Helmuth Schönauer bespricht:
Der Sterbinator – Ein Stehkalender
Über 100.000 Tode zum Selbermachen

Mit zunehmendem Alter wird der Schreibtisch der Boomer und Beamten immer aufgeräumter. Letztlich bleibt nur ein Stehkalender übrig, der zu Ende geblättert ist.

Das Kunstprojekt Sterbinator ist so ein Nachdenkimpuls, der das Memento mori als ein sinnliches Vergnügen angeht.
In der Literatur gelten für gewöhnlich drei Kanäle als zielführend, mit dem Tod irgendwie klarzukommen, ohne gleich in eine Depression zu verfallen.

Schönauer | Sterbinator

a) Folklore: dabei werden fröhliche Brauchtümer in den Vordergrund gestellt, die den Tod als Partner oder Kumpel in das eigene Abfeiern miteinbeziehen. Ob als Festival für Touristen choreografiert oder als sogenannter Landkrimi positioniert: In einem Rausch an bewährten Bildern und Plots wird dem Tod der Schrecken genommen.

b) Wiener Melange mit Groteske: die Wiener Subkultur an Sterbeliedern und Begräbnis-Sketches gilt spätestens seit den Darbietungen der Wiener Gruppe als raffinierter Schmäh, den Tod als makabren Kumpanen für den ewigen Heurigen zu gewinnen.

c) Sterbe-Gstanzeln: in weisen Sprüchen wird die Absurdität allzu frechen Treibens zu Lebzeiten mit der Ewigkeit in Verbindung gebracht. Im alpinen Raum sind vor allem die Marterl-Sprüche über verunglücktes Bergsteigen ein literarischer Versuch, dem Unsagbaren zumindest eine Weisheit unterzujubeln. (Aui gstiegen, abi gfallen, des wars!)

In dieser Aufzählung sind bewusst die seriösen Essays, Meditationen und philosophischen Überlegungen zum Tod ausgespart, denn es ist von vornherein dem Anlass geschuldet, wie man sich mit dem Sterben auseinandersetzt. Wer beispielsweise vor der Entscheidung steht, ob er sich Sterbehilfe organisieren muss, dem wird eine komödiantische Annäherung ans Sterben keine Hilfe sein.

Dennoch sollte man die Kraft, die im Projekt Sterbinator versteckt ist, nicht verstreichen lassen, ohne wenigstens ein paar Versuche zu starten, einen persönlichen Slogan für das Sterben zu kreieren.

Der Sterbinator funktioniert nach der Methode von Spiel-Walzen beim Glücksspiel. Die Laufräder mit Symbolen werden angehalten, auf dem Kalender kommen drei Begriffe nebeneinander zu liegen und bilden einen unverwechselbaren Satz.

Die Begriffstöpfe beim Stehkalender sind:
a) Person oder Institution, die Ärgernis verspricht
b) Aktion, die tödlich enden kann
c) Wirkung, die als Befreiung gedeutet werden kann

In guter Vodoo-Manier, bei der man mit Hilfe von Nadelstichen in eine Puppe einer entfernten Person Verwünschungen und Schmerzen zufügen kann, lassen sich durch Bildung von Beschwörungsformeln einer unguten Person Todesarten andichten, die letztlich die verfahrene Situation in Gelächter auflösen.

Als Abendprogramm sind diese Humor-Schübe bestens geeignet, von der Bühne herab Den Tod dem Publikum als fröhlichen Gesellen schmackhaft zu machen. Jenseits des Publikums lassen sich diese wundersamen Sätze auch am Schreibtisch formulieren, womöglich mit der Absicht, dass daraus ein Tagesprogramm wird.

Der Papst / wird beim nächsten Gewitter von 13 Blitzen getroffen / das stinkt doch zum Himmel. Die Mücke im Schlafzimmer / kann nur mit einem Holzpflock getötet werden / und das ist auch gut so.

Diese intimen Gedankengänge lassen sich durchaus auffrisieren zu politischen Gedankenspielen und Thesen. Die AfD / muss auf der eigenen Beerdigung laut pupsen / aber die FDP ist natürlich dagegen.

Die Anwendungsmöglichkeiten dieses Sterbinantors sind genauso groß wie die Wahrscheinlichkeit, damit gute Sätze zu bilden. Am Umschlag ist von 100.000 Möglichkeiten zum Selbermachen die Rede, wobei es auf der Hand liegt, dass der Tod eintritt, wenn man sich über die absurden Gedankengänge totlacht.

Der Sterbinator ist eine analoge App, die in nahezu allen Lebenslagen hilfreich ist.

Besonders darauf angewiesen sind wahrscheinlich die eingangs erwähnten Boomer und Beamten, die sich am Lebensende noch schnell einen Lebenssinn aus drei Komponenten zusammenstecken müssen. Und natürlich sind auch Krimiautoren dem Sterbinator unendlich dankbar. Mit seiner Hilfe lässt sich im Nu ein Krimi zusammenbasteln, mit echtem Tod und kluger Moral.

Beispiel für einen Landkrimi: Der Dorfnazi / wird beim Versteckenspielen in der Kühltruhe übersehen / aber keine Sorge, das ist alles von der Kunstfreiheit gedeckt.

Der Tod: Der Sterbinator. Über 100.000 Tode zum Selbermachen.
Berlin: Satyr 2024. 50 Seiten. EUR 18,50. ISBN 978-3-910775-24-4.
Der Tod tourt seit 2011 mit seiner Imagekampagne durch den deutschsprachigen Raum.

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Helmuth Schönauer

Helmuth Schönauer (* 23. September 1953 in Innsbruck) ist Schriftsteller und Bibliothekar an der Universität Innsbruck. In seinen Romanen beschreibt er das Alltagsgeschehen skurriler Randfiguren auf dem Weg nach oben. Als beinahe lückenloser Rezensent der Tiroler Gegenwartsliteratur ist er Vertreter der "low lectured edition". Im sechsbändigen Tagebuch eines Bibliothekars sind knapp 5000 Rezensionen aus den Jahren 1982–2018 zu einem durchgehenden Fließtext zusammengefasst, der chronologisch nach Erscheinungsweise der rezensierten Bücher geordnet ist. Dadurch ergibt sich eine zeitgenössische Geschichtsschreibung anhand von Lektüre. Schönauer ist Mitglied der Grazer Autorinnen Autorenversammlung.

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