Hans Augustin
Memento für zwei Almliteraten
Notizen

Vor wenigen Wochen ging auf dem Dachstein ein Schriftsteller sowohl der Bewirtschaftung einer Alm als auch der Bewirtschaftung leerer Notiz- und Zeichenblätter verloren: Bodo Hell, der aus der Milch von Kühen, Ziegen und Schafen mehr als Käse zu machen verstand, lebte zwischen dem Gedröhne der Bewirtschaftung der Medien und der Schweigsamkeit der Almhütte. Steilheit, Krüppelkiefer, Weidezäune, Käseleibe, Steinschläge und Unwetter waren ihm über Jahrzehnte eine besondere Lebenserfahrung, die ihn in das Ambiente besonderer Sprachfindung führte.

Nun verließ ein weiterer, vorwiegend in mundartlichen, traditionell ländlichen Kreisen bekannter aber nicht minder einzigartiger Schriftsteller der Alm- und Notizblattbewirtschaftung, diese Welt: Sepp Kahn. Es gab für ihn wenig medialen Rummel und daher nur ein paar kurze Bemerkungen zu seinem Ableben; er starb einfach an einer schweren Erkrankung. Nichts besonderes, dafür war er zu bescheiden und zu sehr in sein Leben als Bauer verwoben. 

Und was sollte die Welt auch tun? Ihn bemitleiden? Das würde er nicht gewollt haben.

Kahn war ein Meister verhaltener Ironie; das merkte man bei Lesungen, wenn in zählbaren Sekunden nach einem scheinbar ganz gewöhnlichen Satz das erste Lachen im Publikum aufflackerte. Humor war ihm ein Mittel gegen die Humorlosigkeit der modernen Welt.

Beide waren Exoten auf ihre besondere Art und Weise; Bodo Hell verstand es zwischen der Welt der Stadt und der von allen möglichen Zwängen befreiten Alm zu leben. Eine Aussage von Ronald Pohl trifft den Punkt: Bodo Hell war ein Original, das die Partikel der Welt zu funkelnden Texten verarbeitete. (…) Man kannte diesen originellen Kopf nie anders als strahlend, der Welt und ihren tausend Geheimnissen zugewandt.

Dass er quasi verloren ging bedauerten Viele. Es stürzte sie in ungewöhnliche Melancholie und Spekulationen, wobei sich der Suchkreis auf den Bereich seiner Almlandschaft beschränkte; niemand kam auf die Idee, dass er sich auch in städtischem Umfeld verlieren hätte können.

Für Sepp Kahn waren diese Bedingungen nicht denkbar; sein Refugium bestand aus den Geräuschen des Stalls, dem Atmen der Kühe, dem Melken, Mähen, dem Bronchialhusten des Motors des Traktors, dem Ziehen der Baumstämme aus dem Wald, sonntags dem Läuten der Kirchenglocke. Und der Schweigsamkeit der Alm, die für ihn das Besondere, Einfachste, das Unersetzbare war, in dem er seine Sprache und damit zu sich fand. Nicht Wenige seiner Aufzeichnungen haben den Geschmack eines lebensklugen Menschen. In dem Ambiente, in dem er lebte, schwingt man keine Feder, vielleicht eine Sense auf steilen Wiesenstücken.

Vielleicht war Bodo Hell mehr Künstler denn Senner als Sepp Kahn; Kahn kam es niemals in den Sinn Künstler zu sein. Eher ein Wortstallknecht.

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Hans Augustin

Hans Augustin, geb. 1949 in Salzburg/Stadt. Lebt seit 1976 in Tirol. Drucker und Verleger, Programm- und Sendungsgestalter und Kulturjournalist im ORF, Redakteur der Landw. Blätter d. Landwirtschaftskammer Tirol, verantwortlich für die Kulturprojekte der Landwirtschaftskammer Tirol. Zahlreiche literarische Arbeiten und Ausstellungen zum Thema “konkrete poesie“ (typopoetik). Letzte Publikation: „Als ich mit Z zu Abend aß“ – über den Herrn im Kreml, editon laurin, Innsbruck 2024. Auszeichungen: Kulturpreis der Stadt Innsbruck, Großes Literaturstipendium des Landes Tirol (Dramatik, 1991), Arbeitsstipendien des Landes Tirol und des BundesMinisteriums für Kunst.

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