Elias Schneitter
Ein Sir in der wilden Underground-Kunstszene
Gerhard Jaschke, 1949 – 2025
Würdigung

Ende der Siebzigerjahre bin ich nach Wien übersiedelt, weil ich den kuriosen Plan hatte, mich dort als freier Autor zu etablieren.

Die künstlerische und vor allem literarische Szene in Wien erschien mir damals sehr lebhaft und ich nahm dies auch von der Provinz aus sehr intensiv wahr. Vor allem durch verschiedene Literaturmagazine, wie das Wespennest, oder Frischfleisch & Löwenmaul oder eben das Freibord, ein Heft für Kunst und Literatur.

Herausgegeben wurde Freibord von einer illustren Runde: Gerhard Jaschke, Hermann Schürrer, Werner Herbst und auch Inge Wald. Markant stets der Einband von Freibord, jede Nummer im dunkelsten schwarz und inhaltlich eine durch und durch avantgardistische Postille, die sich der Konkreten Poesie, DADA und dem Fluxus widmete. Also literarische Richtungen im Randbereich und abseits des Mainstreams, der jedoch keine große Rolle spielte, wie es heute etwa mit der Krimititis der Fall ist.

Damals war vor allem Aufbruch und Neubeginn und Jugendbewegung (Arena-Bewegung) angesagt, die auch in der Literatur ihren Niederschlag fand und dabei spielte Freibord all die Jahre eine wichtige Rolle. Natürlich nur für Insider, also ein Magazin von Künstlern für Künstler.

Als ich in Wien ankam, war ich von der Stadt und der Literaturszene begeistert. Kaum angekommen besuchte ich eine Veranstaltung im Zwanzgerhaus, wo Kleinverlage und Alternativzeitschriften ihre Werke präsentierten. Unter ihnen auch Gerhard Jaschke mit dem Freibord. Er betrieb einen kleinen Stand mit Heften und Publikationen und ich war mehr als erstaunt, als ich mit ihm ins Gespräch kam und er in dessen Verlauf auch meinen Namen kannte, obwohl ich nur einige wenige Veröffentlichungen in einschlägigen Zeitschriften aufzuweisen hatte. Unser Gespräch verlief vom ersten Moment an wie unter alten Bekannten und diese Basis sollte zwischen uns auch bei allen anderen Begegnungen in den kommenden Jahren vorhanden sein.

Die damalige literarische Szene war – zumindest erschien es mir so zu sein – wie ein wilder Haufen. Der Alkohol spielte eine wichtige Rolle bei öffentlichen Auftritten der meisten Protagonisten.

Ein Hermann Schürrer, der in sämtlichen Wiener Lokalen des ersten Bezirkes Lokalverbot hatte, weil er sich dementsprechend aufführte und auch bei Lesungen von Autoren stets mit heftigen, pointierten Zwischenrufen auftrat, oder Joe Berger und Wolfi Bauer und der Maler Ringel im Santo spirito oder Helmut Qualtinger und Franz West im Alt-Wien oder ein Franz Krahberger im Grünen Anker. Stets ging es da hoch her. „Figuren“, die es in dieser Form heute nicht mehr gibt. Und dazwischen und stets zur Stelle Gerhard Jaschke als ruhender Pol, nie betrunken und mit einem Auftreten wie ein Sir vom Scheitel bis zur Sohle.

Ein Fels in der Brandung.

Damals besuchte ich auch regelmäßig Dichterlesungen, vorwiegend in der Alten Schmiede. Natürlich auch dann, wenn Gerhard Jaschke seine kurzen, sprachlich ausgefeilten, teilweise humoristischen Texte vortrug. Gerhard verfügte über eine ganz markante angenehme Stimme, der man gerne zuhörte. Er erinnerte mich immer an die Vortragskunst eines Ernst Jandl.

Unvergessen bleiben auch die zahlreichen, jährlich im Herbst anberaumten „Martini-Gansel-Enten-Essen“, Performances von Gerhard Jaschke und Helmuth Schönauer im Innsbrucker Bierstindl, wenn der liebenswürdige Wiener Kollege uns in Tirol besuchte. Das waren literarische Matches der Sonderklasse, Feuerwerke des Humors und auch des Unsinns.

Jedenfalls so bekannt und wichtig Gerhard Jaschke in der Szene auch war, ihn kannten alle und er kannte ebenfalls alle, so unbekannt war er im großen Literaturmarkt. Von diesem ließ er sich nicht domestizieren.

Allein das ist aus meiner Sicht schon ein besonderes Qualitätsmerkmal. Diesen seinen Weg ist er bis zum Schluss gegangen. Am 10. Jänner 2025 hat er uns verlassen.

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Elias Schneitter

Elias Schneitter lebt in Wien und Tirol. Zahlreiche Publikationen. Zuletzt der Erzählband „Civetta“ (baes) und der Roman „Ein gutes Pferd zieht noch einmal“ (Kyrene Verlag) und der Gedichtband „Zirler Blues“ (baes). Daneben Tätigkeit als Kleinverleger der edition baes (www.edition-baes.com), in der ein Schwerpunkt auf die Veröffentlichung von Literatur aus der US-amerikanischen Subkultur gelegt wird. Schneitter ist Mitbegründer und Kurator beim internationalen Tiroler Literaturfestival „sprachsalz“ (www.sprachsalz.com) bis 2023 in Hall, seit 2024 in Kufstein.

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