Elias Schneitter
Irgendjemandem geht’s immer noch schlechter.
Notizen aus dem Krankenhaus

Nun, es gibt angenehmere Orte seine Zeit zu verbringen als in einem Krankenhaus. Wegen einer blöden Geschichte musste ich einige Wochen dorthin.

Ich kam in ein Vierbettzimmer, alles alte Männer so wie ich. Einer ging schon gegen die Neunzig. Der kam mir aber geistig noch am klarsten vor. Er hatte Probleme mit Schwindelanfällen und wurde wegen Verdachts auf Schlaganfall eingeliefert.

Zufälligerweise hatten alle drei Zimmerkollegen einen Bezug zur Landwirtschaft. Mein unmittelbarer Bettnachbar, angeblich ein Biobauer, war ziemlich bedient und seine erste Mitteilung, die er an mich richtete, lautete: Fernsehverbot. Hier Fernsehverbot.

Die beiden anderen lächelten darüber. Sie hatte er auf die gleiche Weise begrüßt. Sie legten auch keinen Wert auf die Flimmerkiste.

Bereits am ersten Tag wunderte ich mich über das sehr gute Essen. Zum Frühstück gabs sogar zwei knusprige Semmeln mit allen Zutaten. Leider schaute am zweiten Tag das Frühstück etwas anders aus. Zwei Scheiben Vollkornbrot, eine Marmelade light, ein winziges Stück Butter. Ich fragte etwas enttäuscht nach den Semmeln. Sie sind auf Diät gesetzt. Verdammtes Übergewicht!

Draußen war herrliches Wetter und die Landwirte unterhielten sich unentwegt übers „Hagen“ (heuen). Und als der Sohn des Biobauern den Vater besucht hatte, gabs nachher die Diskussion ums Übergeben. Der Biobauer meinte: Ein wahrer Bauer übergibt nicht. Wieder grinsten die beiden anderen Landwirte übers ganze Gesicht.

Der knapp Neunzigjährige klagte mehrmals: Normalerweise wäre ich jetzt mit meiner Frau auf der Alm. Seit 18 Jahren sind wir jeden Sommer auf der Alm.

In seinem langen Leben hatte er natürlich vieles erlebt. Vor dreißig Jahren war seine erste Frau gestorben. Auch starb ein Bruder überraschend. So freundete er sich mit der Schwägerin an, die dann seine zweite Frau wurde.

Unser Biobauer wurde nach Hochzirl überstellt. Trotzdem hielten wir uns alle an das Fernsehverbot.

Der neue Bettnachbar war ein ehemaliger Motorradfahrer, der nach einem schweren Unfall zum Epileptiker geworden war. Er kam mit dem Notarzt ins Krankenhaus, weil er eine Zeitlang die Medikamente nicht eingenommen hatte. Mitten in der Nacht schüttelte es ihn neuerlich heftig durch. Am nächsten Tag hing er an den Flaschen, aber von seinem Anfall hatte er nichts mitbekommen.

Als nächstes wurden die beiden Nebenerwerbsbauern entlassen, der eine wollte unbedingt heim zum hagen und der Alte wurde von einem jungen Sozialarbeiter gefragt, ob er zuhause Hilfe vom Sozialsprengel haben wolle. Er wollte keinen Sozialsprengel, er habe seine Frau und außerdem wolle er auf die Alm.

Je länger ich im Krankenhaus bleiben musste, desto schwerere Fälle kamen ins Zimmer. Ein dementer Patient, der unentwegt wieder nach Hause wollte, fragte mich stets, ob ich ihn im Auto mitnehmen könnte. In der Nacht betätigte er andauernd die Alarmglocke und wurde sogar handgreiflich gegen das Personal. Einmal fuhr ich ihn an, weil er einer Nachtschwester in die Magengegend schlug. Aber sie meinte bloß: Kein Problem. Er weiß nicht, wo er ist. Da ist es kein Wunder, dass er so reagiert.

Ein anderer Patient wurde mit knapp vierzig Grad Körpertemperatur eingeliefert und musste schließlich mit dem Hubschrauber als Notfall nach Innsbruck geflogen werden.

In einer anderen Nacht wurde ein Jungbauer nach einem epileptischen Anfall eingeliefert, der auch wieder sofort nach Hause wollte. Er spielte die Episode herunter, weil er um seinen Führerschein fürchtete.

Dann beglückte mich noch ein Verschwörungstheoretiker, der unentwegt und ohne Unterlass vom Untergang der Industrie redete. Er war von Beruf Schlosser und früher Betriebsrat gewesen und mit der Abfertigung hatte er groß Lebensmittel gebunkert: Hundert Kilo Reis, zweihundert Kilo Nudeln, jede Menge Dosen und Gasflaschen zum Kochen, soviel Material, dass er gut drei Jahre im Keller überleben konnte.

Zwischendurch schaute immer wieder eine liebe nette verwirrte alte Dame im Zimmer vorbei, weil sie ihren Koffer suchte.

Bevor ich völlig dem Lagerkoller verfiel, kam dann doch die Entscheidung für eine Operation. Ich wurde nach Innsbruck überstellt. Mein Zimmernachbar hier war ein junger Mann, dem als Bauarbeiter von einer Druckluft-Nagelmaschine ein Geschoss in den Hinterkopf geschossen worden war. Er hatte riesiges Glück.

Im Krankenhaus trifft man andauernd Leute, denen es noch schlechter geht als einem selber. Da verschieben sich dann auch die Relationen. Als geradezu bewundernswert empfand ich während dieser Zeit die Ärzteteams und das Betreuungspersonal. Immer zur Stelle, hilfsbereit, freundlich und vor allem sehr kompetent. Da sind gute Leute am Werk.

In Innsbruck nahmen sie es mit meinem Übergewicht nicht so genau. Zum Frühstück gabs hier nicht nur frische Semmeln, sondern auch noch Wurst und Käse und sogar die Tageszeitung.

Wenn Ihnen schoepfblog gefällt, bitten wir Sie, sich wöchentlich den schoepfblog-newsletter zukommen zu lassen, und Freundinnen und Freunde mit dem Hinweis auf einen Artikel Ihres Interesses zu animieren, es ebenso zu tun.


Weitere Möglichkeiten schoepfblog zu unterstützen finden Sie über diesen Link: schoepfblog unterstützen

Elias Schneitter

Elias Schneitter lebt in Wien und Tirol. Zahlreiche Publikationen. Zuletzt der Erzählband „Civetta“ (baes) und der Roman „Ein gutes Pferd zieht noch einmal“ (Kyrene Verlag) und der Gedichtband „Zirler Blues“ (baes). Daneben Tätigkeit als Kleinverleger der edition baes (www.edition-baes.com), in der ein Schwerpunkt auf die Veröffentlichung von Literatur aus der US-amerikanischen Subkultur gelegt wird. Schneitter ist Mitbegründer und Kurator beim internationalen Tiroler Literaturfestival „sprachsalz“ (www.sprachsalz.com) bis 2023 in Hall, seit 2024 in Kufstein.

Dieser Beitrag hat einen Kommentar

  1. c. h. huber

    ein echtes biotop der schwierigen art, so ein krankenzimmer, bei deiner schilderung oft zum lachen oder schmunzeln, in natura nicht unbedingt. hab auch schon manches in dieser richtung erlebt, aber auch zum großteil wirklich sehr geduldiges personal. beim essen jedoch manchmal „schlangenfraß“, frühstück immer gut.

Schreibe einen Kommentar