idealfall füttert der komödiantische Stoff die Selbstironie des Betrachters.

Der Erzähler ist ein Leben lang Schriftsteller gewesen und probiert jetzt, an ein vorläufiges Ende zu kommen. Aber dieses ist nicht in Sicht, zu stark ist das Leben zusammengeknotet als gedankenfetter Strang. ‒ Wer zu einem guten Ende kommen will, muss sich zuvor noch das Leben zurechtbiegen zu einem halbwegs brauchbaren Bild. Dieser Vorgang mündet bei etwas Geduld in eine Komödie.

Der Held sucht bei seinem Halbbruder Leopold Unterschlupf, um auf einer Rehabilitation der Erinnerung etwas Heilung in die verwundete Kassa des Lebens zu bringen. Schon der Vater des Halbbruders hat im Norden der Stadt diesen verschwiegenen Platz als Hotel geführt. Die beiden haben viel zu tun, um sich das Leben halbwegs zu erzählen.

Eine passable Einteilung der Epochen wird oft von den Partnerinnen vorgegeben, da gibt es Abschnittsfrauen für Musik, Versicherungswesen oder Hausbau. Die einzelnen Abenteuer scheinen austauschbar zu sein, die beteiligten Personen verschwinden nach getaner Patchwork-Arbeit wie berühmte RAF-Terroristinnen, wenn sie nach den Anschlägen für Jahrzehnte untertauchen.

Untertauchen ist das Stichwort für den Erzähler, er hat eine 18jährige Tochter, die er noch nie gesehen hat, die aber jetzt einen Batzen Alimente verlangt. Die beiden Brüder schmieden einen Plan, wonach der eine sich vom anderen als vermisst melden lässt und mit neuer Identität im Hotel eincheckt.

Damit es nicht auffällt, betreiben die beiden künftig das Kulturprojekt ARTeum, weil man nirgendwo so gut abtauchen kann wie in der Kulturszene. Bei all diesen Aktivitäten bleibt jedoch genug Zeit für das Nichtstun. Ich schaltete den Fernseher ein und döste vor mich hin. Aus der Weile wurde noch eine und noch eine. (101)

Der Plan geht auf. Aus dem Erzähler wird ein famoser Kulturbetreiber, der inkognito die Fäden zieht. Das Haus ist ausgebucht und vor allem die Schreibwerkstätten erfreuen sich überregionaler Beliebtheit. Dabei ist der Trick für Creative Writing ein ganz simpler. Man muss nur Anforderungen ans Leben als Schreibübung tarnen.

So entstehen Aufsätze an das Girokonto oder an den Lärm, die zumindest das Problem einkreisen und relativieren.

Als Kultur getarnt wirken auch detektivische Nachforschungen unverdächtig. Der Held kramt sogar seine früheren Tennisfähigkeiten aus, um über Nachstellungen eines Tennislehrers vielleicht noch an seine Tochter heranzukommen und ihr den Schmus mit den Alimenten auszureden.

Gut getarnt mit falscher Identität lässt sich auch das Alter kommod aushalten, man braucht nur jene Dinge zu bearbeiten, an die man sich gerne erinnert. Und die Kunst arbeitet ohnehin ständig mit falschen Identitäten, Werken und Netzwerken.

Wenn das Leben nicht das geworden ist, was man sich gewünscht hat, so muss man sich eben eine Identität suchen, die diese Wünsche erfüllen kann. Von hinten her betrachtet ist nämlich jede Geschichte gleich wertvoll, egal wie realistisch sie unterlegt ist. Weiter im Text. Denn im wirklichen Leben wusste ich nicht weiter. (137)

Mit diesen Weisheiten aus dem Kulturmanagement wagt sich der Erzähler noch einmal an die Aufgabe, ein passables Ende zu finden. Er erfindet mehrere Fassungen, die gleich glaubwürdig sind. Der Leser kann sich bei dieser Gelegenheit testen, welcher End-Typ er insgeheim ist.

Für den Helden sticht schließlich die Fassung e als die plausibelste hervor. Die Geschichte. Meine Geschichte. Was hätte daraus werden können (?)! Mutter und Tochter zerstritten. Ich tot. Welch herrliche Familie. (181)

Natürlich ist dieses Ende kein finales, aber es fühlt sich gut an und man könnte gut damit leben.

Friedrich Hahn: Enden ohne Ende. Roman.
Innsbruck: Edition Laurin 2025. 184 Seiten. EUR 21,-. ISBN 978-3-903539-49-5. Friedrich Hahn, geb. 1952 in Merkengersch / NÖ, lebt in Wien.

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Helmuth Schönauer

Helmuth Schönauer (* 23. September 1953 in Innsbruck) ist Schriftsteller und Bibliothekar an der Universität Innsbruck. In seinen Romanen beschreibt er das Alltagsgeschehen skurriler Randfiguren auf dem Weg nach oben. Als beinahe lückenloser Rezensent der Tiroler Gegenwartsliteratur ist er Vertreter der "low lectured edition". Im sechsbändigen Tagebuch eines Bibliothekars sind knapp 5000 Rezensionen aus den Jahren 1982–2018 zu einem durchgehenden Fließtext zusammengefasst, der chronologisch nach Erscheinungsweise der rezensierten Bücher geordnet ist. Dadurch ergibt sich eine zeitgenössische Geschichtsschreibung anhand von Lektüre. Schönauer ist Mitglied der Grazer Autorinnen Autorenversammlung.

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