Günther Aigner
Halbzeitbilanz im Skitourismus
Overtourism statt Existenzkrise!
Notizen
Ende Jänner ist die erste Hälfte der Skisaison zu Ende gegangen. Danach beginnt die zweite Hälfte des Winters, welche vom ferienintensiven Februar dominiert wird. Zeit für eine gedankliche Zwischenbilanz.
Die erste Winterhälfte wird von der Weihnachtssaison geprägt, die im Wesentlichen vom 24. Dezember bis zum 06. Jänner dauert. Die heurige Weihnachtssaison brachte für große Teile der Ostalpen neun wolkenlose Tage hintereinander: vom 25. Dezember (Christtag) bis zum 02. Jänner. Neun Tage in Folge Full House in den Skigebieten.
Die Schneelage war mager, aber ausreichend. Skitouristiker wissen: Nicht die Schneehöhe entscheidet über eine erfolgreiche Saison, sondern die Sonnenscheindauer.
Selbst wenn wir noch keine veröffentlichten Zahlen haben, darf ich aus meinem Austausch mit Seilbahnunternehmern folgern: Die Skigebiete in Tirol verzeichneten verbreitet die beste Weihnachtssaison aller Zeiten, nicht nur in Bezug auf den Umsatz, sondern – viel wichtiger – in Bezug auf die Erstzutritte (= Skier Visits). Das heißt, dass noch niemals in unserer etwa 130-jährigen Skitourismusgeschichte so viele Menschen in der ersten Saisonhälfte Ski gefahren sind wie heuer.
Und der Februar scheint sich ebenfalls ähnlich einzustellen: Viel Sonnenschein und Rekordbesuche in den Skigebieten. Aber nicht nur in Tirol und in den Ostalpen, sondern sehr wahrscheinlich weit darüber hinaus wird dieser Winter alle Rekorde im Skitourismus brechen. Diesbezüglich bin ich gespannt auf die Zahlen von Laurent Vanat und auf seinen jährlich erscheinenden International Report on Snow & Mountain Tourism.
Seit Jahrzehnten wird die öffentlich-mediale Meinung vom Vorurteil dominiert, dass der Skitourismus in der Krise und in einem nicht verhinderbaren Rückzug begriffen sei. Die Realität ist ganz eine andere: Der weltweite Skitourismus wächst unaufhörlich.
Im Alpenraum und in Tirol sind die aktuellen Probleme im Skitourismus klassische Overtourism-Phänomene, welche unter anderem folgende Fragen aufwerfen: Wann ist genug? Wie viel zusätzliche Kapazität geben die Verkehrswege her, ohne zu kollabieren? Wie lange können die Einheimischen diesen Verkehrsinfarkt noch ertragen? Wann und wo ist der Kipppunkt erreicht, an dem der Stress, den ein Skitag in der Hochsaison mit sich bringt, den persönlichen Nutzen der Gäste übersteigt?
Ist es noch Erholung, wenn ein Skitag zum Kampf wird? Beispielsweise zum Kampf um den Parkplatz, zum Kampf ums Skiticket an der Kassa, das Gewusel und der Stress auf den Pisten, der Kampf um einen Platz auf der Skihütte und dem dortigen Weg aufs WC.
Gleichzeitig findet ein Strukturwandel statt, der dadurch gekennzeichnet ist, dass der Markt kleine und mittelgroße Skigebiete bestraft. Und der Markt, das darf man nicht vergessen, wird von uns selbst bestimmt. Unser Verhalten als Gesellschaft, das ist der Markt! Wir werden zunehmend verwöhnter und fordern größere, qualitätsvollere Skigebiete.
Mich beschäftigt zugleich eine tiefergehende Frage: Alle Skitourismus-Insider, mit denen ich mich regelmäßig austausche, wissen um das Problem des Overtourism rund um das Skifahren – sowohl heute als auch in der nahen Zukunft bis etwa 2050. Und alle lächeln mitleidig und teils belustigt über die realitätsfernen öffentlich-medialen Vorurteile über den Niedergang des Skifahrens.
Da schaudert es mich manchmal und ich frage mich: Ist es nur beim Skifahren so, dass die Diskussionen häufig von Menschen geführt werden, welche wenig Zeit oder Muße haben, um über einen Sachverhalt gründlich nachzudenken? Oder ist das auch in anderen – vielleicht wichtigeren – Themenbereichen so?
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Liebe Leserinnen und Leser!
Ich würde mich über eine schöne konstruktive Diskussion freuen. Beim Thema Skifahren und Skitourismus gehen ja in Tirol und in Österreich schnell die Wogen hoch! 🙂
Vielleicht können wir hier – sachlich diskutieren – ein paar Meinungen austauschen!
lg Günther Aigner