Elias Schneitter
Meine Freuden und Leiden mit Wurstsemmeln
Notizen

Neulich bin ich in Meidling am dortigen Markt vorbeigekommen, als mich plötzlich das große Verlangen nach einer Wurstsemmel überkam. Mit anderen Worten: eine Hungerattacke. Zu meinem Glück stach mir sofort ein Stand mit dem bezeichnenden Namen Heu und Gabel ins Auge, wo kleine Imbisse angeboten wurden. Die freundliche Verkäuferin riet mir, ich möge mir doch eine Semmel mit einem hervorragenden Prosciutto und einem Gurkerl (wienerisch) genehmigen. Ich folgte ihrem Rat.

Danach suchte ich mir eine gemütliche Bank im nahen Park und verspeiste die Köstlichkeit geradezu mit einem Glücksgefühl. Ein wunderbarer Prosciutto und das Gurkerl knackig und vor allem und besonders: das Semmerl, wie ich es schon seit vielen vielen Jahren nicht mehr bekommen habe. Ein Semmerl wie in der guten alten Zeit, frisch und knusprig, ein unglaublicher Hochgenuss.

Sofort dämmerte mir meine lang zurückliegende Studienzeit in Wien, wo die sagenhaften Wurstsemmeln zu meinen Hauptmahlzeiten zählten.

Oder in Zirl, als wir in jungen Jahren nach durchzechten Nächten stets am Dorfplatz zum Baumann-Bäck pilgerten und uns warme ofenfrische Semmeln besorgten und diese auf der Gemeindebank verspeisten, während langsam der Tag erwachte.

Auch war es früher gang und gäbe, als wir damals regelmäßig an den Wochenenden ins Tivoli zu den FC Wacker Spielen kamen, dass es eine Wurstsemmel oder eine Burenwurst mit Semmel und scharfem Senf mit Kracherl gab, später Bier.

Vielleicht verkläre ich etwas die Vergangenheit, was die Semmel betrifft, aber wenn ich heute auf einem Fußballplatz oder in einem Geschäft all die Angebote studiere, die mehr an einen Gummimehlpapp erinnern, dann vergeht mir die Lust auf solche Machwerke schon beim Anschauen.

In Wien gab es früher noch die legendäre Kaisersemmel. Der Vater der großen österreichischen Beatdichterin Ruth Weiss war Journalist. 1938 musste er als Jude mit seiner Familie Österreich verlassen und in die USA flüchten. Nach dem Krieg kam er trotzdem jedes Jahr für einige Tage nach Wien, weil er die Stadt noch immer liebte. Im Jahr 1974 sollte es das letzte Mal sein, er kehrte enttäuscht von dieser Reise zurück nach Chicago.

Was ist passiert? fragte ihn Ruth am Flughafen, nachdem er schlecht gelaunt verkündete, nie wieder in sein ehemals geliebtes Wien zurückzukehren. Warum bist du so enttäuscht?

Schließlich rückte er mit der Wahrheit heraus. In ganz Wien, sagte er völlig betrübt, gibt es keine solche Kaisersemmel mehr, wie es sie früher gegeben hat. Diese Stadt sieht mich nie mehr wieder.

Ruth war etwas perplex über diese Antwort, aber sie kannte ihren Vater.

Nachdem ich meine Prosciutto-Semmel im Park genossen hatte, ging ich erneut zu Heu und Gabel und bestellte mir das gleiche noch einmal. Für den Durst gönnte ich mir sogar eine Schartner Bombe. Herz! Was willst du mehr?

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Elias Schneitter

Elias Schneitter lebt in Wien und Tirol. Zahlreiche Publikationen. Zuletzt der Erzählband „Civetta“ (baes) und der Roman „Ein gutes Pferd zieht noch einmal“ (Kyrene Verlag) und der Gedichtband „Zirler Blues“ (baes). Daneben Tätigkeit als Kleinverleger der edition baes (www.edition-baes.com), in der ein Schwerpunkt auf die Veröffentlichung von Literatur aus der US-amerikanischen Subkultur gelegt wird. Schneitter ist Mitbegründer und Kurator beim internationalen Tiroler Literaturfestival „sprachsalz“ (www.sprachsalz.com) bis 2023 in Hall, seit 2024 in Kufstein.

Dieser Beitrag hat 2 Kommentare

  1. c. h. huber

    ich bin dazu übergegangen nur mehr handsemmeln zu kaufen und die auch nur bei einem bestimmten bäcker. alle anderen kann man vergessen, sie werden schon nach 2 – 3 stunden hart, sind sie es nicht ohnehin schon beim kauf. auch die extrawurst samt gurkerl reißt die nicht mehr heraus, deren verzehr früher einen hochgenuss bedeutete.

  2. Helmut Schiestl

    Lieber Elias, da kann ich dir nur beipflichten mit den Semmeln! Wenn man sie nicht frisch isst oder bekommt, kann man sie vergessen. Und selbst da sind sie oft nicht wirklich gut. Wie du schreibst, ein Gummimehlpapp. Eine tirolweit agierende Bäckerei schmückt sich ja schon lange mit einer eigenen Kaisersemmel. Als ich mal beim Kauf einer solchen der Verkäuferin den Vorschlag machte, man müsste diese doch, da wir ja schon etwas länger in einer Republik leben würden, REPUBLIKSEMMEL nennen, erntete ich großes Gelächter. Nun, es gibt ja auch noch den Kaiserschmarrn und auch sonst noch einiges Imperiales auf unseren Speisekarten, Kaiserfleisch fällt mir etwa noch ein. Ja, der gute alte Kaiser, was würde er wohl denken, müsste er sehen, für welch oft minderwertigen Produkte sein Name da nach über hundert Jahren nach seinem Tod noch herhalten muss.

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