Günther Aigner
Toskana in Tirol
Im Juni sind die Temperaturen im Hochgebirge explodiert.
Analyse

Die Klimaerwärmung hat in den Alpen zu einem starken Temperaturanstieg in allen Jahreszeiten geführt. Am stärksten ist die Erwärmung im Sommer, weshalb wir die Auswirkungen derzeit sehr gut am raschen Rückschmelzen der Gletscher beobachten können. Bei den Einzelmonaten ist der Juni Spitzenreiter.

Die Abbildung 1 zeigt die Entwicklung der Juni-Temperaturen mit Messdaten des berühmten Observatoriums am Hohen Sonnblick (3.106 m), auf welchem seit 1887 täglich atmosphärenphysikalische Messungen vorgenommen werden.



Im Chart sehen wir besonders niedrige Juni-Temperaturen in den 1910er- und 1920er-Jahren. Die Jahre 1918 und 1923 brachten die kältesten Juni-Monate der Messgeschichte. 

Danach konnte sich der Monat bis in die 1930er-Jahre hinein erwärmen. Die Jahre 1930 und 1931 brachten für damalige Verhältnisse rekordwarme Juni-Temperaturen.

Von den 1940er-Jahren bis in die Mitte der 1990er-Jahre hat sich praktisch nichts getan. So war auch der Juni 1995 noch sehr kühl. Aber dann setzte eine abrupte Änderung ein.

• Das Jahr 1996 brachte den mildesten Juni am Hohen Sonnblick seit 1931 – mit einem Mittel von 1,8 Grad Celsius.
• Der Juni 2000 war mit 2,3 Grad Celsius der bis dahin mildeste Juni der Messgeschichte.
• Der Juni 2003 pulverisierte mit einem Temperaturmittel von 4,8 Grad Celsius alle bisherigen Rekorde.
• Der Juni 2019 war nur ein Zehntelgrad kühler als der Juni 2003. Auch der Juni 2025 dürfte sich in der Endabrechnung der HISTALP-Daten in diesem Bereich einpendeln.

• Seit 1995 stieg das gleitende 10-jährige Mittel um knapp 4 Grad Celsius an. Das bedeutet einen Anstieg der Nullgradgrenze im Juni von rund 600 Höhenmetern innerhalb von nur 31 Jahren!

Für die Gletscher bedeutet diese Entwicklung, dass der Juni noch bis Mitte der 1990er-Jahre zu den Wintermonaten zählte und sich hochalpin weiterhin Schnee akkumulieren konnte. Seit 1996 ist der Juni ein Sommermonat und bis in die Gipfellagen von Schneeschmelze geprägt. Ebenso erging es übrigens dem September.

Mit anderen Worten: Höher gelegene Gletscherflächen genossen bis Mitte der 1990er-Jahre 10 Wintermonate – und mussten lediglich 2 Sommermonate (Juli und August) überstehen. Heute ist das Verhältnis acht Wintermonate zu vier Sommermonate (Juni, Juli, August und September). 

Teilweise hatten wir in den letzten Jahren sogar in den hoch gelegenen Gletscherflächen bereits 5 Sommermonate – von Mai bis September. Das ist zu viel für das ewige Eis. In diesem Klima können sich in den Ostalpen nur einige wenige sehr hoch gelegene Gletscherflächen erneuern – alle anderen Eisfelder sind schon so gut wie verschwunden.

Wir sehen in den Ostalpen vor allem im Sommer einen dominanten Dreiklang: Zunahme des Luftdruckes, Zunahme der Sonnenscheindauer und Zunahme der Temperaturen. 

Die von mir konsultierten Atmosphärenphysiker führen als Gründe an, dass sich der Jetstream (= ein starker, bandförmiger Westwindstrom) seit den 1980er-Jahren aufgrund der Klimaerwärmung polwärts verlagert habe. 

Gleichzeitig konnte sich der subtropische Hochdruckgürtel nach Norden ausbreiten. Mit anderen Worten: Der Alpenraum gelangte in den vergangenen Jahrzehnten vor allem im Sommer mit zunehmender Häufigkeit in den Bereich des Mittelmeerklimas. Besonders deutlich wurde diese Veränderung im Monat Juni. Die Vorstellung einer Schafskälte, bei der es Mitte Juni bis in höhere Tallagen schneien kann, erscheint aus heutiger Sicht absurd. 

Wir können es uns kaum mehr vorstellen. Wir haben ein neues Klima: Die Toskana befindet sich nun in Tirol!


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Günther Aigner

Günther Aigner (*1977 in Kitzbühel) ist der führende Experte in den Bereichen Skifahren und Skitourismus im deutschsprachigen Raum. Er gibt sein Wissen als Gastlektor an Hochschulen in Europa und Asien weiter. Außerdem nimmt er als Experte in den Medien am öffentlichen Diskurs teil. Als Keynote Speaker hält er Vorträge im In- und Ausland. Mit seinem 2013 gegründeten Unternehmen ZUKUNFT SKISPORT berät Aigner alpine Destinationen, Skigebiete sowie Hardware- (z. B. Seilbahnsysteme) und Softwarehersteller (z. B. Zutrittssysteme) und entwickelt Marketingstrategien für die Herausforderungen der Zukunft. Seine Arbeit dient als Bindeglied zwischen dem akademisch-wissenschaftlichen Denkraum und den alpintouristischen Praktikern. Günther Aigner hat an den Universitäten Innsbruck und New Orleans die Diplomstudien Wirtschaftspädagogik und Sportwissenschaften absolviert. Anschließend hat er das Wintermarketing von Kitzbühel / Tirol geleitet. 2021 ist er an die Uni Innsbruck zurückgekehrt, wo er als „PhD candidate“ (Doktorat „Management“) den Kreis zur akademischen Forschung schließt.

Dieser Beitrag hat einen Kommentar

  1. Günther Aigner

    Sehr geehrte Damen und Herren! Es würde mich freuen, wenn wir hier im Kommentarbereich eine konstruktive Diskussion über dieses doch recht brisante Thema eröffnen könnten. lg Günther Aigner

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