Hans Augustin
Der Kern des Problems ist die zunehmende Leseunlust.
Wie kann die Belletristik noch gerettet werden?
Essay
Wie oft muss sich zwischen Schriftsteller und Leser etwas ändern? Keine Ahnung, jedenfalls solange, bis der Verkauf zufriedenstellend ist.
Weil ich mich immer gefragt habe, wenn wieder eine Buchhandlung oder ein Kleinverlag zugesperrt hat, früh genug, bevor die Konkursmasse die Geier anlockt, wovon die Verlage leben? Von angeschlossenen Druckereien, von Papiergeschäften, von Mäzenen, von Sponsoren?
Jetzt, so scheint es, hat ein Mann mit Gespür für das Verlegen von Büchern (er weiß, was ein Buch ist) einem großen Haus (Suhrkamp) ein schweres Kreuz abgenommen: die Finanzierung. Das erlöste Seufzen dieses Hauses war bis hinter die Alpen zu hören. Und vielen Verlegern und Buchschaffenden wird ihre prekäre Situation wieder schlagartig bewusst geworden sein.
Denn wovon lebt ein Verlagshaus? Von den Lizenzen? Dem Verkauf der Auflagen? Dem schnellen Wechsel der Buchware, von einer Jahreszeit zur anderen; wer redet denn noch vom Frühjahrs- oder Herbstkatalog 2022 oder 2020 oder von noch früher? Sind die Titel alle verkauft? Titel, deren Bedeutung – als einzigartig, Topseller bezeichnet – von den PR-Leuten, den Literatur-Experten, in den Himmel hinauf oder knapp darunter gelobt wurden. Und von denen ein Jahr später kein Schwein mehr spricht.
Der Spezialist – Germanist, Historiker, Managing Director, Chief Digital Officer bei ArchiTangle, Partner des Beraternetzwerks Heinold & Friends und Sprecher der IG Digital im Börsenverein, Hermann Eckel, mit anderen Worten der Tausendsassa in jenen Bereichen, in denen es fundamental in der Branche mangelt – spricht davon, dass sich die Publikumsverlage in Zukunft (was ist das?) stärker um die Bedürfnisse der Kunden/innen kümmern müssen, um im internationalen Wettbewerb bestehen zu können. Innovativ natürlich!
Was haben die Verlage bisher gemacht?
Däumchen gedreht? Mag sein, hin und wieder wenn nicht sogar oft, aufs falsche Pferd gesetzt. Der internationale Wettbewerb findet nicht in Frankfurt, Leipzig oder Berlin statt, eher am Nebentisch im Flughafenrestaurant von New York, Tokio oder Rio. Die deutsche Sprache ist eine Minderheitensprache; wir können mit Spanisch, Englisch, Arabisch, Russisch oder Chinesisch nicht konkurrieren. Deutsch mit 1,8 % Weltanteil ist keine Weltsprache. Eine schöne das, ja, schwer zu lernen, das ja, aber im internationalen Wettbewerb? Ästhetisch im Buchmachen vielleicht, aber selbst darin sind uns Araber und Chinesen voraus. Die meisten Kunden können eine Antiqua von einer Grotesk nicht unterscheiden, geschweige über Papierqualität oder Bindung reden.
Innovation – ein Begriff, den ich nicht mehr hören kann; alles ist innovativ, die Autohersteller, die Raumfahrt, die Pädagogik, die Zuckerbäcker, die Lehrer, hin und wieder auch die Kirche, die Restaurants.
Innovation bedeutet ungefähr: auf dieses Produkt hat die Menschheit gewartet; und das seit tausend Jahren. D.h. der Innovateur kennt die Bedürfnisse und Befindlichkeiten seiner / ihrer Zielgruppe. Nur die Belletristikverlage kennen ihre Kunden offenbar nicht; wer ist die Zielgruppe, die das Lektorat und der Vertrieb im Auge haben?
Und zum Thema innovative Autoren/innen: Was bitte ist das?
Gibt es eigentlich auch innovative Leser, Leserinnen? Sind das Menschen, die drei, vier, fünf Bücher gleichzeitig lesen? Und die man dann fragen kann, was der Inhalt aus dem zweiten Buch ist? Daneben noch eine Masterarbeit zum Thema schreiben: Warum die Leser immer weniger werden, die Titel immer mehr und wie man dreihundert Seiten in zwei Stunden rezipiert und wie sich dennoch die Verlage und Buchhandlungen über Wasser halten können? Sowie ein Programm zur Erstellung innovativer Algorithmen, die zur Lösung des Buchelends beitragen.
Nachdem Umsatzzuwächse nur noch via Krimis, Thriller sowie dem Segment Young Adult, das sich mit Fantasy- und Liebesromanen (Grüße an Courts-Mahler) an adoleszente Leser/innen richtet, zu machen sind, ist für Autoren und Autorinnen anspruchsvoller Belletristik ohnehin die dünne Luft noch dünner.
Wie erkennt man einen Kunden? Mit Buchgutschein für ein Jahr? Der beim Buch-Lotto ein Treffen mit einem/r berühmten Autor/in gewinnt? Als ob man eine Alice Munro oder Siri Hustvedt einfach so buchen könnte: vom 27. bis 30. März in Leipzig. Berühren erlaubt, füttern verboten; die Begegnung ist wegen großer Anfrage zeitlich auf zwei Minuten begrenzt.
