Friedrich Hahn
Wilhelm Genazino und Herbert Achternbusch auf Freigang
Dramolett

Was soll das! Achternbusch schaut indigniert von seinem Notizblock auf, fühlt sich gestört.
Was soll was?, entgegnet der freundliche Mann mit dem runden Gesicht, der zögerlich an den Tisch des bayrischen Autors herangetreten ist.
Sie stören!
Wir sind verabredet, Herr Achternbusch. Schon vergessen(?)!
Dann sind Sie….(?)
Ja. Gestatten…Genazino, Wilhelm Genazino.
Das kann jetzt jeder behaupten…
Achternbusch versucht ein Lächeln und lädt mit einer angedeuteten Geste seinen Kollegen ein, Platz zu nehmen, und winkt den Kellner zu sich.
Es ist Genazino, der das Gespräch wieder aufnimmt: Ich war auch nicht gleich sicher. Sie schauen so…so so…
So geläutert? So durchsichtig? Sie können es ruhig sagen, ich hab das jetzt schon oft gehört…

Außerdem: Sie sprechen jetzt ja hochdeutsch. Wo ist Ihr Bayrisch geblieben?
Was soll ich Ihnen groß erzählen (?)…Sie kennen das ja selbst, wie sie da oben mit unsereins umgehen…das war die Voraussetzung.
Der Kellner bringt das Bestellte. Bier für Achternbusch. Selters für Genazino.
Achternbusch nimmt einen kräftigen Schluck von seinem Krügerl, wischt sich mit seinem Handrücken den Schaum vom Mund. Genazino nippt an seinem Glas.
Voraussetzung wofür(?), hakt Genazino nach.
Na, Sie wollten mich schon strafversetzen. Meine Filme. Blasphemie und so. Sie verstehen…
…und dafür müssen Sie jetzt auf hochdeutsch machen(?).

Sie haben’s erfasst. Und Sie?
Wir könnten Du sagen…
Meinetwegen. Ich bin der Herbert.
Wilhelm, ich freu mich…
Na, sagen Sie schon…
Naja, wie soll ich sagen…mir fehlen all die Gehwege, die Trottoires…
Und die Sackgassen nicht zu vergessen.
Ja, meinetwegen auch Sackgassen. Um die kommt man ja nicht herum. Schließlich ist ja das ganze Leben…hmmm, eine Sackgasse.
Achternbusch schaut von seinen Notizen auf, an denen er bisher konzentriert geschrieben hat: Du hast es, – ich hab ja wenig von dir gelesen,- eher ruhig und gemütlich angegangen, stimmt’s(?)!
Wie soll ich sagen (?),…ich brauchte nie das große Drama, brauchte nicht, dass immer alles gleich kaputtgeht und ins Chaos stürzt, um beim Schreiben in Fahrt zu kommen. Genazino verdreht den Kopf, will schauen, was auf Achternbuschs Zettel steht. Woran schreiben Sie denn da eigentlich?
Du!
Verzeih. Natürlich. Also, woran schreibst denn da. Du weißt schon, dass unsere Zeit vorbei ist?
Du hast gut reden. Dein ‚Traum des Beobachters‘ ist ja fünf Jahre, nachdem du…du weißt schon.

Ja, die zwei Typen haben meine Zettelwirtschaft, meinen nachgelassenen ‚Materialcontainer‘ gründlich durchforstet.
Von mir gibt’s ja kaum was, das nicht veröffentlicht ist. Dafür hat schon mein spezieller Freund gesorgt.
Der Waldviertler(?)…

