Elias Schneitter
Die Bänke vor den Häusern
Notizen

Ich habe mich schon lange nicht mehr so auf ein Frühjahr gefreut wie heuer. Dabei war dieser Winter alles andere als ein harter oder kalter wie in früheren Zeiten.

Wahrscheinlich hängt das mit meinem fortgeschrittenen Alter zusammen und meinen stetig abnehmenden körperlichen Aktivitäten. Mit anderen Worten: Ich erfreue mich immer mehr des Müßiggangs.

Dieser Müßiggang hat aber nichts mit Langeweile zu tun, nein überhaupt nicht. Es ist vielmehr eine Art geistigen Flanierens in körperlicher Ruhestellung. Eine Art des gemütlichen Herumhängens (das Wort abhängen will ich hier nicht verwenden). Junge Menschen würden das vermutlich chillen nennen.

Und deswegen freue ich mich so sehr auf das Frühjahr und die wärmere Jahreszeit. Längere Tage, die blühende, sprießende Natur, viel grün, alles Dinge, die auch meinen Geist (nicht den Körper) zu mehr Aktivitäten animieren. Und das gelingt mir am besten im Freien, auf einer Terrasse eines Cafés, in meinem Fall am Yppenplatz in Wien. Rundherum lebhaftes Treiben, viele Bobos und Studenten, gemischt mit viel verrückter Boheme, die immer für Überraschungen gut ist.

Hier am Yppenplatz, am liebsten allein in dem bunten Treiben bei einem Verlängerten braun (Bitte keine Melange!) oder einem kleinen Zwettler oder einem Schremser lässt sich das Frühjahr hervorragend genießen.

Viele Erinnerungen kommen mir da in den Sinn, häufig kleine Geschichten über die alten Zeiten aus meinem Heimatdorf. Damals stand vor jedem Haus eine Holzbank, bei der sich die Leute abends in den wärmeren Jahreszeiten zusammensetzten und sich unterhielten. Zeiten ohne Fernseher, ohne Radio, ohne Handy.

Wenn ich an diese Bänke vor den Häusern im alten Zirl hier am Yppenplatz denke, dann kommen mir stets Menschen, Persönlichkeiten in den Sinn, gerne wird dafür auch der Begriff Originale verwendet, die noch bis heute bei den älteren Einheimischen in bester Erinnerung geblieben sind.

Da denke ich zum Beispiel an den tonlosen Trompeter in der Meilstraße. Er hatte autistische Züge. Er konnte sämtliche Geburts- und Sterbedaten sämtlicher Verstorbenen im Friedhof aufzählen.

Seine große Liebe war aber die Musik. Nur fehlte ihm dafür jegliches Talent. Trotzdem wollte er bei der Musikkapelle Trompete spielen. Nur konnte er nicht Trompete spielen, auch kein anderes Instrument. Aber man fand für den guten Mann eine Lösung. Er durfte mit seinem selbst erworbenen Instrument und in Musiktracht bei den Auftritten als vierte, stumme Trompete mit dabei sein.

Oder ich denke an meinen Großonkel Thomas, einen dorfbekannten Übertreiber. Neben seiner kleinen Landwirtschaft hatte er auch die Tätigkeit des Flurwächters inne. Als solcher erschoss er (er war auch ein begeisterter Wilderer) die Hennen seiner eigenen Frau im Garten des Nachbarn. Dazu sagte er trocken: Isabella! Gerechtigkeit muss sein!

Mit meinem Vater habe ich ihn als Kleinkind auch einmal zufällig in der Kirchstraße getroffen. Das war nach einer gelungenen Prostata-Operation. Mein Vater fragte ihn nach seinem Befinden. Hugo, gab daraufhin der alte Thomas zur Antwort, diese Mediziner in der Klinik sind wahre Teufelskerle. Die wecken selbst noch Tote auf und seit dem Krankenhaus brunze ich wieder wie ein Hydrant.

Oder mir fällt der alte S. ein, ein wahrer Lügenbaron der Sonderklasse. Von ihm wird im Dorf noch heute erzählt, dass sich die Leute nach seinem Amerikaaufenthalt vor seinem Haus nahe der Kirche versammelt hätten. Viele hätten auch gleich ihre Bänke mitgebracht, um seinen unglaublichen Geschichten zu lauschen.