Ein Kunde wird man nicht, weil man ein Buch kauft, sondern weil der Bedarf eines Buches als unverzichtbar erkannt wurde. Das ist die eierlegende Wollmilchsau des Verlags- und Buchhandelsgeschäftes. Es kann sein, dass ein Kochbuch für veganes Kochen unverzichtbar ist.
Die zunehemende Leseunlust
Und kein noch so innovativer Artikel im Börsenblatt, ob sich Publikumsverlage ändern müssen oder nicht, wird genau dieses Problem, das sich für nicht wenige in dieser Branche zu einem Dauerschmerz ausgewachsen hat, lösen.
Denn der Kern des Problems ist die zunehmende Leseunlust. Mehr als 120 Seiten sind nicht zumutbar; und Bücher in der Art von Krieg und Frieden (in Zeiten wie diesen) gehen schon gar nicht.
Ein CRM-System (Customer-Relationship-Management-System) soll der maroden Leselust der Kunden Abhilfe schaffen. Und das Kunden-Beziehungs-Management verlangt zu wissen: maximale Vorlieben, Wohnadresse, Telefonnummer, Mailadresse, ganz Kluge notieren noch den letzten Besuch der Buchhandlung; wie lange er / sie an einem bestimmten Regal verweilt, Wasser, Limo oder Kaffee konsumiert hat, den Leseraum benützt hat – mehr nicht. Alles andere ist bezüglich Datenschutz grenzwertig. Und sind die Inhalte und Titel ausschließlich Cis-Normativ oder auch gender-affirmativ?
Wer keine politische Plattenbau-Biografie hat, ist literarisch unten durch; die Gefühlswelt ist eine Müllhalde. Ein plastic-bag mit Abfall, der seit Tagen vor der Tür steht und vor sich hinfault, wäre ein Indiz für eine soziale Schräglage. So wie nach alternativen Ideenquellen gesucht wird, gehen auch die Geschlechtsidentitäten queerfeldein. Selbst der Begriff Studentenfutter unterliegt der Genderey.
Vielleicht muss man das Thema Zeit für analoge Erfahrungen und Ereignisse, in Gegensatz zur verluderten Zeit am Handy einmal ökonomisch lesen. Das von der Marketing-Abteilung geforderte Eintauchenkönnen, -müssen, -dürfen in einen Text, um nicht nur den Inhalt, sondern auch die Problematik der Geschichte zu verstehen, benötigt Zeit, viel Zeit und noch mehr Zeit. Um sich auf einen Text einzulassen, der nicht hirn- oder mundgerecht, klimagerecht oder apokalyptisch sondern gemüts- und zeitgerecht ist.
Und in diesem Fall ist das Lektorat, das zum Großteil aus Damen besteht, angehalten, sich eingehender mit eingehenden Manuskripten zu beschäftigen. Und den aalglatten Satz zu entfernen, falls überhaupt die Bestätigung einer Einreichung erfolgt, dass wenn keine Reaktion seitens des Verlages nach sechs Monaten erfolgt, kein Interesse besteht. Und von telefonischen Anfragen tunlichst Abstand zu nehmen ist. Denn das angestellte Lesepersonal weiß nichts über ein Manuskript zu sagen, weil es über die ersten zehn Sätze, wenn überhaupt, nicht hinausgekommen ist. Außer Verärgerung bewirkt das gar nichts. Jedenfalls nicht die gewünschte Veränderung, den Leserkreis zu erweitern. Und damit den Buchkreislauf.
Es wäre eine schöne Arbeit (im Habil-Modus) für einen Statistik-Akademiker, zu eruieren, wieviel an Spitzentexten in den runden Papierordnern unter den Schreibtischen verschwindet oder vom Rechner gelöscht wird. In diesen Papier- bzw. Datenbergen nach literarischen Rohstoffen zu schürfen, wäre eine Innovation. bei Andreas Braungenau wie die braucht Schätzung meiner gewissen Thesen war Artikel von
Es ist erstaunlich, wie gut der Experte die Handhabung von Buchhandlungen kennt, zum Thema Verweildauer. Sonst müsste er wissen, dass die lokalen Bedingungen, die Größe der Kundenräume, die im Kampf mit den Buchregalen und -tischen liegen, und die das über Wochen und Monate brachliegende, renditebefreite Kapital darstellen, wesentlichen Einfluss auf die Verweildauer in einer Buchhandlung haben. Und dann noch, in Eigeninitiative der Buchhändler/in, der Kaffeeautomat irgendwo untergebracht werden muss, damit die Verweildauer potentieller Kunden, allein schon wegen des Kaffees, länger als geplant ausfällt.
Und dass als Fleißaufgabe im Monat ein-, zweimal Tische und Regale beiseite geschoben werden müssen, damit Gäste für eine Lesung auf den Klappstühlen, die in einer Nebenkammer gestapelt sind, angenehm sitzen können.
Und wie man bei allen diesen empfohlenen, innovativen Ratschlägen programmatische Abstriche verhindert, die Antwort auf diese Frage bleibt der Spezialist schuldig. Die, die am innovativsten sind, sind doch immer noch die, die schreiben! Merkt das keiner?
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