Hans Augustin
Was ist ein Narrativ?
Oder:
Die Papageienkrankheit
Notizen
Im gesellschaftspolitischen Ackerland sind seit längerer Zeit sogenannte Narrative im Umlauf. Man sollte sich als von Medien verwöhnter Bürger doch einmal die Mühe machen, genau zu eruieren, was damit gemeint ist. Was ein Narrativ ist.
Eine erste greifbare Erklärung nimmt man aus dem Lateinischen; das Verbum narrare bedeutet erzählen, berichten, erwähnen. Was berichtet wird, könnte man auch freier mit dem Verbreiten von Gerüchten, Geplapper oder Gewäsch übersetzen, denn der Inhalt entbehrt vielfach der Wahrheit, d.h. es ist mehr vermutungs- oder interessensbasiert denn faktenbasiert.
Aus dem Berichteten wird plötzlich ein Narrativ; was einen zunehmend närrisch macht. Narrative sind bestens geeignet die öffentliche Meinung zu lenken, zu verwirren, zu manipulieren, denn es hat die Eigenschaft, weil es die Mehrheit wie eine Litanei nachbetet, dass es eine unumstößliche Gewissheit und Gültigkeit besitzt. Was eine Narretei ist.
Diese zu hinterfragen wird bereits als eine politische Orientierung angesehen, die der herrschenden Meinung zuwiderläuft und die durch Ausgrenzung und Diffamierung abgestraft wird.
Narrative sind gerade bei Entscheidungsprozessen verankert. Die öffentliche Diskussion ist davon stark geprägt, ob man noch Anhänger des Narrativs ist oder vielleicht schon die Seite gewechselt hat. Demokratiepolitisch höchst bedenklich. Denn mit der Zustimmung zu einem Narrativ ist schon eine Wahl getroffen. Eine weitestgehende Übereinstimmung mit dem Narrativ ist quasi die Bestätigung für deren Richtigkeit und Bedeutung.
So konfus oder hanebüchen kann das Narrativ gar nicht sein, dass nicht eine Mehrheit dieser Meinung hinterherläuft und sie noch mit eigenen Vorurteilen würzt. Halbwahrheiten, Irrtümer, aber vor allem fehlendes Wissen spielen eine große Rolle bei Narrativen. Selbst wenn überprüfbarem Wissen die Gültigkeit und Rechtmäßigkeit abgesprochen wird, Widerspruch wird nicht geduldet. Der rechte und linke Raum ist unendlich.
Der Presse fiele diesbezüglich eine große Rolle an Verantwortung zu – z.B. ein Narrativ zu entkleiden.
Wie aber soll man Medien glauben, wenn sie großteils selbst Narrative bereitstellen und auf Grund nachgewiesener Fakten, die sie verschweigen, in Abrede stellen, entkräften, an Vertrauen und Glaubwürdigkeit eingebüßt haben?
Sich mit Händen und Füßen wehren, falsche Informationen zu korrigieren? Mit Schlagzeilen eine bereits emotional aufgeladene Situation weiter anfeuern? Es ist einfacher, etwas nachzuplappern, als das Gehirn zu benützen, ob eine Meinung oder Aussage richtig sein kann oder nicht.
Hier bemerkt man erste Symptome der Papageienkrankheit: Das gedankenlose Nachplappern.
Ein mittelständisches Unternehmen für Bodenbeläge hatte im Eingangsbereich eine Voliere in der Größe eines Erwachsenen, in dem ein Papagei hin und wieder die Kunden mit zwei Sätzen begrüßte: Guten Morgen du Trottel. Aber das sagt man nicht.
Manche Kunden waren entrüstet, andere höchst amüsiert. Der Papagei hatte bei nicht wenigen den Nagel auf den Kopf getroffen.
Das Narrativ ist unbarmherzig vor allem als Bestätigung von Vorurteilen: jemand, der auf allen Ebenen bekämpft wird, kann keine guten Absichten haben. Dafür gibt es Brandmauern, Narrativpanzersperren, Massendemos, Proteste etc. Absichtserklärungen, die jedem demokratischem Verhalten, das kein Narrativ sein sollte, Hohn sprechen.
Die politische Landschaft ist durch Narrative sehr gefährdet. Vieles, was an Informationen an die Öffentlichkeit gelangt, ist schwer nachprüfbar.
Im Hintergrund stehen die Fragen: Wer sind die Urheber? Welche Interessen werden verfolgt? Was soll man glauben, wenn sich eine Aussage zwei, drei Tage später als Unwahrheit, als Nonsens herausstellt? Wem soll man vertrauen, wenn die Absicht schon bei einer Pressekonferenz unzweifelhaft sicht- und hörbar wird?
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Lieber Hans Augustin, ich stimme zu, dass der Begriff „Narrativ“ in den letzten Jahren inflationär gebraucht wurde. Aber was es bedeuten soll, lässt sich leicht erklären: Ein Narrativ ist zum Beispiel die Zuschreibung der USA als „Land der unbegrenzten Möglichkeiten“. Die geht zurück auf Groschenromane des 19. Jahrhunderts, die von Einwanderern erzählten, die sich hochgearbeitet haben („From rags to riches“). Narrative sind demnach übergeordnete Erzählungen, die die Selbst- und Fremdwahrnehmung von Gesellschaften und Kulturen beeinflussen. Auch „Österreich als Kulturnation“ ist so ein Narrativ, das nach dem 2. Weltkrieg in Abgrenzung zu Nazi-Deutschland eingeführt wurde (habe ich in einem Buch von Wolfgang Kos aufgeschnappt, ich glaube, es war „Eigenheim Österreich“).
Ein Aspekt des Narrativs ist also: Es muss irgendetwas mit der Wirklichkeit zu tun haben und einen Funken Wahrheit beinhalten. Tatsächlich konnten in den USA des 19. Jahrhunderts Habenichtse zu Millionären aufsteigen (anders als in England im 19. Jahrhundert). Und tatsächlich schwelgt man in Österreich gerne in Walzerseligkeit und hält sich damit schon für einen direkten Nachfahren von Wolfgang Amadé.
Wo die inflationäre Verwendung des Begriffs ins Lächerliche kippt, ist, wenn das „Narrativ“ mit einer simplen „Sichtweise“ (= Perspektive) verwechselt wird. Die Sichtweise eine Partei auf den Stand der Dinge wird nur dann zum Narrativ, wenn es die gesellschaftliche Wahrnehmung auf lange Sicht beeinflusst.
Das soll es auch geben: Amerikaner, die sich wieder großartig fühlen, weil DT „America“ wieder „great“ machen will. Aber nicht jeder PR-Slogan hat schon das Zeug zum Narrativ, selbst wenn uns das manche politische Einflüsterer vielleicht weismachen wollen und damit Zeugnis der von Ihnen beschriebenen Papageienkrankheit geben.
Schöne Grüße, Werner Schandor
Lieber Werner Schandor,
Ihrer Ergänzung zu meinem Thema „Narrativ“ kann ich nichts hinzufügen; Sie haben es eleganter formuliert.
Leider ist das Thema ideologisch zum PR-Slogan verkommen.
„Keine Regierung mit Kickl“ o.ä. – Man muß ihn nicht lieben, aber was die Slogan-Seiltänzer übersehen, ist demokratie-politischer Absturz.
Wir werden die Rechnung bekommen und bezahlen.
hzl. Grüße
Hans Augustin