Er war auch ein begnadeter Zitherspieler und als solcher wurde er zusammen mit seinem Sohn tatsächlich zu mehreren Auftritten in die neue Welt eingeladen. Einmal sind mein Bub und ich in Chicago vor Tausenden von Zuhörern aufgetreten. Wir mussten Zugabe um Zugabe spielen und die Leute warfen uns in ihrer Begeisterung Dollarmünzen zu, bis mein Sohn bis zum Bauch herauf im Geld steckte…

Ja, diese Geschichten schwirren da am Yppenplatz herum und ich denke an die vielen Holzbänke vor den Häusern meiner Heimatgemeinde und denke mir, ob diese Erzählungen nicht weit toller waren als die heutigen Schreckensnachrichten aus der ganzen Welt.

Wenn Ihnen schoepfblog gefällt, bitten wir Sie, sich wöchentlich den schoepfblog-newsletter zukommen zu lassen, und Freundinnen und Freunde mit dem Hinweis auf einen Artikel Ihres Interesses zu animieren, es ebenso zu tun.


Weitere Möglichkeiten schoepfblog zu unterstützen finden Sie über diesen Link: schoepfblog unterstützen

Elias Schneitter

Elias Schneitter lebt in Wien und Tirol. Zahlreiche Publikationen. Zuletzt der Erzählband „Civetta“ (baes) und der Roman „Ein gutes Pferd zieht noch einmal“ (Kyrene Verlag) und der Gedichtband „Zirler Blues“ (baes). Daneben Tätigkeit als Kleinverleger der edition baes (www.edition-baes.com), in der ein Schwerpunkt auf die Veröffentlichung von Literatur aus der US-amerikanischen Subkultur gelegt wird. Schneitter ist Mitbegründer und Kurator beim internationalen Tiroler Literaturfestival „sprachsalz“ (www.sprachsalz.com) bis 2023 in Hall, seit 2024 in Kufstein.

Dieser Beitrag hat 3 Kommentare

  1. Rudolf Ostermann

    Frei nach Freddy
    Schön, so schön war die Zeit.
    LG Rudi

  2. thomas engl

    danke elias, für deine immerwährenden bemühungen um ein weiteres bestehen einer solidarischen sozialversicherung, für deine altersweisheit und dein genaues hinschauen auf soziale pendelbewegungen… ergo und kurzum: danke für deine beiträge! lg thomas

  3. Ronald Weinberger

    Den Titel meines Kommentars schreibe ich diesmal erst an das Ende meiner Einlassungen – so, wie es meine überaus geschätzte Schriftsteller-Kollegin c.h. huber bei ihrer Lyrik zu tun pflegt. Aus gutem Grund, denn er würde, hier zuoberst prangend, zu falschen Mutmaßungen führen.

    Du hast, liebes Zirlerkind + Weaner(bazi?) Elias Schneitter, eine – nein mehrere! – Saiten bei mir ins Schwingen versetzt. Schon alleine deswegen, da ich mit meiner (chinesischstämmigen) Frau seit 1993 in Zirl wohnhaft bin, wir hier überaus gerne (freilich nicht zentrumsnah, sondern am Ostrand) leben – und ich durch deine Schilderung gedanklich bis zu einem gewissen Grad in die Geschichte und in die launigen Geschichterln dieses mir/uns lieb gewordenen, so angenehm sonnigen, sympathischen, wenn auch (un?)gehörig ausgedehnt gewordenen Ortes eintauchen kann. Danke!

    Da ich einen früheren Lebensabschnitt – laaang ist’s her -, nämlich während meiner gesamten Studienzeit, als oberösterreichisches Landei im damals stets von mir ungeliebten Wien zubrachte, lese ich auch deine Beschreibungen von Wien und von deinem dortigen Leben und Treiben mit besonderem Interesse, ohne folgenden Gedanken vollends unterdrücken zu können: „Wie kann man es dort bloß – längere Zeit – aushalten?!“.

    Aber nun in medias res. So manche Bank hat es dir doch sehr angetan, ob in Zirl oder in Wien. Ja, du hievst in deinem Beitrag derlei zumeist aus hingemeuchelten Bäumen gefertigte Sitz- bzw. Fläz-, zuweilen Liege-Gegenstände geradezu in himmlische Höhen. ÜberfälIst uns mit deiner offensichtlichen Bank-Passion. Ist ja recht so. Darfst dich nun freilich nicht wundern, dass ich das zum Anlass nehme, endlich zum Titel meines Kommentars zu kommen und zugleich „mich zu schleichen“. Servas!

    BANKÜBERFALL IN ZIRL UND WIEN!

Schreibe einen Kommentar