Literarische Korrespondenz:
Franz Mathis an die Königliche Schwedische Akademie
der Wissenschaften
Betrifft:
Diesjährige Verleihung des Alfred-Nobel-Gedächtnispreises
für Wirtschaftswissenschaften
Da ich mich seit Jahren mit der Frage nach den Gründen der Industriellen Revolution beschäftigt habe, wollte ich die diesjährige Verleihung des Nobelpreises für Wirtschaftswissenschaften nicht unkommentiert lassen und habe daher den nachfolgenden Brief an die Königlich Schwedische Akademie der Wissenschaften in Stockholm verfasst. Bin gespannt auf eine etwaige Antwort.
Sehr geehrte Mitglieder der Akademie!
Die Entscheidung der Königlichen Schwedischen Akademie der Wissenschaften, den diesjährigen Preis der Schwedischen Nationalbank in Wirtschaftswissenschaft zur Erinnerung an Alfred Nobel an Prof. Joel MOKYR von der Northwestern University in Illinois zu vergeben, veranlasst mich zu den folgenden Zeilen: Wenn Prof. Mokyr die Industrielle Revolution ab dem Ende des 18. Jahrhunderts mit der Industriellen Aufklärung oder der Kultur des Wachstums zu erklären versucht, die das Europa des 16. und 17. Jahrhunderts kennzeichneten, befindet er sich in der Gesellschaft zahlreicher Wirtschaftshistoriker, die bereits vor ihm die Verfügbarkeit von Rohstoffen, Unternehmergeist, Facharbeitern und weniger qualifizierten Arbeitskräften, überseeische Märkte, technische Erfindungen, Religion oder Kolonialismus für die Industrielle Revolution verantwortlich gemacht haben.
Bei genauerem Hinsehen zeigt sich jedoch, dass all diese Faktoren zwar unentbehrliche Voraussetzungen für die Industrielle Revolution waren, aber zwei entscheidende Fragen nicht zu beantworten vermögen:
Warum fand die Industrielle Revolution erst ab dem Ende des 18. Jahrhunderts und nicht schon zuvor statt?
Warum begann dieser fundamentale Wandel in der wirtschaftlichen Entwicklung in England und nicht auf dem europäischen Kontinent oder in anderen Teilen der Welt?
Um diese Fragen zu beantworten, habe ich die makroökonomische Ebene verlassen und mich auf die mikroökonomische Ebene konzentriert. Was war es, das potentielle Unternehmer dazu veranlasst hat, in maschinelle statt handwerkliche Produktionsmethoden zu investieren, was mehr als alles andere den Prozess der Industrialisierung ausmachte und größere Produktionsmengen erlaubte als je zuvor?
Um solche Investitionen, die zu MASSENPRODUKTION führten, profitabel zu machen, bedurfte es einer konzentrierten MASSENNACHFRAGE. Eine derartige Massennachfrage gab es in besonders großen Städten mit mehreren hunderttausend bis über einer Million Einwohner.
Wo immer und wann immer in der Welt solche MEGASTÄDTE entstanden, kam es in ihnen bzw. in ihrer näheren und weiteren Umgebung zu einer Industrialisierung, beginnend mit London, das um 1800 als erste Großstadt die Millionengrenze überschritt, gefolgt von Städten ähnlicher Größenordnung auf dem europäischen Kontinent, in Nordamerika und in Japan im 19. Jahrhundert sowie überall in der Welt und nicht nur im ostasiatischen Raum während der letzten Jahrzehnte.
Auf der Basis umfangreicher Daten aus allen Teilen der Welt ist es mir gelungen, diesen fundamentalen und vor allem kausalen Zusammenhang zwischen MEGASTÄDTEN und INDUSTRIALISIERUNG empirisch zu belegen und in zwei Büchern, eines auf Deutsch und eines in Englisch, zu veröffentlichen:
Franz Mathis: Mit der Großstadt aus der Armut. Industrialisierung im globalen Vergleich. innsbruck university press 2015.
Franz Mathis: Industrial Development through Urbanization. A new Theory on Poverty and Prosperity. New Orleans, New Orleans University Press 2018.
Ich wäre Ihnen, sehr geehrte Mitglieder der Akademie, sehr verbunden, wenn Sie mich wissen lassen könnten, was Sie von meiner NEUEN Theorie der Industrialisierung halten.
Hochachtungsvoll,
Dr. Franz Mathis, emeritierter Professor für Wirtschafts- und Sozialgeschichte an der Universität Innsbruck, Österreich
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