Elias Schneitter
Neulich war ich beim Wahlarzt.
Notizen

Während meiner beruflichen Laufbahn war ich unter anderem auch einmal zehn Jahre als Ombudsmann bei der Tiroler Gebietskrankenkassa tätig. Ich hatte damals die Beschwerden von Versicherten zu bearbeiten. Sehr häufig wurde ich mit folgendem Vorwurf konfrontiert: Ich zahle wie ein Blöder Zwangsbeiträge, und wenn ich einmal etwas von der Kasse brauche, dann bekomme ich nichts.

Bei meinen oft sehr ausführlichen Gesprächen mit den Unzufriedenen konnte ich häufig feststellen, dass sie kaum einen Überblick über ihre wirkliche Beitragsleistung zur Sozialversicherung hatten. Das wurde damals auch von einer groß angelegten wissenschaftlichen Arbeit bestätigt. Darin wurde festgehalten, dass 80 % der Befragten keine klare Auskunft über das Maß ihrer Beiträge geben konnten. Die Studie hatte denn auch den Titel Die Sozialversicherung. Das unbekannte Wesen.

Kürzlich war ich bei einem Wahlarzt, bei dem ich schon seit vielen Jahren Kunde bin. Auf den Termin hatte ich einige Wochen zu warten, was aber kein Problem darstellte, weil es sich um eine unspektakuläre Kontrolluntersuchung handelte. Für diese Untersuchung erhielt ich eine Honorarnote über € 220. Vor drei Jahren kostete die gleiche Behandlung noch € 120. Rückerstattung von der Kasse war € 44.

Momentan geistern wieder die Minuszahlen der ÖGK durch die Medien. Sie werden aktuell mit 900 Millionen Euro beziffert. Tendenz steigend.

Nun fühlen sich natürlich – und das ist auch ihre Aufgabe – die politisch Verantwortlichen dazu berufen, Vorschläge zu unterbreiten, wie diese Kostenexplosion in den Griff zu bekommen ist.

Die Ärztekammer schlägt grundsätzlich Alarm, weil sie Angst um das Gesundheitssystem (und die lukrativen Einkommen ihrer Mitglieder) hat, Ökonomen wollen die Geldflüsse aus einer Hand nach dem Motto Geld folgt Leistung, andere wiederum meinen, das Heil in der Verlagerung der Behandlungen vom teuren Spital in den niedergelassenen Bereich zu finden, ein blauer Mandatar meinte gar, das Defizit ergebe sich aus der Flüchtlingskrise, weil zu viele Personen Leistungen erhalten, ohne Beiträge zu bezahlen, Kurz/Strache setzten die Zentralisierung der Verwaltung durch etc. etc.

Nun sind all diese Lösungsvorschläge gewiss nicht falsch und könnten eine gewisse Verbesserung bringen, grundsätzlich wird dadurch aber das Problem nicht gelöst.

Man kann es drehen und wenden wie man will: das gute alte Sozialversicherungsgesetz kann den heutigen Anforderungen nicht mehr gerecht werden. Das ASVG war ein Jahrhundertwerk, ohne Zweifel im Sozialbereich die größte Errungenschaft des zwanzigsten Jahrhunderts.

Aber dieses Gesetz wurde in einer Zeit geschaffen, als Österreich noch ein armes Land war. Damals wurde aus den Erfahrungen der Vergangenheit und der herrschenden Notsituation heraus gedacht. Bis herauf in die 1990er-Jahre hat es auch hervorragend funktioniert. Aber inzwischen wurde alles immer mehr zum Auslaufmodell. Immer weniger Ärzte wollen einen Vertrag mit der Sozialversicherung. Der medizinische Fortschritt ist enorm, und oft unglaublich teuer, da kann das System nicht mehr mithalten.

Österreich ist inzwischen ein reiches, wohlhabendes Land. Dieser Wohlstand hat aber zur Folge, dass die Solidarität in der Gesellschaft immer mehr sinkt. Andererseits aber auch das Anspruchsdenken enorm gewachsen ist. Jeder will die beste medizinische Versorgung. Diese ist aber mit dem alten System nicht mehr finanzierbar. Im besten Fall gelingt das noch. Mehr wird sich mit den vorhandenen Mitteln nicht ausgehen. Im ASVG heißt es übrigens: Die Behandlung muss einfach, zweckentsprechend sein und das Maß des Notwendigen nicht übersteigen. Damit gibt sich die Bevölkerung längst nicht mehr zufrieden. Wer daher in Zukunft in den Genuss einer besseren medizinischen Behandlung kommen will und es sich leisten kann, ist gut beraten, sich eine Zusatzversicherung zuzulegen.

Abschließend noch ein kleines Rechenbeispiel. Was bezahlt ein ASVG-Pensionist an Krankenkassenbeitrag? Und wieviel zahlt ein ASVG-Versicherter von seinem Lohn Krankenkassenbeitrag? Dazu zwei kleine Rechenbeispiele.

Ein Pensionist mit € 2.000 Brutto-Pension. Aktueller Beitragssatz 5,1 % = € 102 monatlich 14 x jährlich. Arb./Ang. mit € 3.000 Brutto-Lohn. Beitragssatz 7,65% = € 229,50. Dieser Beitrag wird zwischen Dienstgeber und Dienstnehmer aufgeteilt. Ca. die Hälfte, also ungefähr € 115 für jeden.

Man muss kein Rechengenie sein, um zu erkennen, dass mit solchen Beiträgen unser Gesundheitssystem mit all den neuen Ansprüchen nicht zu finanzieren ist.

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Elias Schneitter

Elias Schneitter lebt in Wien und Tirol. Zahlreiche Publikationen. Zuletzt der Erzählband „Civetta“ (baes) und der Roman „Ein gutes Pferd zieht noch einmal“ (Kyrene Verlag) und der Gedichtband „Zirler Blues“ (baes). Daneben Tätigkeit als Kleinverleger der edition baes (www.edition-baes.com), in der ein Schwerpunkt auf die Veröffentlichung von Literatur aus der US-amerikanischen Subkultur gelegt wird. Schneitter ist Mitbegründer und Kurator beim internationalen Tiroler Literaturfestival „sprachsalz“ (www.sprachsalz.com) bis 2023 in Hall, seit 2024 in Kufstein.

Dieser Beitrag hat einen Kommentar

  1. Petra Wohlfahrtstätter

    Lieber Elias Schneitter,
    die Krankenversicherung Modell Bismarck ist tatsächlich am Anschlag. Aber die Menschen, die Versorgung benötigen, sind es auch. Als Gesundheitssprecherin der Tiroler Grünen bemühe ich mich Stellschrauben in Richtung Prävention zu aktivieren, denn eine der größten Belastungen im System sind die sogenannten nicht-übertragbaren Krankheiten, die mit Lebensbedingungen zu tun haben. Für Notfälle ist das System immer noch gut, Menschen mit chronischen Krankheiten haben es schwer, weil sie nicht nur punktuell, sondern laufend etwas vom System brauchen. Die Krankenversicherungen müssen sich hier bewegen und endlich auch Prävention finanzieren. Eine andere Sache sind die Bestrebungen der „Gesundheitswirtschaft“ mehr und mehr zu privatisieren – auch die Pflege. Selber zahlen ist für die Mehrheit aber keine Lösung, weil einfach nicht leistbar.

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