Genau…!
Ich hab mir meine Sprache zum Bösewicht erzogen. Achternbusch hält eine Eincentmünze hoch: Mein Talisman auf meinen Freigängen. Ich bin dann immer gierig nach einer Anrede, zieh durch ein Lokal und hab auch schon den einen oder anderen Raufhandel begonnen. Vorauswissen ist ein schönes Wissen. Und jeder, der sagt, dass Verletzungen im Genitalbereich weniger lustig sind als am Kopf, ist ein Kindskopf.
Ich kann’s nicht glauben. Ein echter Achternbusch. Aber ohne diesen bayrischen Akzent klingt’s wie ein…leerer Teebeutel, der…der in irgendwas hängt, dass ihn so gar nichts angeht.
Chapeau! Welch Vergleich. Könnte von mir sein…
Achternbusch deutet auf Genazinos halbleeres Glas: Willst du auch noch was? Genazino winkt ab. Achternbusch ruft nach dem Kellner, zeigt auf sein leeres Glas. Der Kellner nickt, Achternbusch nickt.
Übrigens. Ich hab da schöne Sätze in deinem Beobachter gefunden: „Schreiben will Leben nicht festhalten, sondern seine Verflüchtigung erträglich machen.“ Wie kommst du eigentlich zurecht mit deinem neuen Zustand. Bei dir sind’s ja jetzt schon fast…
Sechs Jahre, ergänzt Genazino eifertig: Und du? Für dich ists ja noch relativ neu. Obwohl, wenn ich da an ein Video denke, hast du ja schon zu Lebzeiten geübt.
Welches Video?
Na das, in dem du mit deiner kleinen Tochter Begräbnis spielst.
Ah das… Achternbusch legt die Stirn in Falten: Ich bin mein Lebtag nicht draufgekommen, worum es im Leben geht. Das Einzige, das ich weiß, ist, dass ich – was auch immer es ist – daran vorbeigelebt habe.
Nun schaut auch Genazino nachdenklich: Und was ist mit Liebe…(?)
Ach, hör mir mit Liebe auf. Jeder Kuss, jedes Ichliebedich ist ja nichts Anderes als eine Anzahlung auf unser Ende.
Wer denkt schon ans Ende? Genazino spricht es leise vor sich hin.
Achternbusch frägt daher nach: Wie meinen?
Genazino jetzt überdeutlich laut: Wer denkt schon ans Ende. Ich hab zum Beispiel vergessen, ein Spätwerk zu schaffen. Genazino, als die Gäste an den Nebentischen schon aufmerksam werden, wieder etwas leiser: Im Gegensatz zu dir. Zu deinem ‚Letzten Schliff‘. Ich hab ja lachen müssen. Du schreibst da: „Wenn dieses Büchl fertig ist, wird es sich auch nicht als Ziel erweisen, aber wenigstens bin ich älter und kann abkratzen, was ja auch kein Ziel ist.“
Jaja, was ich immer sage: „Ab 70 braucht man nur noch eines: eine milde Form der Tapferkeit.“
He, das ist doch, wenn ich mich nicht irre, ein Satz von mir.
Wurscht. Hauptsache, wir müssen nichts mehr Neues anfangen. Und jetzt (Achternbusch schaut auf seine Swatch): ich glaub, lieber Wilhelm, es ist Zeit für uns beide Hübschen, Zapfenstreich, sonst gibt’s wieder Abzüge in der Berühmtheitsnote.
Und was ist mit der Rechnung, wer bezahlt (?)! Hast du was eingesteckt?
Achternbusch zeigt seine Eincentmünze.
Genazino: Er schaut grad nicht her. Jetzt aber g’schwind.

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Hahn Friedrich

Geboren 1952 im Waldviertel / NÖ, schreibt und veröffentlicht seit 1969. 54 Bücher mit Lyrik, Prosa sowie 20 Arbeiten für den Rundfunk und für die Bühne (zuletzt „im rücken des schattens“, die rampe, Stuttgart 2004). Performances (u. a. im Centre George Pompidou/Paris im Rahmen der Polyphonix), Ausstellungen und Kataloge (u. a. „remakes“: Museum Moderner Kunst/Wien, „unterm strich“: Galerie Eichgraben, „allerhand hahn“: CA-Galerie im TZ). Mitglied der Grazer Autorinnen Autorenversammlung und des Literaturkreises "Podium". Lebt in Wien/Alsergrund. www.literaturhahn.at

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