Helmut Schiestl
Heilige Tage
Poetische Notizen
Himmelfahrt
Heute, am Christi Himmelfahrtstag, hängt der Pfarrer anstelle des auferstandenen Christus eine Graphik der Erdatmosphäre auf den Altar, versehen mit den durch den Klimawandel bedingten Störungszonen, und fragt während seiner Predigt, was würde der Jesus wohl sagen, wenn er jetzt in den Himmel fahren müsste?
Das erstaunt und beunruhigt die Gläubigen-Schar. Immerhin finden es die noch Jüngeren interessant. Und einer oder eine mochte sich wohl die Frage stellen, wie lange Christus da am Wege war, bis er bei seinem Vater anlangte. Keiner konnte es wissen. Schließlich fuhr er ja nicht mit einer Rakete gegen den Himmel, es dürfte ja wohl eher eine Art natürlicher Geschwindigkeit gewesen sein, mit der der Erlöser da zu seinem Vater am Wege war.
Dann fuhr der Pfarrer mit der Figur des auferstandenen Christus unterm Arm in das nächste Dorf, weil sie dort weder einen Pfarrer noch eine Christus-Statue hatten, und zu Christi Himmelfahrt doch eine solche durch das sogenannte Heiliggeistloch in den diesmal nicht klimaverseuchten Himmel aufgezogen werden musste.
Dabei flatterte die Osterfahne des Auferstandenen während der Fahrt lustig im Wind. Es war ein schöner Anblick, und die Leute schauten dem Pfarrer, den ja alle kannten, nach, wie sie ihm früher wohl noch nie nachgeschaut haben mochten. Kein Christi-Himmelfahrts-Fest ohne Figur des Auferstandenen, der danach dann verschwinden muss, damit die Osterkerze ausgelöscht werden und der Sommer beginnen konnte.
So musste das sein, weil es wohl schon seit Jahrhunderten so gemacht wurde. Also blieb es so, auch wenn in den hinteren Bankreihen noch während des Gottesdienstes ein paar jüngere Gläubige verstohlen auf ihren Handys ihre neuesten SMS abfragten und gleich auch wieder welche verschickten.
Warten auf das pfingstliche Heil
Wiesinger wartete auf den Heiligen Geist, aber der kam nicht. Was ihn aber immer mehr beschäftigte, waren die Geister in seiner Wohnung, die sich immer mehr bemerkbar machten. Etwa durch Geräusche im Schlafzimmer. Dann etwa, wenn er das Licht ausmachte und nichts mehr zu einer natürlichen Erklärung der Phänomene gefunden werden konnte.
Geräusche an oder auf seinem Schreibtisch zum Beispiel, wo niemand saß und niemand arbeitete, wenn Wiesinger als einziger Bewohner seiner Wohnung schon im Bett lag. Rascheln von Papier etwa, wie es auch von keinem Tier hätte verursacht werden können, oder ein seltsames Vibrieren seines Bettgestelles, gerade dann, wenn er beim Einschlafen war. Wiesinger aber stand nicht auf, hielt nicht Nachschau, woher das kam. Blieb auch nicht wach vor Schrecken, sondern schlief ordnungsgemäß ein.
Warum stand er nicht auf? Weil er zu faul war, weil er sich den Schlaf nicht rauben lassen wollte von irgendwelchen durchgeknallten Gespenstern, weil er eben gerade so schön am Einschlafen war. Weil er sich nicht zusätzlich ängstigen wollte. Weil er den Geist, der offenbar in seiner Wohnung war, nicht weiter ärgern wollte oder ihn für zu unbedeutend hielt, um sich mit ihm auseinanderzusetzen.
Und Stimmen hörte er ohnehin schon länger, seit er diesen Tinnitus hatte, den er nicht mehr loswurde. Also war alles einerlei. Und der Geist auch vielleicht schon in ihm.
Und ob er verrückt war oder es mit der Zeit wurde, konnte Wiesinger auch niemand genau sagen oder prophezeien. Und wenn es so gewesen wäre, wäre es ihm auch egal gewesen. Es gab viele Bilder in ihm, ja es gab eine Bilderlaufstrecke gleichsam wie einen Film, die sein Gehirn durchzog. Und die Gefahr ging doch von den Menschen aus. Und nicht von den Geistern.
Wiesinger setzte sich auf die Terrasse eines Gasthauses und beobachtete einen Mann, der dort ein Selbstgespräch führte. Das beeindruckte die Gäste. Zuerst dachten sie, dass er bloß mit seinem Handy telefonieren würde, dann checkten sie es erst, dass der Gast gar kein Handy dabei hatte, zumindest kein sichtbares.
Wiesinger ging zu ihm und beobachtete ihn genau, und sah, dass er wirklich kein Handy hatte. Also weder ein Handy noch Kopfhörer dazu! Da sagte Wiesinger zu ihm: Du hast ja gar kein Handy bei dir! und darauf der so Angesprochene: Ich rede mit dem lieben Gott!
Darauf ließ ihn Wiesinger wieder und ging zurück zu seinem Tisch, wo seine Freunde saßen. Der Mann aber redete unbeeindruckt weiter mit Gott: Es war ja Pfingsten, und jedes Wunder war erlaubt!
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Ich verstehe jetzt Wiesinger. Vor Kurzem muss ich geseufzt haben: Lieber Gott, lass mich einmal im Lotto gewinnen.
Heute Nacht habe ich seine Stimme gehört, er sagte: Gib mir eine Chance, kauf dir ein Los.
Eine unglaublich feine Geschichte!
Gratulation!